SPD-Politiker warnt: „Russland hat überall seine Hände mit im Spiel“

Michael Roth (SPD) fordert die Einrichtung eines Sachverständigenrats für Außen- und Sicherheitspolitik – angesiedelt beim Parlament, nicht in der Bundesregierung.
Berlin – Michael Roth ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Bundestags. Dieses Interview liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Security.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte ihn Security.Table am 11. April 2023. Mit Roth sprach Markus Bickel.
Sie haben bereits im April 2022 Kiew besucht, Ihre Parteifreunde Rolf Mützenich und Lars Klingbeil waren erst diesen Februar dort, ein Jahr nach Kriegsbeginn. Warum tut sich die SPD-Führung so schwer, den Menschen in der Ukraine auf diese Weise ihre Empathie zu bekunden?
Der brutale russische Angriffskrieg hat uns alle ziemlich durcheinandergewirbelt und vermeintliche Gewissheiten ins Wanken gebracht. Auch diejenigen, die eine solch schwierige Reise nicht gleich in den ersten Monaten nach Kriegsbeginn angetreten haben, haben dafür sicher ihre Gründe. Eine Reise in ein Kriegsgebiet ist eine sehr persönliche Entscheidung. Dennoch habe ich mich über jeden Besuch aus tiefem Herzen gefreut. Denn jenseits der praktischen Unterstützung der Ukraine geht es ja auch darum, vor Ort besser zu verstehen, was Krieg bedeutet, und Mitgefühl zu zeigen. Vielleicht war das sogar unsere größte Schwachstelle, dass die deutsche Politik in der Ukraine bisweilen ziemlich kaltherzig rüberkam.
Sie waren 2022 mit Anton Hofreiter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann in Kiew. Warum sind FDP und Grüne der SPD immer noch voraus, was Unterstützung der Ukraine anbelangt?
Es geht hier nicht um einen Wettlauf zwischen den Parteien, sondern wie wir einem angegriffenen Land, das um sein Überleben kämpft, bestmöglich beistehen können. Am Ende kann ich nur sagen, dass exakt das, was aus der Mitte des Bundestages, aus der Mitte der Koalition heraus vorgeschlagen und angeregt wurde, inzwischen Politik der Bundesregierung ist. Und das hilft der Ukraine. Deutschland liegt bei der militärischen Unterstützung der Ukraine mittlerweile auf Platz 2 hinter den USA.
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Russlands Krieg gegen die Ukraine: Michael Roth (SPD) zu Lieferung von Kampfjets an Kiew
Die Ampel hat gerade beschlossen, die Ukraine dieses Jahr mit drei Milliarden Euro militärisch zu unterstützen, bis 2032 sollen weitere 8,8 Milliarden hinzukommen. Reicht das?
Momentan stehen nicht neue Waffensysteme im Mittelpunkt, sondern Verstetigung, das heißt vor allem rascher Nachschub bei Munition. Die Zeit drängt. Und natürlich müssen auch Waffen instandgesetzt und repariert werden, dafür stellen wir jetzt deutlich mehr Mittel zur Verfügung. Ich hoffe, dass andere Partner in Europa nachziehen werden. Das Geld dient aber auch dazu, die Lücken bei der Bundeswehr zu schließen, die durch die Abgaben an die Ukraine entstanden sind.
Im März sind die ersten Leopard-2-Kampfpanzer aus Deutschland in der Ukraine eingetroffen. Wann kommen die ersten Kampfjets?
Erstmal bin ich froh, dass wir unsere Zusagen relativ schnell eingehalten haben – gerade vor dem Hintergrund, dass es vielen in Deutschland weiter schwerfällt, über Kampfpanzer zu sprechen. Da wir in Deutschland über die infrage kommenden Kampfjets gar nicht verfügen, stellt sich die Frage praktisch nicht. Konkret geht es ja um MiG-29-Kampfjets aus Polen und der Slowakei sowie um F-16 aus den USA. Das hat der amerikanische Präsident aber bislang abgelehnt.
Sie sind dafür, dass Sie kommen?
Wir haben aus guten Gründen immer gesagt, dass sich unsere militärische Unterstützung am Kriegsverlauf orientiert. Unser Ziel bleibt, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnt. Das heißt, dass sie als freies, demokratisches und souveränes Land besteht. Dafür müssen wir sie so ausstatten, dass sie nicht nur in der Lage ist, sich selbst zu verteidigen, sondern auch von Russland eroberte Gebiete zu befreien.
Russlands Einfluss: Spannungen auf dem Westbalkan und die Rolle der EU
Der destabilisierende Einfluss Russlands reicht längst über die Ukraine hinaus, und trotzdem ist die EU etwa auf dem Balkan nicht in der Lage, sich dagegen zu verteidigen.
