Melnyk mit Geschichtsrevisionismus? Bandera lässt er sich nicht ausreden

Journalist Tilo Jung von „jung und naiv“ unterhält sich mit dem ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk unter anderem über den als Nazi-Kollaborateur geltenden Bandera.
Frankfurt – Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrij Melnyk, steht im Kontext des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Fokus. Der studierte Jurist ist häufiger Gesprächspartner in Nachrichtensendungen oder Talkshows, wo er bezüglich seiner Forderungen an die deutsche Politik kein Blatt vor den Mund nimmt. Ein Streitpunkt ist dabei seine Haltung zu Stepan Bandera.
Hintergrund
„Im Falle von Stepan Bandera ist es so, dass der Faschismus, der Holocaust und die Massengewalt eine wichtige Rolle in seinem Leben spielten und dass sich seine Biografie ohne sie nicht verstehen, erforschen und schreiben lässt. Bandera bereitete mit seiner Fraktion der OUN 1940 und 1941 einen Plan vor, nach dem er der Führer eines ukrainisch-faschistischen Staates werden sollte. Dieser Staat sollte von Juden, Polen, Russen und politischen Feinden gesäubert werden. Personen, die solche Pläne vorbereiten und sie zu realisieren versuchen, sind keineswegs das, was heutzutage in politischen und teilweise auch in geschichtswissenschaftlichen Diskursen über Bandera behauptet wird. Wenn man ukrainischen und deutschen Historikerinnen und Historikern zuhört, könnte man glauben, dass Bandera ein antisowjetischer Freiheitskämpfer oder Dissident war, der von Idealen der Demokratie getragen wurde.“
Bandera gilt in der Geschichtsschreibung als nationalistischer ukrainischer Politiker, wobei unstrittig ist, dass er in der OUN (Organisation Ukrainischer Nationalisten) schnell aufstieg und aufseiten der Wehrmacht im deutschen Russlandfeldzug agierte. Für viele gilt er als Nazi-Kollaborateur, doch Melnyk huldigte Bandera bereits 2015 und bezeichnet ihn als „unseren Helden“.
Aktuell hat Tilo Jung aka „jung und naiv“ ein Gespräch mit Andrij Melnyk geführt, unter anderem über Stepan Bandera. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch:
„Es gab mehrere Massaker an Polen, durchgeführt von Bandera“, (Tilo Jung). „Es gab auch auf gleiche Weise Massaker der Polen gegenüber der Ukraine ... Das war ein Krieg“ (Andrij Melnyk.), „Das macht es ja nicht besser“, (T.J.). „Wollen Sie das politisieren?“, (A.M.). „Aber hat der Staat Israel unrecht, dass 800.000 Juden auch von Bandera ...“ (T.J.).
„Israel ...“ (A.M.). „Denken die sich das aus?“, (T.J.). „Ich weiß nicht, was die sich ausdenken, ..., aber wir reden über Bandera, und wir reden über ...“ (A.M.). „Aber die ganze Welt erkennt an, dass Bandera an der Ermordung von Hunderttausend Juden beteiligt war“ (T.J.) „Nein, das stimmt nicht ... Es gibt keine Belege, dass Bandera-Truppen Hunderttausende Juden ermordet haben.“ (A.M.)
Andrij Melnyk im Gespräch mit Tilo Jung: Stepan Bandera - ein Narrativ der Russen
„Das ist das Narrativ, das die Russen bis heute durchsetzen, und das in Deutschland, in Polen und auch in Israel Unterstützung findet“, (A.M.) „Denken die jüdischen Gemeinden das alle aus“? (T.J.) „Ich weiß nicht, woher Sie diese Daten nehmen, aber ich bin bereit, mit den jüdischen Gemeinden darüber sachlich zu reden - wenn sie nicht nur das wiederholen, was wir seit Jahrzenhnten hören: Bandera war ...“ (A.M). „Es gab Flugblätter, als die Deutschen reingekommen sind in die Ukraine, da hieß es: ‚Volk, das musst du wissen, Moskoviten, Polen, Ungarn und Juden, die sind deine Feinde. Vernichte sie. Das musst du wissen. Deine Führung, dein Führer Stepan Bandera.“ (T.J.)
„Was für Flugblätter sind das“, (A.M.). ... „Das ist doch ganz klar, und ich frag mich ...“ (T.J.) „Also ich, ich werde dir heute nicht sagen, dass ich mich davon distanziere ... und das war‘s“ (A.M.) „Das ist ja deine Entscheidung, ich frage mich nur ...“, (T.J.). „Das kannst du nicht verstehen ...“ (A.M.). „Ich verstehe nicht, wie man jemand als Helden bezeichnen kann, der gleichzeitig Massenmörder von Juden und Polen war“, (T.J.). „Bandera war kein Massenmörder. Von Juden und Polen, er war kein Massenmörder“, (A.M.).
Zu seiner Bandera-Haltung hat sich Melnyk auf Twitter bislang nicht geäußert. (Katja Thorwarth)