Türkei-Wahl mit Folgen: Putin könnte seinen wichtigsten Verbündeten verlieren

Für Kreml-Chef Putin könnte die Wahl in der Türkei auch Folgen mit sich ziehen. Sollte Erdogan eine Niederlage einstecken, verliert er seinen wichtigsten Verbündeten.
Frankfurt – Die Türkei-Wahl 2023 am Sonntag (14. Mai) wird in der gesamten Welt mit Aufmerksamkeit verfolgt. Nach 21 Jahren an der Macht könnte Präsident Recep Tayyip Erdogan von Oppositionskandidat Kemal Kilicdaroglu abgesetzt werden. Die meisten Umfragen sehen Kilicdaroglu vorne. Das dürfte nicht nur bei Erdogan, sondern auch bei Kreml-Chef Wladimir Putin Besorgnis hervorrufen. Denn bei einer Niederlage Erdogans verliert er seinen wichtigsten Verbündeten.
Türkei-Wahl: Putin könnte mit Niederlage Erdogans wichtigen Verbündeten verlieren
Zwischen Erdogan und Putin herrschen persönlich äußerst enge Beziehungen, was auch die bilateralen Verflechtungen zwischen der Türkei und Russland in mehreren Gebieten prägt. Die beiden Staatsmänner haben die Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zwischen Ankara und Moskau ständig ausgebaut. 2022 überstieg das Handelsvolumen etwa 62 Milliarden Dollar, wie der US-Sender CNN berichtet. Auch auf der militärischen Ebene erreichte die Zusammenarbeit eine neue Stufe, als die Türkei 2019 die russischen S-400-Luftabwehrsysteme kaufte.
Im Energiesektor genießen die beiden Länder ebenfalls gute Beziehungen, die vor allem Ankara nützen. Die Türkei bezieht etwa 45 Prozent ihres Gases aus Russland, wie der US-finanzierte Rundfunkveranstalter Radio Free Europe (RFERL) berichtet. Vor kurzem wurde der erste türkische Nuklearreaktor, der mit russischer Hilfe gebaut wurde, in Mersin eröffnet. Außerdem sprechen die beiden Regierungen über die Errichtung eines „Gaszentrums“ in der Türkei. Das russische Gas soll dem Plan zufolge von dort aus weiterverkauft werden.
Türkei-Wahl: Ankara ist im Ukraine-Krieg von großer Bedeutung für Moskau
Für Putin ist die Türkei, ein NATO-Mitglied, besonders von Bedeutung, um die internationale Isolation im Hintergrund des Ukraine-Krieges zu brechen. Mit Treffen zwischen dem Kreml-Chef und Erdogan wird die Darstellung vermittelt, Russland sei trotz der „Angriffe“ aus dem Westen nicht isoliert und immer noch ein respektiertes Mitglied der internationalen Staatengemeinschaft.
Außerdem kann Moskau mit dem Ausbau der Beziehungen zur Türkei ein Keil in die Nato treiben, was durch die Spannungen zwischen westlichen Hauptstädten und Ankara zusätzlich begünstigt wird. Die Türkei blockiert zum Beispiel weiter die Nato-Mitgliedschaft von Schweden. Das kommt Russland natürlich zugute. Hinzu kommt, dass Moskau über die Türkei westliche Sanktionen umgehen kann. Ankara selbst beteiligt sich nicht an den Strafmaßnahmen. Kurz und knapp gefasst: Für Russland erfüllt die Türkei unter Erdogan wichtige wirtschaftliche und diplomatische Funktionen. Sie bietet Spielraum und Luft für die russische Politik.
Türkei-Wahl: Kilicdaroglu will Richtung Ankaras „neu kalibrieren“
Bei einer Niederlage Erdogans droht aber vieles davon sich zu ändern. Denn in mehreren Interviews hat Kemal Kilicdaroglu, der mögliche zukünftige Präsident der Türkei, bereits versprochen, unter seiner Leitung werde sich das Land am Bosporus wieder dem Westen und Europa zuwenden. „Wir werden unsere Richtung neu kalibrieren und nicht die Beziehungen mit dem Kreml, sondern Beziehungen mit dem Westen priorisieren“, versicherte er Anfang Mai gegenüber dem britischen Sender BBC. „Mit unserem Sieg am 14. Mai werden wir uns wieder dem Westen zuwenden“, schrieb er in der britischen Zeitschrift The Economist.
Auch sein außenpolitischer Berater Ünal Ceviköz gab dutzende Interviews zu der zukünftigen, außenpolitischen Ausrichtung der Türkei. Der Hauptgedanke ist immer derselbe: Man werde Beziehungen mit Russland zwar aufrechterhalten und nicht alle Aspekte der Erdogan-Regierung über Bord werfen, doch man wolle dies aus einer nach Westen gerichteten Position heraus, mit einer Anerkennung für westliche Werte machen. Alle Informationen und Entwicklungen zur Türkei-Wahl finden Sie im News-Ticker.
Türkei-Wahl: „Putin ist bereit, auch mit Kilicdaroglu zu arbeiten“
Die Türkei wird höchstwahrscheinlich weiter großteils neutral im Ukraine-Krieg bleiben und ihre Vermittlerrolle nicht aufgeben – eine Meinung, die auch der amerikanische Ex-Botschafter für die Türkei, James Jeffrey, vertritt. Auch werde sich die Türkei weiterhin nicht an den westlichen Sanktionen gegen Russland beteiligen, erklärte er gegenüber dem US-Magazin Newsweek. Allerdings werde man sehr wahrscheinlich den Nato-Beitritt von Schweden und somit die Expansion des Bündnisses genehmigen. Dabei handelt es sich um eines der Wahlversprechen des Oppositionslagers.
„Putin mag es, es mit Staatspräsidenten zu tun zu haben, die er für stark und berechenbar hält, auch wenn sie seine Verbündeten in Syrien bombardieren oder sich gegen Russland und dessen Verbündete im Kaukasus, Libyen und Nordwest-Syrien stellen“, so Jeffrey. Putin wolle Amtskollegen sehen, die so seien wie er: „Und das ist Erdogan, nicht Kilicdaroglu.“
Egal, wer die Wahl gewinnt: Für Putin sind die Beziehungen mit der Türkei von fast lebenswichtiger Bedeutung. „Putin unterstützt auf jeden Fall Erdogan, aber er wäre auch dazu bereit, mit Kilicdaroglu zu arbeiten“, sagte Eleonora Tafuro vom italienischen Institut ISPI gegenüber Newsweek. Er wäre nur ungern bereit dazu, die wichtigen Beziehungen zur Türkei zu verlieren. Sicher ist aber, dass er es mit Kilicdaroglu schwieriger haben wird. Wie schwer, wird sich noch zeigen. Zunächst aber muss Kilicdaroglu am 14. Mai triumphieren. (bb)