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So mischt der deutsche Bundestag bei der Türkei-Wahl mit

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Von: Anne-Christine Merholz

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Es ist wohl die wichtigste Wahl im Ausland für die deutsche Politik. Bis Sonntag stimmt die Türkei über ihr Parlament und Präsidenten ab. Und eine deutsche Partei überschreitet dabei eine Grenze.

Berlin - Für rund 3,4 Millionen Wahlberechtigte im Ausland endet an diesem Dienstag die Abstimmung für die Parlaments- und Präsidentschaftswahl in der Türkei. Unter den 1,5 Millionen Menschen in Deutschland mit türkischem Pass zeichnet sich mit 43 Prozent eine hohe Wahlbeteiligung ab. 2018 lag sie bei 38,5 Prozent.

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan muss nach 20 Jahren an der Macht um seine Wiederwahl fürchten. Umfragen sehen ihn Kopf-an-Kopf mit Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu. Umso mehr wird auf das Votum der Türken im Ausland geschaut. Und die Gruppe der Auslandstürkinnen und Auslandstürken ist in Deutschland am größten.

Dementsprechend groß ist das Interesse von der deutschen Politik, auf diese Gruppe einzuwirken. So groß, dass von CDU bis Linke Bundestagsabgeordnete aller demokratischen Parteien gemeinsam auf einer Pressekonferenz am Montag über die Wahlen in der Türkei sprechen: Serap Güler (CDU), Ates Gürpınar (Die Linke), Macit Karaahmetoğlu (SPD), der Vorsitzende der Deutsch-Türkischen Parlamentariergruppe Max Lucks (Grüne) und sein Vize Jens Teutrine (FDP).

Die Wahl am Sonntag, sie ist eine Schicksalswahl für die Türkei und Europa. Denn es ist die letzte Chance darauf, dass sich die Türkei der Europäischen Union wieder annähert und ein Beitritt möglich werden kann. Das geht nur ohne Erdogan, da sind sich die Bundestagsabgeordneten einig. Wie sehr sich aber in die Wahl eingemischt werden darf, darüber gibt es Differenzen.

Spitze der Grünen ruft zu Wahl von Gegenkandidaten auf

Vergangene Wochen hatten die beiden Vorsitzenden der Grünen, Ricarda Lang und Omid Nouripour dazu aufgerufen, statt Erdogan seinen aussichtsreichsten Herausforderer und Oppositionsführer Kemal Kılıçdaroğlu zu wählen.

Für Bundestagsabgeordnete Serap Güler (Union) geht der Wahlaufruf der Grünen-Parteichefs zu weit: „Wir verbitten uns zu Recht eine Einmischung von türkischen Politikern bei Bundestags- oder Landtagswahlen. Wir unterscheiden uns dann wenig von Erdogan, wenn das gemacht wird – egal mit welcher Absicht“. Der türkische Präsident hatte 2017 dazu aufgerufen, CDU, SPD und Grüne nicht zu wählen. Das hatte heftige Kritik in Deutschland ausgelöst.

Güler warnt davor, dass solche deutlichen Wahlaufrufe Erdogan sogar nutzen. Das sei „Futter für die Propaganda-Maschinen“ des türkischen Präsidenten. Denn schon jetzt wird von der türkischen Regierung behauptet, dass das Ausland versuche, die Regierung aus dem Amt zu putschen. Auch SPD-Bundestagsabgeordnete Macit Karaahmetoğlu glaubt, dass die Grünen damit „Erdogan in die Karten gespielt“ haben. Sein Fazit: „Die Absicht war gut, aber das Ergebnis ist es nicht.“

Max Lucks (Grüne) widerspricht und nimmt seine Parteichefs in Schutz. Man müsse unterscheiden, dass Ricarda Lang und Nouripour kein Regierungsamt innehaben, sondern nur als Parteichefs gesprochen hätten.

Die fünf Bundestagsabgeordneten bei der Pressekonferenz
Die fünf Bundestagsabgeordneten bei der Pressekonferenz © privat

Einen türkischen Wahlkampf in Deutschland wie vor fünf Jahren, bei dem sich Präsident Erdogan in riesigen Hallen in deutschen Großstädten feiern ließ, gab es dieses Mal nicht. Denn danach hatte es Streit um die Wahlkampfauftritte  gegeben. Inzwischen sind solche Auftritte ausländischer Politiker drei Monate vor den Abstimmungen in ihren Ländern nicht mehr erlaubt.

Bundestagsabgeordnete als Wahlbeobachter in der Türkei

Bei den Wahlen in der Türkei schwingt die Angst, dass es zu Manipulationen kommen kann, mit. Deshalb wird Max Lucks, wie Politiker aller Fraktionen des deutschen Bundestages, als Wahlbeobachter am Sonntag vor Ort sein – organisiert von der OECD und dem Europarat. Es sind die größten Missionen in der Geschichte der OECD und des Europarates.

Hunderttausende Beobachter von Regierung und Opposition sollen die Urnen in der Wahlnacht absichern. Das macht Betrug zumindest schwieriger. Zu Problemen kann es trotzdem kommen: Ein neues Wahlgesetz sehen Experten etwa kritisch, unter anderem, weil dadurch die Gefahr gestiegen ist, dass regionale Wahlausschüsse mit Erdogan-Loyalisten besetzt werden. 2018 hatte sich Erdogan zudem schon zum Sieger erklärt, bevor alle Stimmen ausgezählt waren. Die Wahlbehörde YSK gilt als politisiert und hatte in der Vergangenheit Entscheidungen zugunsten Erdogans getroffen.

Erdogan hat seit der Einführung eines Präsidialsystems 2018 so viel Macht wie noch nie und kann weitestgehend am Parlament vorbei regieren. Kritiker fürchten, dass das Land mit rund 85 Millionen Einwohnern vollends in die Autokratie abgleiten könnte, sollte er erneut gewinnen. Die Opposition will zurück zum parlamentarischen System. Bestimmendes Thema im türkischen Wahlkampf ist vor allem die schlechte wirtschaftliche Lage mit einer massiven Inflation. Für Europa spielt die Türkei in der Migrationspolitik eine große Rolle: Das Land beherbergt 3,5 Millionen Flüchtlinge alleine aus Syrien.

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