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Tag der Migration
Migrationshintergrund: ein Wort, das spaltet
- vonViktor Funkschließen
Eigentlich war es modern und aufgeklärt und durchaus gut gemeint: Aber diese deutscheste aller Migrationsvokabeln schaffte nicht die gesellschaftliche Vermittlung, für die sie da war.
Gut gemeint, aber in seiner Wirkung problematisch – der Begriff „Migrationshintergrund“. Seit der Befragung der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland 2005 nutzen ihn die Statistikämter – deshalb taucht er auf in unseren Grafiken auf. Bezeichnet werden damit Menschen, „wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil die deutsche Staatsangehörigkeit nicht durch Geburt besitzen“ (Statistisches Bundesamt). Für Nachfahren deutscher Flüchtlinge unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg gilt der Begriff nicht, er greift erst ab 1949.
Ursprünglich sollte der Begriff die alte Unterscheidung zwischen Ausländer:in und Deutsche:r erweitern. Er berücksichtigt auch die Tatsache, dass viele Millionen Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit Migrationserfahrungen haben. So neutral er klingt, es gelingt ihm aber nicht, die Vielfalt der Wanderungsgeschichten abzubilden: So stammen etwa 3,5 Millionen Menschen hierzulande aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion, meist aus Russland, Kasachstan oder der Ukraine. 5,8 Millionen Menschen haben familiäre Wurzeln in einem muslimisch geprägten Land – was nicht heißt, dass sie Muslime sind. Etwa die Hälfte der Zugewanderten kommen aus der EU.
Im Alltag und auch in politischen Debatten ist das Wort „Migrationshintergrund“ oft negativ besetzt und leistet Segregation Vorschub. Wenn etwa in eine Schule viele Kinder mit Migrationshintergrund gehen, ist das für manche Eltern ein Grund, die eigenen Kinder nicht auf diese Schule zu schicken. Ähnliches gilt für Stadtviertel, in denen manche aufgrund der vielen Menschen mit Migrationsbiografien nicht leben wollen. Problematisch ist schließlich, dass der Begriff quasi vererbt wird. Wer beispielsweise als Kind nach Deutschland kam und hier selbst Kinder bekommt, dessen Kinder werden von den Behörden ebenfalls mit dem geltenden Begriff „Migrationshintergrund“ versehen, zumindest solange sie im elterlichen Haushalt leben.
Alternative Vorschläge sind: Migrationsgeschichte oder Migrationsbiografien. Sie deuten stärker auf die Individualität jedes einzelnen Menschen hin.