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„Wenn China Taiwan angreift, dann in einer Vollmondnacht im Januar 2025“

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Von: Sven Hauberg

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Ein taiwanischer Soldat bei einer Übung im Januar 2022.
Ein taiwanischer Soldat bei einer Übung im Januar 2022. © Ceng Shou Yi/Imago

Wann gibt China den Befehl zum Angriff auf Taiwan? Im Interview gibt Asien-Expertin May-Britt Stumbaum von der Universität der Bundeswehr eine düstere Prognose.

München – Die Volksrepublik China betrachtet das demokratisch regierte Taiwan als abtrünnige Provinz, die notfalls mit Gewalt mit dem Festland „wiedervereinigt“ werden soll. Ob und wann Staatschef Xi Jinping wirklich den Befehl zum Angriff gibt, ist offen. Asien-Expertin May-Britt Stumbaum glaubt jedoch: „Für Taiwan ist es zwei Minuten vor zwölf.“ Stumbaum ist Team Lead Asia Pacific Security am Center for Intelligence and Security Studies (CISS) der Universität der Bundeswehr München.

Frau Stumbaum, ist eine friedliche Lösung im Taiwan-Konflikt möglich – oder kommt es zwangsläufig zur Anwendung von Gewalt, wie Chinas Staatschef Xi Jinping angedroht hat?

Taiwan war nie Teil der Volksrepublik China, dennoch ist Xi Jinping fest entschlossen, die Insel mit dem Festland „wiederzuvereinigen“. Wirklich friedlich kann das aber nicht ablaufen. Meinungsumfragen aus Taiwan zeigen, dass nur eine verschwindend kleine Minderheit will, dass ihr Land ein Teil Chinas wird.

Also doch eine militärische Lösung?

Die Chinesen werden alles versuchen, um ihr Ziel mit nicht-militärischen Mitteln zu erreichen. Denn eine Invasion ist nie einfach, schon gar nicht über den Seeweg. Außerdem hat Chinas Volksbefreiungsarmee keine Kampferfahrung. Der letzte Krieg, den China geführt hat, liegt Jahrzehnte zurück. China setzt deswegen auf psychologische Kriegsführung.

Wie sieht das konkret aus?

Da gibt es erstens die Versuche, die Taiwaner einzuschüchtern: China hält Militärübungen in der Nähe von Taiwan ab, zudem dringen täglich Dutzende Kampfjets in Taiwans Luftverteidigungszone ein. Und allein schon die Drohung, in Taiwan einzumarschieren, zeigt eine gewisse Wirkung auf Auslandsinvestitionen in Taiwan. Das zweite ist eine Meinungskriegsführung, durch Desinformationskampagnen, Narrativbildung und Wahlbeeinflussung. Und drittens versucht China es mit einer rechtlichen Kriegsführung: Man will Kritiker auf dem Rechtsweg stumm schalten und das internationale Recht so auslegen, dass man seine Ziele durchsetzen kann. So behauptet China etwa, die Taiwan-Straße sei kein internationales Gewässer, sondern chinesisches Hoheitsgewässer.

Konflikt mit China: „Die nächsten beiden Jahre sind für Taiwan entscheidend“

Zurzeit erreicht China aber doch das Gegenteil: Der Westen und Taiwan rücken immer näher zusammen.

Ja, mit seinen Drohungen gegenüber Taiwan verhärtet China die Meinung im Westen. Aber der Westen ist eben nur ein kleiner Teil der Welt. Im Globalen Süden verfängt die Propaganda der Chinesen hingegen durchaus. Das ist wie mit dem Ukraine-Krieg: Zwei Drittel der Welt sagen, das sei nicht ihr Krieg – oder sie sind sogar ganz offen pro-russisch.

Sollte der Konflikt wirklich eskalieren, wäre jedoch die Reaktion der USA und ihrer Verbündeten entscheidend.

Deswegen ist es gut, dass Präsident Joe Biden immer wieder betont, dass die USA in den Konflikt eingreifen würden. Aber blicken wir zum Beispiel auf Japan: Im vergangenen Jahr wurde eine Kriegssimulation durchgeführt, mit dem Ergebnis, dass Japan zwei Monate brauchen würde, um im Konfliktfall vor seinem Verfassungsgericht herauszufinden, ob es überhaupt eingreifen dürfte. Auch Taiwan selbst ist nicht wirklich vorbereitet. Taipeh hat erst vor Kurzem die Dauer der Wehrpflicht von vier auf zwölf Monate erhöht. Das ist gut, kommt aber sehr spät.

Hat man den Taiwan-Konflikt zu lange ignoriert?

Die große Gefahr ist, dass man übersieht, wie China Fakten schafft, ohne Krieg zu führen. Taiwan wird schon lange von China bedroht, eigentlich seit 1949. Aber lange Zeit war diese Gefahr sehr abstrakt. Jetzt ändert sich das, weil China wirtschaftlich und militärisch stärker wird. Das macht die nahe Zukunft so brenzlig. Xi Jinping wird nicht warten, bis der Westen sich organisiert hat.

Also ist es fünf vor zwölf für Taiwan?

Es ist zwei vor zwölf. Die nächsten beiden Jahre sind entscheidend.

Taiwan-Invasion: „Alles, was China dann noch braucht, ist eine Vollmondnacht und gutes Wetter“

Warum?

