Christina Kampmann: Wir beide vertrauen uns gegenseitig. Deshalb trauen wir es uns zu, in einer schwierigen Lage als Team für den Parteivorsitz anzutreten. Wir wollen der SPD Optimismus und Selbstbewusstsein zurückgeben.
Michael Roth: Die SPD lässt die Menschen im Land derzeit nicht aufhorchen. Die Leute haben den Eindruck: Die beschäftigen sich zu viel mit sich selbst. Die SPD wird am Ende bestenfalls als ordentlich arbeitender Reparaturbetrieb, aber nicht als spannender Ort großer Debatten und Visionen wahrgenommen. Das wollen wir ändern.
Sie treten als Duo an. Hätten Sie sich auch eine Solokandidatur vorstellen können?
Roth: Nein. Ein Mensch alleine kann es niemals allen recht machen. Unsere Gesellschaft ist bunter und vielfältiger geworden. Deshalb war ich begeistert, als die SPD entschieden hat, die Mitglieder zu beteiligen und sich auf ein Team einzulassen. Also habe ich Christina angerufen und gefragt, ob wir gemeinsam antreten wollen …
Kampmann: … natürlich habe ich erst einmal überlegt. Aber ich habe früher als Standesbeamtin gearbeitet. Daher weiß ich, wie wichtig es ist, in den richtigen Situationen Ja zu sagen.
Das klingt ungewohnt romantisch. Sind Sie die Robert Habecks und Annalena Baerbocks der SPD?Kampmann: Nein. Wir sind Michael Roth und Christina Kampmann. Wir sind zwei Originale, wir kopieren niemanden. Die SPD steht auch vor ganz anderen Bewährungsproben als die Grünen. Was wir mit den beiden gemeinsam haben, ist, dass wir echte Teamplayer sind.
Roth: Ich gestehe neidlos zu, dass Habeck und Baerbock eine gute Performance hinlegen. Beide standen vorher nicht in der ersten Reihe. Das zeigt, welche Chancen Kandidaten für den SPD-Vorsitz haben, wenn sie ihre Sache gut machen. In der SPD geht es allerdings auch immer um Inhalte – nicht zuerst um die Attitüde oder ein Loch in der Socke.
Sie haben unterschiedliche Lebensläufe. Wollen Sie sich als Vorsitzende auch die Themen aufteilen?
Roth: Wir denken nicht in Organigrammen. Ich brenne für Europa und möchte meine Erfahrung als Staatsminister im Auswärtigen Amt einbringen. Ich habe viel bundespolitische, Christina auch landespolitische Erfahrung. Das ergänzt sich gut. Regierung und Opposition können wir beide.
Kampmann: Ich war in Nordrhein-Westfalen Ministerin für Familie, Kinder, Jugend, Kultur und Sport. Als Parteivorsitzende möchte ich die Themen Ökologie und Digitalisierung in der Arbeitswelt vorantreiben. Generell soll bei uns beiden aber gelten: Jeder soll bei allem mitreden. Ich freue mich, wenn mich jemand anders überzeugt, dass er eine bessere Lösung hat.
Sie, Herr Roth, kommen aus einer Bergmannsfamilie, Sie, Frau Kampmann, sind auf einem Biobauernhof aufgewachsen. Ist das Teil Ihrer Idee: Der eine kümmert sich ums Soziale, die andere holt die Grünen-Wähler zurück zur SPD?
Roth: Ich komme aus einer bodenständigen Industrieregion in Nordosthessen, in der die Leute sehr stolz auf ihren Beruf und ihre Heimat sind. Der Bergmann ist dort noch ein Beruf mit Klang, auch wenn ich weiß, dass es den Bergbau nicht mehr ewig geben wird. Ich war der Erste in meiner Familie, der Abitur gemacht und studiert hat. Ohne die sozialdemokratische Bildungspolitik wäre ich heute nicht da, wo ich bin.
