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Myanmars geheime Regierung

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Von: Felix Lill

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Die „Nationale Einheitsregierung“ ist von keinem Staat anerkannt, aber sie wird von vielen Menschen unterstützt. Hier eine Demonstration in Taiwan. Protestierende fordern ihre Regierung auf, die Beziehungen zum Militärregime abzubrechen.
Die „Nationale Einheitsregierung“ ist von keinem Staat anerkannt, aber sie wird von vielen Menschen unterstützt. Hier eine Demonstration in Taiwan. Protestierende fordern ihre Regierung auf, die Beziehungen zum Militärregime abzubrechen. © Wiktor Dabkowski/Imago

Seit zwei Jahren baut die Opposition in Myanmar neben dem Militärregime eine Art Parallelstaat auf - bis hin zu Kliniken und Schulen. Sie ist damit beeindruckend erfolgreich, aber ihre Vision für das gebeutelte Land bleibt rudimentär.

Sie sind unsere einzige Hoffnung“, sagt Arthur, wenn er an diejenigen denkt, denen er jeden Monat Geld überweist. „Für uns alle ist es im Moment schwer zu überleben. Aber wenn ich von meiner Arbeit als Unternehmensberater etwas übrig habe, schicke ich es der Volksbefreiungsarmee.“ Auch bei Freundinnen und Freunde sammle der 25-jährige Geld ein. „Es sind kleine Summen, aber viele kleine Summen machen am Ende etwas Großes.“

Um etwas Großes gehe es schließlich auch. Als „Volksverteidigungsarmee“ bezeichnet sich der bewaffnete Arm des demokratischen Widerstands in Myanmar, wo sich im Februar 2021, drei Monate nach demokratischen Wahlen, das Militär an die Macht setzte. Auf Proteste gegen den Staatsstreich antwortete die Junta mit Gewalt. Soldaten schossen nicht nur auf Demonstrierende, sondern auch in Krankenhäuser und Schulen. Mehr als 3200 Menschen sind bereits gestorben. So ist im südostasiatischen 54-Millionen-Land längst auch der demokratische Widerstand bewaffnet.

Denn Myanmars Demokratiebewegung beansprucht – wie das Militär – die politische Führung im Land. Und wie das Militär, das schon ab den 1960er-Jahren für ein halbes Jahrhundert regierte und sich in dieser Zeit ein riesiges Geflecht an Unternehmensbeteiligungen und Abhängigkeiten aufbaute, versucht sich nun der demokratische Widerstand im Aufbau eigener staatlicher Strukturen. Die durch Spenden von Aktivist:innen finanzierte „Volksbefreiungsarmee“ ist nur ein Element von mehreren. Dahinter steht eine Art demokratische Schattenregierung.

Die „Nationale Einheitsregierung“ (NUG), wie sich das Führungskabinett der Demokratiebewegung nennt, arbeitet seit seiner Ausrufung im Untergrund am 15. April 2021 an einem bemerkenswerten Vorhaben: Die große Mehrheit der Burmesinnen und Burmesen, die laut dem letzten Wahlergebnis vor dem Putsch eine Herrschaft des Militärs ablehnen, sollen statt den von der Junta dominierten Institutionen alternative Infrastruktur nutzen können – von öffentlicher Verwaltung über ein Gesundheitssystem bis zu Schulen und Universitäten.

Verheerender Luftangriff

Die NUG setzt sich maßgeblich aus Politikerinnen und Politikern zusammen, die bei der letzten Wahl ins Parlament gewählt wurden. Hinzu kommen Anführer mehrerer ethnischer Minderheiten. Im Gegensatz zum Militär hat sie also durchaus demokratische Legitimität. Und in ihren öffentlichen Erklärungen hat die NUG immer wieder betont: Sie will freie Wahlen, ein Parlament ohne Einmischung des Militärs und liberale Rechte für alle im Land.

„Bis jetzt sind sie auch recht erfolgreich“, sagt Soe Myint, Chefredakteur des führenden unabhängigen Medienhauses „Mizzima News“, der wie viele Journalist:innen nach dem Putsch das Land verlassen hat und jetzt von Thailand aus arbeitet. „Die Militärjunta hat Ende Januar selbst zugegeben, dass sie die Hälfte des Territoriums von Myanmar nicht unter Kontrolle hat.“

Allerdings sind die Herausforderungen riesig. Einerseits befinden sich nicht wenige der NUG-Mitglieder im Ausland. „Viele der Anführer sind auch quer über Myanmar verteilt“, berichtet Soe Myint. „Deshalb ist es schwierig sich zu treffen. Sogar in den vom Militär befreiten Gebieten besteht das Risiko, abgehört zu werden. Von zentraler Bedeutung ist daher das Internet.“ Hinzu kommen Angriffe. Erst am Dienstag beschossen Kampfflugzeuge des Militärs eine Versammlung im Norden, wo die Eröffnung eines Verwaltungsgebäudes gefeiert wurde. Etwa 170 Menschen wurden getötet. Moskau und Peking haben daraufhin im UN-Sicherheitsrat eine Verurteilung der Militärregierung Myanmars blockiert. „Es gibt widersprüchliche Informationen über die Umstände des fraglichen Angriffs. Wir müssen uns erst ein klares Bild machen“, sagte der stellvertretende russische UN-Botschafter Dmitry Polyanskiy. Ein Vertreter Chinas erklärte, dass der Rat die Parteien in Myanmar ermutigen solle, ihre Differenzen durch Dialog und Versöhnung zu lösen, dass er aber davon absehen solle, in den inneren Angelegenheiten eines Landes Partei zu ergreifen.

Moskau unterstützt Junta

Das Militär wird laut UN-Berichten vor allem von Russland und China mit Waffen versorgt. Die NUG hat zudem das Problem, dass sie zwar in einigen Ländern der Welt inoffizielle Repräsentanzen unterhält, offiziell aber von keinem Staat anerkannt ist – wenngleich sich diverse westliche Staaten rhetorisch mit ihr solidarisieren.

So muss die Demokratiebewegung ihre Waffen zu höheren Preisen auf dem Schwarzmarkt kaufen und hat keinen Zugang zu Geldreserven in Übersee. Und selbst wenn das NUG über das Militär siegen sollte, wäre damit noch lange kein Frieden hergestellt.

„Myanmar hat im Prinzip seit dem Zweiten Weltkrieg keinen richtigen Frieden gekannt. Es gab ja immer bürgerkriegsähnliche Zustände“, sagt Felix Girke, ein Kultur- und Sozialanthropologe an der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Gestaltung Konstanz, der gerade ein Buch über das kulturelle Erbe Myanmars schreibt. „Unübersichtlich viele ethnische Minderheiten sind selbst bewaffnet und versuchen, Kontrolle über ein Territorium zu erlangen.“

Und vor dem Hintergrund jahrzehntelanger Diskriminierungspolitik – für die mehrere NUG-Vertreterinnen und Vertreter als Teil der Regierung vor dem Putsch mitverantwortlich waren – sind viele Minderheiten zögerlich gegenüber den Vorhaben der Demokratiebewegung.

„Viele Akteure sind sich jetzt einig, dass das Militär eine große Bedrohung für ihre Interessen ist“, so Felix Girke. Aber mit dem Blick auf die Versprechen der NUG für eine Zeit nach dem Militär fehlen konkrete Zusagen, was die Autonomie verschiedener Gruppen angeht: „Was da als positive Vision dahintersteht, ist noch immer nicht klar.“

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