Im kommenden Jahr wird in Taiwan ein Nachfolger für Präsidentin Tsai Ing-wen gewählt, die nicht mehr antreten darf. William Lai, der Kandidat der regierenden Demokratischen Fortschrittspartei, tritt noch vehementer für eine Unabhängigkeit von China ein als Tsai. China wird deswegen versuchen, die oppositionelle und tendenziell Peking-freundlichere Kuomintang (KMT) zu unterstützen. Das sieht man schon jetzt: Vor Kurzem traf sich in Peking ein hochrangiger KMT-Politiker mit Spitzenpolitikern, zudem reiste der ehemalige taiwanesische Präsident Ma – der ebenfalls von der KMT ist – nach China. Außerdem wird China versuchen, durch Desinformationskampagnen und andere Manipulationen auf die Wahl Einfluss zu nehmen.

Und wenn doch die Fortschrittspartei gewinnt?

Dann wird Xi versuchen, Fakten zu schaffen. China wird seine Einschüchterungsversuche so lange verstärken, bis die Taiwaner schließlich sagen: Besser, wir begeben uns unter die Kontrolle Pekings, als einen Krieg zu riskieren. Gleichzeitig wird versucht, das taiwanesische System von innen zu erodieren – durch Falschmeldungen, durch Infiltration und so weiter.

Im kommenden Jahr wählen auch die USA einen neuen Präsidenten …

Genau. Und das ist der entscheidende Faktor. Der Machtwechsel in den USA, sollte es einen geben, wird Anfang 2025 stattfinden. Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder gesehen, dass die USA in einem solchen Fall oft monatelang kaum handlungsfähig sind. Viele Top-Leute gehen schon Monate vor der Amtsübergabe, Spitzenstellen der Administration und Botschafterposten bleiben lange unbesetzt. Die USA werden Anfang 2025 möglicherweise sehr geschwächt sein, und das wird Xi Jinping ausnutzen.

Wie genau?

Sollte China sich doch dazu entscheiden, Taiwan militärisch anzugreifen, dann bietet der Januar nicht nur wegen der Nachwehen der US-Wahl ein geeignetes Zeitfenster für eine Invasion. Die Taiwan-Straße lässt sich am besten in den Wintermonaten überqueren, weil das Meer dann ruhiger ist. Außerdem findet das chinesische Neujahrsfest 2025 im Januar statt. Dann reisen Hunderte Millionen Menschen durchs ganze Land, sodass man große Truppenverlegungen vom Satelliten aus kaum erkennen würde. Alles, was China dann noch braucht, ist eine Vollmondnacht und gutes Wetter.

Wie sähe so eine Invasion konkret aus?

Wenn die Chinesen kommen, dann in großer Zahl. Sie werden zunächst versuchen, strategische Orte einzunehmen, vor allem den Regierungssitz und die Schaltstellen für die kritische Infrastruktur. Und von dort aus dann den Rest des Landes.

„Die USA wollen ein zweites Pearl Harbor verhindern“

Würden die westlichen Geheimdienste die Vorbereitungen für eine Invasion nicht lange im Voraus bemerken? Auch vor Russlands Einmarsch in die Ukraine hatte Putin seine Truppen ja monatelang im Grenzgebiet zusammengezogen.

Das, was Putin in der Ukraine gemacht hat, macht China in Taiwan ja schon jetzt. China startet regelmäßig Cyberangriffe auf Taiwan, Flugzeuge dringen in die Luftverteidigungszone ein, und vor wenigen Tagen ist zum zweiten Mal eine chinesische Drohne um Taiwan herum geflogen. Auch die Übungen, die China seit dem Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi abgehalten hat, sind Teil einer langfristigen Planung. Der Besuch selbst war nur ein Vorwand; solche Übungen kann man schließlich nicht kurzfristig auf die Beine stellen. Zudem hat China bereits viel Munition in der Nähe von Taiwan gelagert.

Es gibt Kriegsszenerien, die besagen, dass China im Falle eines Angriffs hohe Verluste verkraften müsste.

China würde einen sehr hohen Blutzoll akzeptieren. Auch wenn man sehr viele Soldaten verlieren würde: In China ist man es gewohnt, große Opfer zu bringen. Als Peking die Corona-Maßnahmen aufgehoben hat, sind innerhalb von vier Wochen geschätzt 1,6 Millionen Menschen gestorben. Auch die wirtschaftlichen Folgen einer Taiwan-Invasion wären enorm. Die USA gehen davon aus, dass Chinas BIP aufgrund von Sanktionen um neun Prozent einbrechen würde. Aber auch das würde man in Kauf nehmen.

Glauben Sie, dass die USA im Falle eines Angriffs tatsächlich militärisch eingreifen würden, so wie es Joe Biden angekündigt hat?

Taiwan hat eine extrem wichtige strategische Position für Peking. Chinas U-Boote liegen derzeit vor der Insel Hainan und damit in sehr seichtem Gewässer. Ringsherum befinden sich lauter US-Alliierte: Japan, Südkorea, die Philippinen, die wieder enger mit Amerika zusammenarbeiten wollen, und eben Taiwan. Jedes U-Boot, das China verlässt, kann deswegen von den USA entdeckt werden. Auf der Ostseite von Taiwan geht es hingegen direkt in die Tiefsee. Wenn China Taiwan kontrollieren würde, könnten chinesische U-Boote von dort aus unentdeckt abtauchen – und erst vor San Francisco wieder an die Oberfläche kommen.

Ein Horror-Szenario für die USA.

Genau. Und deswegen würden die Amerikaner eingreifen. Sie wollen ein zweites Pearl Harbor verhindern. Es liegt im ureigensten strategischen Interesse der Amerikaner, dass Taiwan nicht in die Hände der Volksrepublik China gerät.

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