Ukraine-Krieg: Wie Russland seine Kriegsverluste kaschieren soll

„Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit“, soll es bereits in der Antike geheißen haben. Wie wahr sind Russlands Angaben zu Verlusten im Krieg gegen die Ukraine?
Moskau – Die Angaben zu getöteten Soldaten im Ukraine-Krieg gehen weit auseinander. Der ukrainische Generalstab schätzt, dass seit Kriegsbeginn etwa 18.600 russische Soldaten getötet wurden. Russland hatte am 25. März 1351 getötete Soldaten genannt. Die Nato schätzt, dass von den 150.000 bis 200.000 russischen Soldaten in der Ukraine 30.000 bis 40.000 nicht mehr kampffähig sind – weil sie entweder getötet, verwundet oder gefangen genommen wurden.
Die tatsächliche Zahl ist unklar, die Angaben sind nicht unabhängig überprüfbar. Es bleiben zumindest Zweifel an den russischen Angaben. Zuletzt gab es mehrere Berichte, wonach Russland seine tatsächlichen Verluste kaschieren würde.
Ukraine-Krieg: Verletzte und getötete Soldaten - unklare Angaben
Die Moscow Times berichtet von Fällen, wonach Russland eigene Soldaten als einsatzfähig ausweist, obwohl sie in Wahrheit verletzt oder getötet wurden. Die Mutter eines 21-jährigen Soldaten habe rund zwei Wochen versucht, Kontakt zu ihrem Sohn aufzunehmen. Dann habe sie ihn als Kriegsgefangen in einem Video gesehen, das von einem ukrainischen Telegramkanal veröffentlicht wurde. Sie habe sie an die Militäreinheit, in der ihr Sohn diente, geschrieben und nach ihrem Sohn gefragt. Die Antwort: „Der Soldat ist im Einsatz.“
Gegenüber der Moscow Times schildert die Mutter: „Er war nicht in den Listen der Kriegsgefangenen aufgeführt, aber wir haben erfahren, dass er mit einer schweren Beinverletzung in einem Krankenhaus in Dnipropetrowsk liegt. Mehr wissen wir nicht, nicht einmal, ob er noch lebt.“
Ein namentlich nicht genannter Militäranalyst sagte der Zeitung, wie mit diesen Soldaten umgegangen werde. „Spezialbrigaden sammeln die Verwundeten ein, bringen die Verstorbenen weg, wenn möglich, und registrieren die Toten. Dann werden die Daten an den Kommandeur weitergegeben, der einen Bericht verfasst und ihn in der Befehlskette weiterleitet. Aber die Berichte sind heutzutage sehr grob, und niemand kennt die Zahl der Opfer“.
Ukraine-Krieg: Verbrennt Russland tote Soldaten in einem Krematorium?
Verwundete oder getötete Soldaten gelten im Krieg als Schwäche. Zu hohe Zahlen würden wohl die Moral schwächen. Werden sie deshalb verfälscht? Die Ukraine wirft Russland vor, mobile Krematorien zu nutzen. Ukrainische Behörden und Medien sagten, Russland würde die Leichen eigener Soldaten verbrennen, um somit die Zahlen getöteter Truppen zu vertuschen. Belegt ist das nicht. Es habe im seit 2014 andauernden Ukraine-Konflikt aber bereits ähnliche Situationen gegeben, sagt der Politikwissenschaftler und Militärexperte Gustav Gressel dem Sender ntv: „Beim Krieg im Donbass ließ die russische Armee ihre toten Soldaten verbrennen, um so ihren Einsatz zu vertuschen.“
Der britische Verteidigungsminister Ben Wallace geht davon aus, dass diese mobilen Krematorien auch jetzt im Einsatz sind, um Gefallene „verdampfen“ zu lassen, wie Wallace der britischen Zeitung The Telegraph sagte. „Wenn ich Soldat wäre und wüsste, dass meine Generäle so wenig Vertrauen in mich hätten, dass sie mir mit einem mobilen Krematorium folgen, oder ich die Mutter oder der Vater eines Sohnes wäre, der in einem Kampfgebiet eingesetzt wird, und meine Regierung die Verluste mit einem mobilen Krematorium zu vertuschen versucht: Dann wäre ich sehr, sehr besorgt.“

Ukraine-Krieg: „Wir wollen die Leichen nicht behalten“
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sagte Ende März, das russische Verteidigungsministerium habe sich geweigert, die Leichen russischer Soldaten abzutransportieren. „Wir wollen die Leichen nicht behalten“, sagte Selenskyj. „Zuerst haben sie sich geweigert, dann haben sie angeboten, Leichensäcke zu schicken. Selbst wenn ein Hund oder eine Katze stirbt, behandelt man sie besser.“

Oleksandr Kamyshin, Chef der ukrainischen Eisenbahn, erklärte auf Telegram, Russland hätte 20 von der Ukraine zur Verfügung gestellte Kühlwägen für den Leichentransport abgelehnt. „Um der ‚siegreichen‘ Propaganda willen sind sie bereit, den Müttern sogar die Möglichkeit zu nehmen, die Leichen zu begraben“, schrieb Kamyshin.
Ukraine-Krieg: Auch unklare Angaben zu ukrainischen Truppen
Auch zu den im Krieg gefallenen ukrainischen Soldaten gibt es nur abweichende Informationen. Kiew hat bisher zweimal Zahlen genannt, zuletzt am 12. März. Bis zu diesem Zeitpunkt seien rund 1300 ukrainische Soldaten getötet worden. Im Krieg wird üblicherweise davon ausgegangen, dass auf einen toten Armeeangehörigen drei Verletzte kommen. Das hieße, dass mehr als 5000 ukrainische Soldaten außer Gefecht sind. Auch diese Zahl ist wahrscheinlich zu niedrig. Auch zu ukrainischen Verlusten gibt es kaum unabhängige Informationen. „In Wirklichkeit wissen wir gar nichts darüber“, sagt Michael Kofman vom US-Thinktank CNA der Nachrichtenagentur AFP. (as)