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Merkels Märchenstunde

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Von: Daniela Vates

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Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt ihre Regierung.
Kanzlerin Angela Merkel (CDU) erklärt ihre Regierung. © afp

Die Kanzlerin soll ihre Regierung erklären. Viel Rückblick ist dabei, auf das, was bereits geschafft ist. Wenn man möchte, kann man es auch als Vermächtnis lesen einer Kanzlerin, die sich mal vorgenommen hat, nicht so lange zu regieren wie der Aussitzer Helmut Kohl.

Wenn Angela Merkel sich noch einen langen Mantel angezogen hätte, mit Sternen verziert, und einen hohen Hut auf den Kopf gesetzt hätte, das hätte das Bild fast perfekt gemacht. Die Bundestagsabgeordneten hätten dann im Schneidersitz vor ihr Platz genommen, vor der Geschichtenerzählerin auf einem schwarzen Sessel im Reichstag.

Aber so einen Mantel hat Merkel nun mal nicht, bei Claudia Roth hat sie nicht nach einer Leihgabe erkundigt. So erinnert also erst einmal vor allem die Pose an eine Märchenstunde: Die Kanzlerin spricht im Sitzen, das Manuskript fest in den Händen.

Wie Kasperltheater

Es ist ein bisschen gemein, das zu bemerken, schließlich hat Merkel sich das so nicht ausgesucht. Nach ihrem Beckenbruch haben ihr die Ärzte geraten, möglichst nicht lange zu stehen. Zum Gehen braucht Merkel noch Krücken. Also weg mit dem Mantelgedanken. Außerdem geht es ja um eine ernste Sache: Die Kanzlerin soll ihre Regierung erklären.

Es ist ihre erste große innenpolitische Rede im Bundestag als Kanzlerin dieser neuer Regierung, als Chefin des Kabinetts Merkel III, ihrer zweiten großen Koalition, für die es erst in dieser Wiederholungsrunde die Abkürzung GroKo gefunden hat. Das klingt nicht nur nicht so sperrig, sondern sogar ganz niedlich, ein bisschen sogar nach Kasperltheater. Da ist er wieder, der Mantel-Effekt. Auf jeden Fall klingt GroKo nicht nach der raumfüllenden 80-Prozent-Mehrheit, die CDU, CSU und SPD gemeinsam haben.

GroKo-Kanzlerin Merkel III., die vor gerade mal einer Woche ihr Kabinett noch zu einer gemeinsamen Sitzung in einem Schloss in glitzernder brandenburgischer Winterlandschaft versammelte, hält also ihre Regierungserklärung. Sie sagt ein paar Worte zur Lage in der Ukraine und dann beginnt sie mit der Innenpolitik und dabei fehlen eigentlich nur die Worte „Es war einmal …“ Merkel sagt: „Vor zehn Jahren war Deutschland der kranke Mann Europas.“ Vor zehn Jahren wurde Merkel zum ersten Mal Kanzlerin. Seitdem habe sich Deutschland blendend entwickelt, sagt Merkel. Wachstumsmotor, Stabilitätsanker, das sind ihre Stichworte.

Viel Rückblick ist dabei, auf das, was bereits geschafft ist. Wenn man möchte, kann man es auch als Vermächtnis lesen einer Kanzlerin, die sich mal vorgenommen hat, nicht so lange zu regieren wie der Aussitzer Helmut Kohl. Ein paar Details nennt sie aus dem Koalitionsvertrag, im raschen Durchlauf: Telemedizin, Familien als „Herzstück unserer Gesellschaft“ nuschelt sie ein wenig weg. Die Rentenreform, am Vormittag auf den Weg gebracht, kommt fast unter „ferner liefen“. Und, ein kleiner Spannungsanreiz: trügerische Ruhe in der Finanzkrise.

Merkel ohne Kompass

Oft ist der Kanzlerin vorgehalten worden, sie habe keinen Kompass und sei einfach viel zu sachlich. Gelernt und umgesetzt. Das eine kommt gleich wörtlich vor: „Unser Kompass ist die soziale Marktwirtschaft.“ Das Gefühl wird in Überschriften gepresst: „Der Mensch steht im Mittelpunkt.“ Und: „Die Koalition will die Quellen guten Lebens allen zugänglich machen.“ Eine spannende Vorleserin, das steht fest, wäre sie mit diesem Text auch im Sternen-Mantel nicht gewesen.

Allerdings gibt es durchaus auch komische Elemente: Mit bedeutsamer Miene kündigt Merkel an, die Koalition werde bis zum Sommer Vorschläge zur Neuordnung der Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern machen. Allerdings nicht zur Neuordnung selber, sondern nur darüber, wie die Gespräche darüber zu führen seien.

Und bevor sie dann noch mal zu den „Quellen guten Lebens“ kommt, sagt Merkel doch noch etwas zum NSA-Abhörskandal, es wird sogar die längste Passage in ihrer Rede. Zusammenfassen lässt sie sich so: Die USA haben unser Vertrauen gebrochen, aber wirklich etwas dagegen tun kann man so schnell nicht.

So schlimm ist das aber gar nicht, weil das Abhören entweder eh nichts bringe, wenn es sich um Gipfelvorbereitungen von Regierungschefs handele, weil die schlau genug seien. Oder weil es doch etwas bringe, wenn es sich um Terrorabwehr handele. Trotzhandlungen nützten nichts. Sie wolle weiterhin die USA mit der „Kraft der Argumente“ überzeugen, sagt Merkel. Vielleicht denkt sie dabei auch an künftige Verhandlungen in der Koalition.

Verschwörerische Blicke

Linken-Fraktionschef Gregor Gysi wirft ihr später Unterwürfigkeit gegenüber den USA vor und verkündet, weil Merkel die Industriespionage nicht erwähnt habe, sei es nun also die Linkspartei ganz allein, die die Unternehmen schützen müsse. Auch in der Energiepolitik sei das so. Lachen müssen alle ein wenig, als Gysi Merkel empfiehlt, altersgerecht Sport zu treiben.

„Verbal aufgeschlossen bei weitgehender Verhaltensstarrheit“, mit diesem Zitat des Soziologen Ulrich Beck charakterisiert anschließend der neue Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter die Koalition. „Macht ist nicht gleich Klasse“, sagt er, wirft der Koalition die Verwaltung des Stillstands vor und der SPD, dass die nun viel von dem mache, was sie im Wahlkampf noch so sehr kritisiert habe.

Die große Gemeinsamkeit haben die Koalitionäre in ihrem Schloss neulich beschworen. Sie ist zu spüren, als Oppermann vom Mindestlohn spricht und sein CDU-Kollege Kauder dabei mit SPD-Chef Sigmar Gabriel Grinseblicke kreuzt. Kumpelig wirkt das, und ein bisschen verschwörerisch. Fast, als gäbe es schon jetzt eine größere Nähe zwischen Union und SPD als zwischen FDP und Union selbst zu deren noch etwas verklärten Anfangszeiten. Merkel nimmt das Wort FDP gar nicht mehr in den Mund. Sie spricht nur zweimal von der „christlich-liberalen Koalition“.

Wenn es die neue schwarz-rote Nähe gibt, dann gilt das aber vor allem für Spitzenleute der Koalition. Wie weit die Begeisterung trägt, zeigt sich, als die Kanzlerin geendet hat. Die SPD-Fraktion applaudiert allerhöchstens pflichtschuldig. Nur die Abgeordneten in den ersten beiden Reihen halten länger durch als einige Sekunden. So also fängt sie an, die Geschichte von der GroKo.

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