Nächste Nato-Chefin bereits gefunden? Spekulationen nach Treffen im Weißen Haus
Die dänische Ministerpräsidentin erhält eine Einladung zu einem Treffen mit Joe Biden. Geht es um die Nachfolge von Nato-Generalsekretär Stoltenberg?
Brüssel - Der Zeitpunkt scheint denkbar ungünstig, doch mitten im Ukraine-Krieg verliert das Verteidigungsbündnis der westlichen Welt ihren Chef: Jens Stoltenberg gibt sein Amt als Nato-Generalsekretär ab, um stattdessen Chef der norwegischen Zentralbank zu werden. Seit Bekanntwerden des Abgangs von Stoltenberg laufen die Spekulationen heiß: Wer wird sein Nachfolger - oder seine Nachfolgerin?
Ein Besuch im Weißen Haus lässt jetzt aber aufhorchen. US-Präsident Joe Biden empfängt laut einer Mitteilung der US-Regierung am 5. Juni die dänische Premierministerin Mette Frederiksen. Die beiden wollen ihre Bemühungen „zur Stärkung der transatlantischen Sicherheit überprüfen“ und die „unerschütterliche Unterstützung für die Ukraine angesichts des brutalen Angriffskrieges Russlands besprechen“, heißt es in der Mitteilung.

Treffen mit Joe Biden bringt Spekulationen um Nato-Nachfolge
Könnte also Frederiksen die Nachfolgerin von Jens Stoltenberg werden? Laut einem Bericht des Magazins Politico entpuppt sich die Dänin als „ernsthafte Anwärterin auf die Führung der Nato“. Zitiert werden in dem Bericht zwei europäische Diplomaten, die Frederiksen als „ernsthafte Kandidatin“ einstuften, dabei aber anonym bleiben wollten. „Sie wird tatsächlich von einer Reihe größerer Verbündeter ernsthaft in Betracht gezogen“, wird einer von ihnen zitiert.
Mette Frederiksen selbst dementierte jedoch laut einem Bericht der dänischen Zeitung Politiken Gerüchte, sie strebe das Amt der Nato-Chefin an: „Ich habe keine Bewerbung für einen anderen Job als den Posten des Premierministers in Dänemark dabei“, betonte die 45-Jährige angesichts ihrer Reise in die USA. „Ich wurde zu einem Besuch bei Präsident Biden eingeladen und freue mich darauf.“ Sie wolle mit ihm unter anderem über den Ukraine-Krieg und den anstehenden Nato-Gipfel in Vilnius sprechen.
Nato sucht Nachfolge für Stoltenberg - US-Präsident muss zustimmen
Traditionell übernimmt jemand aus Europa die Führung dem transatlantischen Verteidigungsbündnis, doch die USA müssen davor ihre Zustimmung geben. In den vergangenen Monaten wurden schon mehrere Namen gehandelt. Die britischen Ex-Staatschefs Theresa May und Boris Johnson zum Beispiel, der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte, die frühere EU-Außenbeauftragte Federica Mogherini und Rumäniens Präsident Klaus Iohannis.
Der CDU-Politiker und Ex-Nato-Mitarbeiter Roderich Kiesewetter plädierte in einem Interview mit Merkur.de für eine osteuropäische Politikerin an der Nato-Spitze und favorisierte dabei die estnische Premierministerin Kaja Kallas. EU-Ratspräsidentin Ursula von der Leyen, die ebenfalls schon als Nato-Chefin gehandelt wurde, sieht er dagegen nicht als geeignet an.
Mette Frederiksen als Nato-Chefin? Was für und gegen sie spricht
Die dänische Staatschefin scheint dagegen mehrere wichtige Voraussetzungen für das Amt der Nato-Chefin zu erfüllen - doch es gibt auch Punkte, die gegen sie sprechen:
- Pluspunkt: Frederiksen ist eine Frau. Da alle bisherigen Nato-Generalsekretäre Männer waren, gibt es Bestrebungen, diesmal eine Frau zu ernennen.
- Pluspunkt: Frederiksen ist Regierungschefin. Für den Posten wird eine Person gesucht, die über politisches Gewicht und Regierungserfahrung verfügt.
- Pluspunkt: Frederiksens Positionierung im Ukraine-Krieg. Die Dänin stellt einen Mittelweg dar zwischen Ländern wie Deutschland auf der einen Seite, die sich mit der sogenannten Zeitenwende schwertaten, und osteuropäischen Ländern auf der anderen Seite, die sich wegen ihrer akuten Bedrohungslage gegenüber Russland sehr kämpferisch zeigen. Einer der von Politico zitierten Diplomaten betonte, die Dänin habe sich im Verlauf des Ukraine-Kriegs „ziemlich solide verhalten“.
- Minuspunkt: Frederiksen kommt aus Dänemark. Das Land hatte den Posten des Nato-Chefs erst vor einigen Jahren inne: Der dänische Ex-Premierminister Anders Fogh Rasmussen war von 2009 bis 2014 Nato-Generalsekretär
- Minuspunkt: Dänemark hinkt bei Nato-Ausgaben hinterher. Im Jahr 2022 gab das Land rund 1,38 sein Bruttoinlandsprodukt für die Verteidigung aus und verfehlte damit das Ziel von zwei Prozent, zu dem sich die Mitgliedstaaten verpflichtet haben. Jedoch erfüllen auch einige andere Länder - darunter Deutschland - die Verpflichtung nicht.
Stoltenbergs Amtszeit als Nato-Generalsekretär war wegen des Ukraine-Kriegs zuletzt verlängert worden, läuft aber Ende September aus. Er hatte im Februar Berichte über eine mögliche weitere Verlängerung seiner Amtszeit zurückgewiesen. Der Norweger leitet das Bündnis seit Ende 2014.
In der Frage, wer die Organisation leitet, einigen sich die 30 Mitgliedstaaten des Bündnisses in der Regel hinter den Kulissen. Ein US-Amerikaner ist in aller Regel der militärische Oberbefehlshaber, der Generalsekretär kommt dafür aus den Reihen der übrigen, mehrheitlich europäischen, Mitgliedstaaten. (smu mit Material von dpa)