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Mit der Gen-Schere gegen die Klimakrise

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Von: Jana Ballweber

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Wenn es zu lange nicht regnet, sinken die Erträge der Landwirtschaft
Wenn es zu lange nicht regnet, sinken die Erträge der Landwirtschaft © afp

Dürren gefährden die Landwirtschaft. Forschende wollen mit neuen Züchtungsmethoden gegensteuern - doch die sind politisch umstritten

Wenn mit fortschreitender Klimakrise das Wetter unberechenbarer wird, überträgt sich diese Unsicherheit auch auf die Landwirtschaft. Extremwetterereignisse nehmen an Intensität und wohl auch an Häufigkeit zu. Wie die Erträge ausfallen, lässt sich immer schwerer vorhersagen; Dürren oder Überschwemmungen können Ernten gefährden. Um die immer noch wachsende Weltbevölkerung ernähren zu können, setzen viele ihre Hoffnungen in die Gentechnik.

Durch Eingriffe von Wissenschaftler:innen sollen Pflanzen widerstandsfähiger gegen äußere Bedingungen werden. „Alle Vorhersagen zeigen, dass die Ernteerträge durch den Klimawandel zurückgehen werden“, sagt Stephan Clemens, Professor für Pflanzenphysiologie an der Universität Bayreuth. Wenn der Regen nicht mehr zur richtigen Zeit fällt, trockene Perioden auftreten und Temperaturen höher sind, leiden viele Sorten, weil sie sich nicht schnell genug anpassen können. Die Gentechnik soll den entscheidenden Vorteil verschaffen, so Clemens: „Wir müssen versuchen, bei der Pflanzenzüchtung mit dem Klimawandel Schritt zu halten und bei der Sortenentwicklung schneller zu werden.“

Größte Hoffnung für die nötige Beschleunigung: Genomeditierung mithilfe der sogenannten Gen-Schere Crispr/Cas. Die Technologie wurde vor zehn Jahren von Genforscher:innen entwickelt. Sie erlaubt es, den DNA-Strang an einer genau festgelegten Stelle zu durchtrennen und wieder neu zusammenzusetzen. Den Schnitt setzt das Enzym Cas9, dem die Information mit auf den Weg gegeben wurde, an welchem Gen es ansetzen soll. Das Reparatursystem der Zelle flickt den DNA-Strang dann wieder zusammen. Auf diese Weise können Gene einfach ausgeschaltet – oder auch gezielt verändert werden, wenn man dem Reparatursystem eine etwas veränderte Vorlage mitgibt, nach der es das Gen wieder zusammenbaut.

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Kennen Fachleute also das Gen, das für eine bestimmte Eigenschaft verantwortlich ist, können sie es mit der Gen-Schere gezielt verändern. Der Vorteil: Die so erzeugten Varianten sind von natürlichen Mutationen, wie sie jeden Tag zufällig in Organismen geschehen, nicht zu unterscheiden. Auch die Nutzpflanzen, die viele Menschen heute als natürlich wahrnehmen, haben eine lange Geschichte von genetischen Veränderungen hinter sich, berichtet Clemens: „Natürlichkeit ist eine Illusion.“ Häufig seien diese Veränderungen nötig gewesen, damit diese Pflanzen überhaupt als Nutzpflanzen dienen können und ausreichend Nahrung hervorbringen.

Noch lange bevor überhaupt bekannt war, was ein Gen oder DNA ist, fingen Menschen an, systematisch Individuen einer Art so miteinander zu kreuzen, dass bestimmte Eigenschaften vom einen auf das andere Individuum übergingen, so Clemens. Es war immer noch ein ziemliches Glücksspiel, ob die Pflanze hinterher tatsächlich die gewünschten Eigenschaften aufwies. Weil die Vielfalt der Variationen, die durch Kreuzungen entstanden, immer noch klein war, begannen Züchter:innen irgendwann, mit radioaktiver Bestrahlung und DNA-verändernden Chemikalien eine große Menge an zufälligen Variationen zu erzeugen und die wünschenswerten Mutationen in den Genen der Pflanzen zu selektieren und zu vermehren.

Clemens berichtet: „Praktisch alle Gerstensorten, die in Europa angebaut werden, stammen von ‚Urgroßeltern‘, die einer solchen Bestrahlung ausgesetzt waren. In diesen Vorfahren waren Veränderungen aufgetreten, die zufällig günstig für die Eigenschaften von Gerste sind.“ Ob eine bestimmte Gerstenpflanze durch Kreuzung, Bestrahlung oder die moderne Genomeditierung mittels Crispr/Cas-Technologie verändert wurde, lasse sich im Nachhinein nicht mehr unterscheiden, so Clemens.

