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2,8 Millionen Kinder ohne Chance

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Von: Melanie Reinsch

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Berliner Sozialforscherin warnt vor den Folgen der zunehmenden Ungleichheit für junge Menschen. Kreative Lösungen sind gefragt, beispielsweise Uniformen in der Schule.

Die Zahl 20 schmerzt. Sie schmerzt Familienpolitiker, Wissenschaftler und vor allem Eltern und Kinder. Denn diese Zahl beschreibt einen erbärmlichen Zustand in Deutschland, wo 20 Prozent der Kinder und Jugendlichen armutsgefährdet sind. Anders ausgedrückt: 2,8 Millionen junge Menschen haben miese Zukunftsaussichten.

„Daran hat sich in den vergangenen Jahren nicht viel geändert. Es wird zwar drüber geredet, aber man tut viel zu wenig“, kritisierte die Soziologin Jutta Allmendinger, Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, am Dienstagabend zum Welttag der sozialen Gerechtigkeit in der Botschaft für Kinder in Berlin.

Armut werde in Deutschland sozial vererbt, so Allmendinger. „Das beste Mittel gegen Kinderarmut ist die Erwerbstätigkeit der Eltern.“ Es gebe zudem einen hohen Anteil „verdeckter Armut“ bei Menschen mit Anspruch auf Sozialleistungen, die sie aber nicht einlösten – aus Scham oder Unkenntnis. Nach Expertenschätzungen sind das rund 40 Prozent aller Bedürftigen. „Es ist arrogant zu denken, dass diese Eltern und Kinder zu uns kommen müssen. Wir müssen sie abholen“, meint Allmendinger.

Schuluniformen sollen her

Nachdenken müsse man auch über die Definition von Armut. „Es gibt einen Unterschied zwischen statistischer und gefühlter Armut.“ Es gehe auch und vor allen darum, dass Kinder keine Freunde, keinen Zugang zu bestimmten Zirkeln oder Geschäften hätten. Und da tue sich ein weiteres Problem auf: Stereotype könnten nicht abgebaut werden, wenn jeder abgeschottet in seinem Umfeld bleibe. „Ich bin Verfechterin von Schulkleidung“, bekannte Allmendinger. Dann könne man nicht an der Jeans erkennen, wie viel Geld die Eltern hätten, die Kinder seien nicht von vornherein ausgeschlossen. „Die besten Kitas und Schulen müssen Kindern in Armut offen stehen. Und wir brauchen eine systematische, langfristige Betreuung von Tag eins an.“

Allmendinger bemängelte außerdem, dass es zwar Forschungen gebe und für die Bekämpfung von Kinderarmut viel Geld ausgegeben werde, aber trotzdem zu wenig passiere. Auch eine Kindergeld-Erhöhung werde an den Zuständen nichts ändern, prognostizierte sie. Das sei nur ein Gießkannen-Verfahren.

Union und SPD haben sich im Koalitionsvertrag auf eine Kindergeld-Erhöhung von 25 Euro geeinigt. Familienministerin Katarina Barley (SPD) verteidigte die Pläne, die Familienleistungen zu erhöhen. Auch der Kinderzuschlag für einkommensschwache Familien soll erhöht werden und der Kinderfreibetrag steigen. Kindergeld und -zuschlag würden dann zusammen 399 Euro betragen. „Auch die Beantragung wird deutlich vereinfacht“, sagte Barley. „Kinder sind arm, wenn die Eltern arm sind“, sagte auch Barley, daher setze man auch auf die Kinderbetreuung. 3,5 Milliarden Euro seien im Falle einer großen Koalition für den Ausbau der Ganztagsbetreuung vorgesehen.

Grüne, Linke und verschiedene Verbände fordern schon länger eine Reform der Familienleistungen in Form einer Kindergrundsicherung mit einer festen Summe für jedes Kind. „Kindergeld-Erhöhung hat mit der Bekämpfung von Kinderarmut nicht viel zu tun“, findet Katja Dörner, Sprecherin für Kinder- und Familienpolitik bei den Grünen. Das Geld komme nicht da an, wo es gebraucht werde, wie die stagnierenden Zahlen auch zeigten. „Wir brauchen einen neuen Ansatz. Erhöhungen werden zwar in der Breite einen positiven Effekt für Familien haben, aber als Mittel zur Bekämpfung von Kinderarmut kann man das nicht ins Feld führen.“

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