Europa hat zweifellos im westlichen Balkan einen massiven Vertrauensverlust erlitten und Zusagen nicht eingehalten – sei es bei der Visaliberalisierung für den Kosovo oder der Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien. Wir haben diese Länder teilweise am langen Arm verhungern lassen. Kein Wunder, dass in Serbien inzwischen Russland und China als die verlässlichsten Partner gelten, erst auf Platz drei folgt dann die EU. Das sollte uns zu denken geben. Der Elefant im Raum ist das Thema Erweiterung, aber das fassen manche unserer Partner in der EU leider nur mit spitzen Fingern an. Das müssen wir ändern, indem wir den Staaten des Westbalkans, aber auch der Ukraine, Moldau und perspektivisch Georgien eine konkrete und glaubhafte Beitrittsperspektive geben.
Diese hat Bosnien und Herzegowina seit Jahrzehnten, und trotzdem sind die Spannungen so groß wie seit Ende des Kriegs 1995 nicht mehr. Muss die EU nicht über stärkere militärische Mittel nachdenken?
Absolut. Deshalb war es auch richtig, die Mandate für EUFOR Althea und KFOR zu verlängern. Die Lage ist derzeit brandgefährlich in Europas Nachbarschaft, nicht nur im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, sondern auch im Verhältnis zwischen Armenien und Aserbaidschan, in Georgien und in Moldau. Überall hat Russland seine Hände mit im Spiel.
Halten Sie es für richtig, dass Christian Schmidt den Posten des Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina weiter ausübt?
Die Arbeit von Christian Schmidt steht derzeit stark in der Kritik. Daher begrüße ich, dass er demnächst vor den zuständigen Kolleginnen und Kollegen aus dem Auswärtigen Ausschuss zu den Vorwürfen Stellung nehmen will. In einem komplexen Vielvölkerstaat wie Bosnien und Herzegowina braucht der Hohe Repräsentant ein ganz besonders hohes Maß an diplomatischem Geschick, Unparteilichkeit, Sachverstand und Fingerspitzengefühl. An diesen Erwartungen muss sich auch Christian Schmidt messen lassen.
Nationale Sicherheitsstrategie: „Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern tut allen gut“
Gibt die Nationale Sicherheitsstrategie Antworten auf die Bedrohungslage in Europa?
Das will ich doch hoffen. Für uns in Deutschland ist ja nicht entscheidend, eine nationale Sicherheitsstrategie für Nordkorea zu entwickeln, sondern eine, um unsere Nachbarschaft zu befrieden und das in engster Abstimmung mit unseren Partnern. Über den Erfolg und Misserfolg der Nationalen Sicherheitsstrategie wird weniger in Berlin, sondern maßgeblich in Kiew, Tbilisi, Sarajevo, Skopje und Prishtina entschieden.
Bedauern Sie, dass es keinen Nationalen Sicherheitsrat geben wird?
Ich finde, wir sollten den Nationalen Sicherheitsrat, der jetzt nicht kommen wird, nicht überhöhen. Der ist ganz sicher kein Allheilmittel. Die Regierung hat ja genügend Möglichkeiten, sich in der Außen- und Sicherheitspolitik zu koordinieren. Ich werbe aber für einen Sachverständigenrat für Außen- und Sicherheitspolitik, der an den Bundestag angedockt ist und über einen eigenen wissenschaftlichen Stab verfügt. Die außen- und sicherheitspolitische Bedeutung des Bundestages ist im vergangenen Jahr deutlich gewachsen. Abgeordnete sind zu wichtigen Antreibern und Erklärern der deutschen Ukraine-Politik geworden. Ein solches Expertengremium würde den Bundestag als zentrales Forum für außen- und sicherheitspolitische Debatten weiter stärken und die notwendige Expertise beisteuern, um künftig weitsichtigere Entscheidungen treffen zu können.
Wie feministisch wird die Nationale Sicherheitsstrategie sein?
Ich werbe seit Jahren dafür, die Interessen von Frauen in der Außen- und Sicherheitspolitik stärker zu berücksichtigen. Dabei geht es um Rechte, Repräsentation und Ressourcen. Wenn wir weltweit wirklich nachhaltigen und gerechten Frieden schaffen wollen – und darum geht es ja auch in der Ukraine –, dann geht das nicht ohne Frauen. Keinem Mann fällt ein Zacken aus der Krone, wenn er sich diesem Begriff Feminismus und auch feministischer Außenpolitik entspannt und locker nähert. Gerechtigkeit zwischen den Geschlechtern tut allen gut.