Nazi-Aufmärsche werden zu oft geduldet – Forderungen nach Verboten werden lauter

B’nai B’rith und Amadeu-Antonio-Stiftung beklagen Holocaust-Leugnung und Antisemitismus in vielen Staaten Europas.
Frankfurt – Tausende Neonazis ziehen Jahr für Jahr durch europäische Städte. Sie zeigen sich dabei offen antisemitisch und rassistisch, leugnen oder verharmlosen den Holocaust. Allein im Februar 2023 marschierten Nazi-Sympathisant:innen in Budapest, Sofia, Madrid und Dresden auf. Die jüdische Organisation B’nai B’rith International und die Amadeu-Antonio-Stiftung rufen dazu auf, solche jährlichen Nazi-Aufmärsche in ganz Europa zu verbieten, sich ihnen rechtlich und durch Proteste der Zivilgesellschaft entgegenzustellen.
Am Dienstag präsentierten die Organisationen in Brüssel die englischsprachige Studie „On Europe’s Streets: Annual Marches Glorifying Nazism“ („Auf Europas Straßen: Jährliche Aufmärsche zur Nazi-Glorifizierung“). Darin zeigen die Journalistin Simone Rafael vom Portal Belltower.news und ihre zahlreichen Ko-Autor:innen am Beispiel von zwölf etablierten rechten Veranstaltungen, wie bedrohlich diese Aufmärsche sind, etwa für die jüdischen Gemeinden, und was Behörden und Zivilgesellschaft dagegen unternehmen können.
Internationale Naziszene: Analyse schildert Problem der Aufmärsche
Die rechtliche Analyse zeigt nach Überzeugung der Juristin Aleksandra Gliszczynska-Grabias: „Solche Aufmärsche können nicht nur unterbunden werden, sondern sollten auch unterbunden werden.“ Doch daran seien Teile der Behörden häufig nicht interessiert, heißt es in der Analyse. „In vielen Fällen, in denen Aufmärsche zur Verherrlichung des Nationalsozialismus und/oder des Faschismus ungeahndet bleiben, geschieht das mit der Duldung oder sogar der aktiven Beteiligung derjenigen, die eigentlich dafür verantwortlich wären, gegen die Märsche vorzugehen.“
Die Autor:innen befassen sich mit alljährlichen Aufmärschen in Deutschland, Ungarn, Bulgarien, Spanien, Lettland, Österreich, Belgien, Italien, Polen, Finnland und Griechenland. Viele davon hätten sich zu Treffpunkten der internationalen Naziszene entwickelt. Beispiel Helsinki: Hier ziehen seit Jahren rechte Demonstrant:innen am finnischen Unabhängigkeitstag zu einem Friedhof, um des finnischen SS-Bataillons zu gedenken. Der Marsch ziehe rechte Extremisten aus Großbritannien, Griechenland und Deutschland an, einschließlich der verbotenen britischen Terrorgruppe „National Action“ oder der deutschen Neonazi-Partei „Der III. Weg“, stellt die Studie fest.
„Blood and Honour“: Nazi-Aufmärsche werden vielerorts gedultet
In etlichen Ländern würden Aufmärsche trotz Verboten geduldet, heißt es weiter. So sei der antisemitische Lukow-Marsch in Bulgarien von Sofias Bürgermeisterin Yordanka Fandukowa von 2014 bis 2018 verboten worden – trotzdem habe er stattfinden können, weil die Behörden das Verbot nicht durchgesetzt hätten.
In Ungarn sei es jahrelang nicht gelungen, Verbote von Demos zum „Tag der Ehre“ durchzusetzen – auch sie ein internationaler Nazi-Treffpunkt, unter anderem für Nazigruppen aus Russland und der Ukraine, Deutschland, Skandinavien, Großbritannien, Serbien und Bulgarien. 2022 sei die Veranstaltung dann erfolgreich verboten worden – doch Neonazis des Netzwerks „Blood and Honour“, der „Hammerskins“ oder der Partei „Die Rechte“ seien einen Tag später in Budapest aufmarschiert.
B’nai B’rith und die Amadeu-Antonio-Stiftung geben Empfehlungen ab, wie die EU und die Nationalstaaten den Kampf gegen solche Umtriebe unterstützen sollten: etwa durch gezielte Informationen über Rechtsgrundlagen für Verbote und Fortbildungen für Justiz und Polizei.