Kampmann: Das Thema Klimawandel ist eines der wichtigsten unserer Zeit. Man muss ehrlich sagen: Die SPD hätte hier in der Vergangenheit mehr tun müssen. Die neue SPD-Führung muss alles daransetzen, die Themen Umwelt und Soziales besser zu versöhnen …
Roth: … die SPD hat völlig unterschätzt, welche emotionale Wucht das Thema entfaltet. Das müssen wir auch mal zugeben. Wir drohen die junge Generation zu verlieren. Das darf uns nicht passieren.
Gehören zu einer anderen SPD-Klimapolitik auch neue Prioritäten in der Verkehrspolitik?
Kampmann: Ja. Es muss Schluss damit sein, dass eine Bahnfahrkarte teurer ist als ein Flugticket. Innerdeutsche Flüge sollte es im Idealfall gar nicht mehr geben. Dafür müssen wir die Infrastruktur massiv ausbauen. Und im öffentlichen Personennahverkehr muss es in Richtung eines kostenfreien Angebots gehen.
Roth: Eine Verteufelung des Autos machen wir aber nicht mit. Denn es gibt gerade auf dem Land zu viele Menschen, die darauf angewiesen sind.
Ist das Thema soziale Gerechtigkeit nicht mehr so wichtig?
Kampmann: Gerechtigkeit bleibt das zentrale Thema der SPD. Es braucht eine Gerechtigkeitspartei. Und dennoch kommt die SPD nicht an. Das ist ein Jammer! Unser Zukunftsversprechen muss sein: Wir gestalten den digitalen Wandel in der Arbeitswelt so, dass er den Menschen nützt. Mit wachsender Ungleichheit und sozialer Spaltung finden wir uns nicht ab.
Die SPD ist bei der Europawahl auf 15,8 Prozent gestürzt, in Umfragen nun sogar bis auf 12 Prozent. Wie konnte das passieren?
Roth: Ein wichtiger Punkt ist der Umgang miteinander in der Partei. Da war vieles verletzend. Deshalb sagen wir deutlich: Wir bieten unseren Mitbewerbern um den Parteivorsitz einen Pakt für Fairness und Respekt an. Niemand soll anderen absprechen, ein guter Sozialdemokrat zu sein, bloß weil er einen anderen Standpunkt vertritt. Wir stehen für einen fairen Wettstreit. Das ist es, was unsere Partei jetzt braucht.
Braucht eine Partei mit derartigen Umfragewerten eigentlich noch einen Kanzlerkandidaten?
Roth: Wir wollen nicht ständig auf Umfragen schielen und danach unsere Politik ausrichten. Unser Ziel ist es, die SPD wieder stark zu machen. Dafür müssen wir nach außen aber wieder viel mehr Zuversicht und Freude ausstrahlen, damit die Menschen spüren: Die kann man wählen!
Würden Sie als neue Parteivorsitzende in der großen Koalition bleiben wollen?
Kampmann: Die große Koalition ist wahrlich kein Wunschbündnis. Die SPD ist eine linke Volkspartei und wir wollen für progressive Mehrheiten in diesem Land kämpfen. Die große Koalition ist aber nicht der einzige Grund, warum es der SPD so schlecht geht. Unser Ansatz ist: Die Mitglieder sollen entscheiden, ob es nach zwei Jahren großer Koalition und einer ehrlichen Halbzeitbilanz noch weitergehen kann.
Also ein Mitgliedervotum nach dem Parteitag?
Roth: Wir sind mit Mitgliedervotum in diese Regierung gegangen. Bei der Frage über ihre Zukunft sollten die Mitglieder wieder beteiligt werden. Die Aufgabe der Parteiführung ist es, die SPD in eine strategisch deutlich bessere Lage zu bringen.
Was ist Ihre Antwort?
Roth: Wir müssen offener werden und dürfen in Koalitionsfragen nicht mehr so verkniffen sein. Die CDU hat sich schon lange mit Jamaika und Schwarz-Grün angefreundet. Die SPD wagt jetzt erst in Bremen zum ersten Mal in einem westdeutschen Land eine rot-rot-grüne Koalition. Da müssen wir uns künftig mehr trauen, offener sein.