Züchtung mit Crispr/Cas: Die Veränderungen sind nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden

Denn anders als bei herkömmlicher Gentechnik werde bei der Crispr/Cas-Technologie keine fremde DNA in die Zelle eingesetzt. Die Veränderungen, die mit der Gen-Schere vorgenommen werden, sind nicht von natürlichen Mutationen zu unterscheiden. Der Vorteil ist, dass die Eigenschaften gezielt verändert werden können und die Züchter:innen nicht etwa vom Zufall abhängig sind.

Dass man genomeditierte Pflanzen nicht von herkömmlichen Züchtungen unterscheiden könne, bedeute auch, dass sie keine größeren Risiken bei einem Anbau auf dem Feld bedeuten, sagt Clemens: „In der Wissenschaft kann man nie behaupten, dass es keine Risiken gibt. Aber man kann sie einordnen und auf Plausibilität überprüfen.“ Die Tausenden Studien, die in den letzten Jahren weltweit zu Risiken gentechnisch veränderter Pflanzen durchgeführt worden seien, geben laut Clemens keinerlei Anlass für den Glauben, dass ein größeres Risiko bestünde als bei herkömmlichen Züchtungen.

Das ändert aber nichts daran, dass große Teile der deutschen Gesellschaft Gentechnik in der Landwirtschaft ablehnend gegenüberstehen. In einer Forsa-Umfrage sprachen sich 2021 60 Prozent der Befragten gegen den Anbau gentechnisch veränderter Pflanzen in Deutschland aus – auch bei „neuen Verfahren“. In einer Studie des Umweltministeriums aus dem Jahr 2019 waren sogar 81 Prozent der Befragten für ein Verbot von Gentechnik in der Landwirtschaft.

Umweltorganisationen haben Vorbehalte gegen Gentechnik

Genährt werden diese Vorbehalte von Umweltorganisationen wie Greenpeace, die sich schon seit langem vehement gegen gentechnische Veränderung von Pflanzen in der Landwirtschaft aussprechen. In einem Artikel auf der Webseite schreibt Greenpeace 2021: „Keiner weiß genau, was in der Pflanze genau passiert, nachdem ihre Gene verändert wurden. Es könnten zum Beispiel neue Giftstoffe gebildet werden oder Eiweiße, die beim Verzehr der Pflanze Allergien auslösen. In Zulassung und Risikobewertung können akute Effekte zwar weitgehend ausgeschlossen werden, insbesondere Langzeitfolgen sind aber kaum erforscht.“

Hinweise auf derartige Risiken gibt es derzeit zwar keine. Das ändert aber nichts an der ablehnenden Haltung der Umweltschutzorganisation. Sie sprechen sich einerseits gegen einen Einsatz von Crispr/Cas aus, weil mögliche Langzeitfolgen nicht ausreichend erforscht seien. Gleichzeitig wollen sie den Anbau von Genpflanzen grundsätzlich verbieten, was die Forschung erschwert.

Auch die Bundesregierung zeigt sich sehr zögerlich, die Regulierung von Gentechnik zu überdenken. Eine Sprecherin des Bundeslandwirtschaftsministeriums wollte auf FR-Anfrage nicht beantworten, ob Minister Cem Özdemir (Grüne) sich in Zukunft für eine Lockerung der Anforderungen an Pflanzen einsetzen wird, die mit der Gen-Schere Crispr/Cas verändert wurden. Sie verwies lediglich auf eine Stellungnahme des Ministers im Rahmen der „Grünen Woche“, die Ende Januar in Berlin stattgefunden hat. Dort hatte Özdemir betont, dass Forschung zu neuen gentechnischen Verfahren nicht verboten sei.

Neue Gentechnik: Forscher betont die Nutzen für die Landwirtschaft

In der Theorie ist das zwar richtig, in der Praxis seien die Hürden für Forscher:innen trotzdem hoch, berichtet Clemens: „Die Forschung ist in Deutschland massiv behindert, weil wir keine Chance haben, die Erkenntnisse, die wir im Labor gewinnen, auch unter Freilandbedingungen zu testen.“ Die Hürden für Freilandversuche seien so hoch, dass es für Universitäten finanziell und bürokratisch nicht zu stemmen sei. Ohne die Freilandversuche könne man aber auch nie zu nutzbaren Anwendungen kommen: „Es ist wie bei der Entwicklung von Medikamenten. Irgendwann kommt der Punkt, an dem ich alles Mögliche getestet habe und ich es auch mal an Menschen testen muss“, so Clemens.

