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Wagenknecht und Schwarzer: Mission Wachstum um fast jeden Preis

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Von: Martin Benninghoff

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Fühlen sich wohl auf der Bühne: Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. Monika Skolimowska/dpa
Fühlen sich wohl auf der Bühne: Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht. (Monika Skolimowska/dpa) © Christian Ditsch/epd

Die Friedensdemonstration von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht in Berlin polarisiert. Eine Analyse.

Berlin – Spätestens seit der Amtseinführung Donald Trumps 2016 ist der Streit über die Zahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Kundgebung mehr als eine Petitesse: Es geht um Deutungshoheit und die Relevanz einer Gruppe, die sich Gehör verschaffen will. So auch am Samstag bei der Demonstration „Aufstand für den Frieden“, die die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht und die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer initiiert hatten.

Bei Schnee und eisigen Temperaturen meinte Wagenknecht, 50.000 Menschen vor der Bühne am Brandenburger Tor zu erkennen, Schwarzer sprach von einer „Bürgerbewegung“, die hier entstehe. Die Polizei zählte am Ende rund 13.000 Menschen, die für den Frieden und gegen Waffenlieferungen an die Ukraine demonstrierten. So gehen die Wahrnehmungen auseinander.

Berlin-Demo von Wagenknecht und Schwarzer: „Total glücklich“ über den Verlauf

Schwarzer zeigte sich begeistert, sie sei „total glücklich“ über den Verlauf der Demo, bei der sie und Wagenknecht Reden hielten. Auch der frühere Brigadegeneral der Bundeswehr, Erich Vad, sprach und zeigte sich zufrieden, auch wenn er am Ende nicht ganz so beschwingt auf der Bühne tanzen wollte wie die 80 Jahre alte Feministin. Wagenknechts Ehemann Oskar Lafontaine hielt sich für seine Verhältnisse im Hintergrund.

Seine Partnerin sprach sich erneut für einen Stopp der Waffenlieferungen an die Ukraine aus: „Mit jeder Waffe, die wir in das Pulverfass liefern, wächst die Gefahr eines Weltkriegs.“ Schwarzer forderte mehr Diplomatie und warnte vor einem dritten Weltkrieg. Ihre Kritik richtete sich gegen „die Politiker“, die die Gefahr ignorierten. Die populistisch-pauschale Eliten-Kritik fiel auf fruchtbaren Boden: Immer wenn der Name von Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) fiel, ertönte ein Chor an Buhrufen. Baerbock avancierte am Samstag zum Feindbild, so wie die frühere Kanzlerin Angela Merkel jahrelang auf rechten Demos mit ihrem Namen herhalten musste.

Wagenknecht und Schwarzer – Demo „Manifest für den Frieden“: Nur ein Achtungserfolg

Einen Tag später lässt sich nüchterner auf diese Demonstration schauen, die angesichts von Tausenden Menschen und des großen medialen Widerhalls aus Sicht der Veranstalterinnen als Erfolg gewertet werden kann. Andererseits stellen sich kritische Fragen, die weder Wagenknecht noch Schwarzer beantworten konnten. Zum Beispiel die Frage, ob da eine „Bürgerbewegung“ entsteht, wie Schwarzer behauptete.

Die Petition „Manifest für den Frieden“, die geistige Grundlage der Kundgebung, hat - Stand Sonntag - knapp 670.000 Unterstützerinnen und Unterstützer gefunden. Das ist ein Achtungserfolg, reicht aber noch nicht an (länger laufende) Petitionen zur umstrittenen EU-Urheberrechtsform oder der Bezahlung von Hebammen mit Millionen Unterschriften heran. Eine Kundgebung mit 13.000 Menschen ist nicht nichts, aber vor dem Hintergrund Hunderttausender Unterschriften und einer beispiellosen Berichterstattung kaum mehr als ein ordentlicher Wert.

Schwerer wiegt die Frage, ob da pauschal „die Friedensbewegung“ auf der Straße war, wie Wagenknecht und Schwarzer implizit behaupteten. Die Kundgebung offenbarte eher Spaltungstendenzen.

Berlin-Demo: Ermahnung durch Wissler für Wagenknecht

Die evangelische Theologin Margot Käßmann, die zu den Erstunterzeichner:innen des Manifests gehörte, distanzierte sich von der Demonstration. Sie empfinde die Beteiligung rechter Gruppen an solchen Friedensinitiativen als „belastend“. Auch die Linke, immerhin noch die Partei Wagenknechts, ging auf Distanz. Parteichefin Janine Wissler ermahnte Wagenknecht, sich klar von Rechtsradikalen abzugrenzen.

Die Mahnung blieb in Teilen ungehört. Zwar waren – soweit man das bei einer Veranstaltung dieser Offenheit sagen kann – unter den Teilnehmenden in der großen Mehrzahl tatsächlich Friedensbewegte, die ihre Kritik an der Bundesregierung auf die Straße tragen wollten und ein Zeichen für Friedens- und Diplomatieinitiativen setzen wollten. Aber es waren auch Verschwörungsgläubige dabei, die Symbole des „QAnon“-Mythos trugen, Erkennungszeichen der „Reichsbürger“, oder ein AfD-Parteibuch, wie der Russlandpropagandist und Berliner Abgeordnetenhausparlamentarier Gunnar Lindemann und Sachsens Landeschef Jörg Urban.

Friedens-Demo: In Berlin auch rechte Erscheinungen

Der rechtsradikale Videoblogger Nikolai Nerling ließ sich die Gelegenheit auch nicht nehmen. Am Rande versuchte die Linken-Abgeordnete Sevim Dagdelen mit Hilfe der Polizei den rechtsradikalen Chefredakteur des „Compact“-Magazins, Jürgen Elsässer, mit seinen Leuten von der Demo auszuschließen.

Die Kundgebung auf rechte Erscheinungen zu reduzieren, wäre falsch. Doch die Veranstalter, allesamt Polit- und Publizistik-Profis, haben nach rechts nur eine höchst löchrige Brandmauer eingerichtet – Lafontaine wollte „keinen Gesinnungstest“. Offenbar ist das Wachstum der „Bürgerbewegung“ alles. Das könnte sich rächen und die Akzeptanz dieser Initiative schädigen. (Martin Benninghoff)

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