Von außen wirkt die SPD für viele Menschen träge und verstaubt. Was wollen Sie an den Strukturen ändern?
Kampmann: Die kommunale Ebene ist in der Parteiführung zu schlecht repräsentiert. Dabei haben wir tolle sozialdemokratische Bürgermeister und Landrätinnen, die großartige Arbeit leisten. Wir wollen, dass künftig jeder dritte Vorstandsposten an jemanden aus den Kommunen geht.
Roth: Die SPD braucht jetzt die ganze Kraft ihrer Parteivorsitzenden. Auf uns wartet harte Arbeit. Mit der Wahl werde ich als Europa-Staatsminister zurücktreten.
Wie wollen Sie Menschen einbinden und begeistern, die nicht in der Partei sind?
Roth: Wir schlagen vor, die Wahllisten für Außenstehende zu öffnen: Jeder fünfte Listenplatz soll Persönlichkeiten wie der Schichtarbeiterin, dem Künstler, der Betriebsrätin, dem Krankenpfleger auch ohne Parteibuch offenstehen.
Für Ihre Kandidatur brauchen Sie Unterstützung von einem Landesverband, einem Bezirk oder fünf Unterbezirken. Wer wird Sie offiziell unterstützen?
Kampmann: Heute erklären wir, dass wir als Team für den Parteivorsitz antreten wollen und bitten um Unterstützung. Bereits jetzt spüren wir viel Zuspruch für unsere Kandidatur. Wir freuen uns auf unsere Tour durch Deutschland.
Was ist, wenn Sie am Ende von den Mitgliedern nicht gewählt werden?
Roth: Wir haben ein gutes Gefühl. Dieser Prozess ist für die SPD eine tolle Chance, sich von ihrer besten Seite zu zeigen: Frischer als bisher und mit einer Streitkultur, die von Respekt getragen ist.
Haben Freunde und Verwandte Sie eigentlich gewarnt: „Du willst den SPD-Vorsitz – bist du verrückt?“
Kampmann: Ich kenne viele Menschen, denen die SPD am Herzen liegt. Sie freuen sich, dass ich dabei mit anpacken will.
Roth: Als Andrea Nahles zurückgetreten ist, waren mein Mann und ich auf einer Radtour. Er hat spontan gesagt: „Vielleicht braucht die SPD jetzt einen Typen wie dich.“ Ich habe erst gedacht: Will der mich jetzt veralbern? Es war für mich aber ein erster Anstoß nachzudenken. Mein Mann hat eben gute Ideen.
Interview: Gordon Repinski und Tobias Peter
Der Politologe Michael Roth, 48, ist seit 1998 SPD-Bundestagsabgeordneter und seit 2013 Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Seit 2014 ist er auch Beauftragter der Bundesregierung für die deutsch-französischen Beziehungen. In der SPD-Fraktion hat er das Amt des europapolitischen Sprechers. In die SPD trat der Hesse schon 1987 ein. Er war in den 90er Jahren zeitweise Vizevorsitzender der Jusos. Heute sitzt er im Vorstand der Hessen- und der Bundes-SPD. Roth setzt sich europaweit für die Rechte homosexueller Menschen ein und ist selbst mit einem Mann verpartnert. (FR)
Die 38-jährige Westfälin ist derzeit SPD-Abgeordnete im Düsseldorfer Landtag und dort zuständig für die Themen Digitalisierung und Europa. Die studierte Verwaltungswirtin trat erst 2007 in die SPD ein und war zunächst in Bielefeld politisch aktiv. 2013 zog Kampmann per Direktmandat in den Bundestag ein, aber schon 2015 holte NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft sie als Familienministerin in ihr Kabinett – bis zum Regierungswechsel 2017. Auf ihrer Website hebt sie hervor, dass sie aus einfachen Verhältnissen kommt – ihr Vater sei Kfz-Mechaniker gewesen, und die Mutter führe einen Biobauernhof im Nebenerwerb. (FR)