Das Potenzial dieses Wissens aus dem Labor sei besonders bei der Bewältigung der Klimakrise hoch. Neben der schnelleren Anpassung von Nutzpflanzen an sich verändernde Umweltbedingungen, können man auch Pflanzen, die bislang züchterisch noch nicht erschlossen seien, schneller für die Nahrungsproduktion nutzbar machen. Und auch den ökologischen Fußabdruck des Landwirtschaftssektors hofft Clemens, mit gentechnisch veränderten Pflanzen zu verbessern: „Als Folge der Düngung, die in der Landwirtschaft unabdingbar ist, entstehen Stickoxide, die als Treibhausgase wirken.

Können wir mit Genomeditierung die Stickstoffnutzung in einer Pflanze effizienter machen, reduziert das unseren Ressourceneinsatz und damit die Menge an Stickoxiden, die in die Atomsphäre geht.“ Das allein reiche natürlich nicht, um die Klimakrise und ihre Folgen einzudämmen, betont Clemens. Aber: „Es eröffnet Möglichkeiten, die wir nutzen sollten, um Erträge zu sichern, um nachhaltigere Landwirtschaft zu betreiben und um nachhaltiger intensivieren zu können.“

Neue Gentechnik-Methoden: EU plant neuen Rechtsrahmen bis Mitte des Jahres

Hilfe könnte von der EU-Kommission kommen. Nachdem der europäische Gerichtshof (EuGH) 2018 entschieden hatte, dass auch Pflanzen, die mit der Gen-Schere verändert wurden, unter das europäische Gentechnikrecht fallen, verhandelt die EU-Kommission derzeit über eine Neuregelung des Rechts, um dem wissenschaftlichen Fortschritt der vergangenen Jahre gerecht zu werden. Anfang des Monats bestätigte der EuGH in einem Urteil, dass eine Pflanze, deren Erbgut mit Hilfe radioaktiver Strahlung oder Chemikalien verändert wurde, nicht unter die strengen Richtlinien fallen müssen, die für exakt dieselbe Pflanze gelten, die mit der Gen-Schere gezielt verändert wurde.

Mitte des Jahres soll der Rechtsrahmen zu neuartigen gentechnischen Verfahren fertig sein, doch dem Vernehmen nach herrscht in der Ampel-Koalition Streit über die deutsche Position in den Verhandlungen. Das FDP-geführte Forschungsministerium ist für eine Neuregelung moderner Gentechnikmethoden wie der Gen-Schere Crispr/Cas, sagte die Ministerin Bettina Stark-Watzinger dem „Tagesspiegel“ im Dezember. SPD und Grünen wollen bei der derzeitigen strengen Regulierung bleiben. Dementsprechend unbestimmt fiel das Kapitel zu neuen Züchtungsmethoden in einem aktuellen Strategiepapier der Bundesregierung zu Forschung und Innovation aus: Bei der Positionierung Deutschlands in einer Vorreiterrolle für die Forschung an klimaresistenten Pflanzen werde man auch die Chancen und Risiken von Crispr/Cas in den Blick nehmen, heißt es dort.

In einer Stellungnahme setzen sich zwei der größten Forschungsorganisationen in Deutschland, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Leopoldina für eine Neuregelung auf Basis wissenschaftlicher Evidenz ein. DFG-Präsidentin Katja Becker sagt: „Neue molekulare Züchtungstechniken erlauben eine bisher nie dagewesene Präzision und Effizienz in der Verbesserung von Nutzpflanzen. Dieses Potenzial sollte zur Erreichung der Nachhaltigkeitsziele ausgeschöpft werden.“ Forschung und Anwendung in Europa könnten demnach nur durch eine neue evidenzbasierte europäische Regelungspraxis gelingen, die den Erfahrungen der letzten Jahrzehnte auch in Bezug auf Chancen und Risiken Rechnung trage.

Das sieht auch Clemens so: „Wir sind nicht gegen Regulierung und Risikobetrachtung. Wir setzen uns nur dafür ein, dass eine Pflanze nicht inhärent bestimmte Risiken hat, weil sie mit dieser oder jener Technik entwickelt wurde.“ Dafür gebe es keine Evidenz. „Es geht ja nicht darum, Regulierung komplett abzuschaffen, sondern darum, eine andere Regulierung einzuführen und nicht so zu tun, als hätte sich wissenschaftlich in den letzten 25 Jahren nichts verändert.“

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