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Wer ist Evan Gershkovich, der US-Journalist, den Russland inhaftiert?

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Von: Daniel Roßbach

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Der Journalist Evan Gershkovich wurde Ende März von russischen Sicherheitsorganen festgenommen.
Der Journalist Evan Gershkovich wurde Ende März von russischen Sicherheitsorganen festgenommen. © AFP

Vor seiner Festnahme berichtete Evan Gershkovich viele Jahre lang aus Russland und entdeckte dort auch eine neue Verbundenheit zu den jüdischen Wurzeln seiner Familie, die vor antisemitischer Diskriminierung aus der Sowjetunion geflohen ist. Ein Porträt.

Als „Mensch sehr lustig, sehr angenehm, mit einer großen Liebe für Fußball und Eishockey – und als Journalist sehr angesehen und erfahren“. So beschreibt sein Kollege vom „Wall Street Journal“ Georgi Kantchev den Reporter Evan Gershkovich. Er wurde Ende März in Jekaterinburg von Agenten des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB unter dem Vorwurf der Spionage festgenommen, als erster US-Journalist seit Ende des sogenannten Kalten Kriegs. Erst sechs Tage nach seiner Verhaftung konnten von Gershkovichs Arbeitgeber beauftragte Anwälte den Inhaftierten persönlich treffen und der Außenwelt berichten, dass er wohlauf und dankbar für die breite Unterstützung für ihn sei. Eine Erleichterung für den Moment auch für den Kollegen Kantchev, der sich außerdem ermutigt davon zeigt, dass die US-Regierung betont, Gershkovichs Fall als Priorität zu behandeln: „Als Zeitung und als Freunde tun wir alles, was wir können, damit Evan frei kommt.“

Kantchev ist Co-Autor von Gershkovichs jüngstem Text aus Russland, in dem darüber berichtet wird, wie die russische Wirtschaft unter den Folgen des Angriffskriegs Russlands gegen die Ukraine und der deswegen vom Westen verhängten Sanktionen ächzt. Dieser vorerst letzte Beitrag von Gershkovich aus Russland (wie alle seine Artikel aktuell auf der Website des Journals frei zugänglich) sei ein Beispiel für dessen „sehr beeindruckende“ Arbeit in dem Land, sagt Bertrand Benoit, der Leiter des Deutschland-Büros des „Wall Street Journals“. Dazu, dass Gershkovich zu sehr tiefgehenden und originellen Beobachtungen in Russland und der Ukraine fähig sei, trage auch seine tiefe persönliche und familiäre Bindung an die Region bei, so Benoit. In seiner Zeit in Russland und schon zuvor habe Gershkovich sich intensiv mit dem Land, seinen Menschen und ihrer Kultur auseinandergesetzt und verbunden gefühlt, berichtet Benoit. Auch Gershkovichs jüdische Identität habe er verstärkt wiederentdeckt, während er vor seiner Verhaftung in Russland gelebt und gearbeitet hat.

Evan Gershkovichs jüdische Familie floh wegen antisemitischer Diskriminierung aus der Sowjetunion

Gershkovichs Familie stammt aus der Ukraine, er wurde jedoch in den USA geboren, nachdem sowohl die Familie seiner Mutter als auch die seines Vaters 1979 aus der Sowjetunion emigrierten. Beide Familien litten in der Sowjetunion unter antisemitischer Diskriminierung, nachdem viele ihrer Mitglieder im Holocaust ermordet worden waren.

Der 31 Jahre alte Gershkovich berichtet seit Januar 2012 für das „Wall Street Journal“, eine der größten und renommiertesten Tageszeitungen der USA, aus Russland, der Ukraine und den Staaten der früheren Sowjetunion. Einen Teil seiner Zeit verbrachte er dazu im vergangenen Jahr in Russland, einen anderen in Berlin. Zuvor war er bereits für die Nachrichtenagentur AFP und die unabhängige, englischsprachige Publikation „Moscow Times“ in Russland journalistisch tätig. Er habe „sehr viel Erfahrung in dem Land gehabt“, sagt auch Gershkovichs Kollege Kantchev. Die Spionage-Vorwürfe gegen den Journalisten weist Kantchev als „kategorisch falsch“ zurück.

Die Nachricht von der Verhaftung seines Kollegen sei für ihn ein „Schock“ gewesen, berichtet Kantchev. Obwohl für alle in Russland journalistisch Tätigen klar gewesen sei, dass von dort unabhängig und frei zu berichten in letzter Zeit und vor allem seit Beginn des großflächigen Kriegs gegen die Ukraine zunehmend schwierig wurde, habe es ihn überrascht und es sei „merkwürdig, dass das einem ausländischen Journalisten geschieht“, sagt Kantchev, der selbst vor der Invasion drei Jahre lang aus Russland berichtet hat.

Einschränkungen für freie Presse in Russland immer restriktiver

Einschränkungen für eine freie Presse seien auch in dieser Zeit schon offensichtlich gewesen, ausländische Reporter:innen hätten sich „jedoch nicht so sehr unter Druck gefühlt wie einheimische – das ist jetzt mit Evans Verhaftung anders geworden“, so Kantchev. Auch das Vorgehen gegen Gershkovich werde das „Journal“ aber nicht davon abhalten, „weiter unsere Mission zu erfüllen“.

Während Gershkovichs Verhaftung die erste eines US-amerikanischen Journalisten in Russland seit mehreren Jahrzehnten ist, gab es in jüngerer Vergangenheit weitere Fälle, in denen Menschen aus dem Ausland in Russland aus politischen oder fragwürdigen Gründen festgenommen wurden.

So wurde jüngst der chinesische Blogger Haoyang Xu in Kazan festgenommen weil ihm „LGBT Propaganda“ vorgeworfen wird. Einem Gerichtsbeschluss nach soll Xu nach China abgeschoben werden. Der bekannteste Fall, in dem der russischen Justiz vorgeworfen wurde, willkürlich gegen Menschen aus dem Ausland vorgegangen zu sein, ist der der professionellen Basketball-Spielerin Brittney Griner, die kurz vor Russlands voller Invasion der Ukraine festgenommen und wegen angeblicher Drogendelikte – bei ihr wurde eine geringe Menge Haschisch-Öl gefunden – verurteilt wurde. Griner wurde im Dezember im Tausch mit dem russischen Waffenhändler Viktor Bout, der in den USA wegen illegalem Handel mit Kriegsgerät in Haft war, freigelassen.

Dass es frühestens nach einem Urteil zu einer Freilassung oder einem solchen Austausch kommen könnte, wird auch im Fall von Evan Gershkovich befürchtet.

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