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Menschen am Tagebau Garzweiler: „Inwieweit sind wir RWE ausgeliefert?“

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Von: Barbara Schnell

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Die Kirche von Keyenberg steht knapp 500 Meter vom Tagebau entfernt.
Die Kirche von Keyenberg steht knapp 500 Meter vom Tagebau entfernt. © dpa

Die Menschen am Rand des Tagebaus Garzweiler stellen NRW-Wirtschaftsministerin Neubaur kritische Fragen. Die verlängert daraufhin das Beteiligungsverfahren.

Mit sogenannen Bürgerbeteiligungsverfahren kennen die Menschen im Rheinischen Braunkohlerevier sich aus. Schon 2019 lud die dem NRW-Wirtschaftsministerium (damals noch FDP-geführt) unterstehende Zukunftsagentur Rheinland, auf Drängen der Kohlekommission der Bundesregierung die Bürger:innen ein, sich zu ihrem bereits vorformulierten „Wirtschafts- und Strukturprogramm“ zu Wort zu melden.

Akteur:innen der Zivilgesellschaft klagten, ihre Anwesenheit und ihre Anmerkungen seien zwar für PR missbraucht, aber letztlich nicht berücksichtigt worden. Kurz darauf stand eine neue Leitentscheidung an, die Blaupause für die raumplanerische Gestaltung der Tagebaue, da die Kohlekommission den Kohleausstieg von 2045 auf 2038 vorgezogen hatte. Über 719 Bürger-Stellungnahmen zum bereits formulierten Text freute sich das NRW-Wirtschaftsministerium; berücksichtigt wurden auch diese nicht.

2023 steht nun erneut und vermutlich zum letzten Mal eine solche Leitentscheidung bevor. Denn im vergangenen Herbst hatten NRW und Bund mit dem Energiekonzern RWE den vorgezogenen Kohleausstieg von 2038 auf 2030 vereinbart. Fünf zur Stadt Erkelenz gehörende Dörfer am Tagebau Garzweiler können dadurch erhalten werden. Die Ortschaft Lützerath wird aber abgebaggert. Für die Leitentscheidung, in der geklärt werden soll, wo die Grenzen des Tagebaus genau verlaufen, legte die Grüne Wirtschaftsministerin Mona Neubaur einen ambitionierten Zeitplan vor: Der sah eine Verabschiedung noch vor der palamentarischen Sommerpause vor. Teil dieses eng getakteten Plans war eine Dialogveranstaltung mit Tagebau Anwohner:innen in Erkelenz, an der die Ministerin am vergangenen Wochenende selbst teilnahm.

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Sie wolle eine „Veränderung im Sinne der Menschen“, so die Ministerin bei ihrer Begrüßung. „Ich wünsche mit hier vollgeschriebene Metaplanwände, damit wir Ihre Wünsche schwarz auf weiß mitnehmen können. Ich weiß, wie schwierig es ist, am Ende Kompromisse zu akzeptieren, daher sind Ihre klaren Formulierungen wichtig.“

Alexandra Renz, im alten wie im neuen Wirtschaftsministerium Leiterin des Ressorts Landesplanung, stellt daraufhin vor, wie der weitere Verlauf der Veranstaltung gedacht ist, mit vier Pinnwänden zu vier Themenbereichen, an die die Menschen ihre Zettelchen heften sollten, während die Ministerin einen Rundgang durch den Saal macht. Vorher soll es eine Runde mit Fragen und Antworten geben.

Und dann kommen diese Fragen: Eine Anwohnerin aus dem jetzt geretteten Garzweiler-Dorf Keyenberg wünscht sich, die leerstehenden Häuser in den Dörfern, die graue Substanz, als Ressource zu nutzen. Es habe jedoch den Anschein, als bereite RWE Abrisse vor, unter anderem durch Zerstörung der alten, gewachsenen Gärten. „Das, was wir hier alltäglich erleben, ist Terror! Ich möchte von Ihnen wissen, inwieweit wir RWE ausgeliefert sind.“

Anwohnerin am Tagebau Garzweiler: „Der Bagger war noch nie so nah“

Eine Grüne aus Kerpen beklagt, dass sich die Veranstaltung anscheinend nur auf Garzweiler beziehe und die Baustellen am Tagebau Hambach nicht berücksichtige. „Wird Manheim abgebaggert? Das macht die geplante Biotopvernetzung unmöglich, und der Hambacher Wald wird sterben.“ Ein bleibewilliger Landwirt aus Manheim wird sehr laut und will wissen: „Kann RWE auch für Kiesabbau enteignen? Ich werde das vom Bundesverfassungsgericht klären lassen!“

Eine Keyenbergerin fragt nach den Aussichten für ihre Lebensqualität bis zum Tagebauende 2030: „Der Bagger war noch nie so nah. Ein Fenster aufmachen in heißen Nächten ist nicht mehr!“ Eine Frau aus Holzweiler stellt fest: „Die Themen, die hier vorgeschlagen wurden, sind dieselben wie vor zwei Jahren. Ist das die einzige Möglichkeit der Beteiligung, dasselbe nochmal aufzuschreiben?“ Ein vom Tagebau Hambach nach Düren umgesiedelter Biobauer fragt: „Wie wird mit den Menschen umgegangen, die zurück wollen? Unsere Fragen zum Rückkauf unseres Hauses bleiben seit Jahren unbeantwortet. Wir würden gern wenigstens unseren Garten pflegen, dann braucht RWE das nicht zu tun, aber der Konzern hat das abgelehnt.“

Anwohner am Tagebau Garzweiler fragt: „Warum 1000 Meter für ein Windrad?“

Ein Anwohner aus Kuckum will wissen, warum der Tagebau mal 400, mal 500 Meter Abstand zu unterschiedlichen Dörfern einhalten soll, wie es sein kann, dass RWE auch diese Abstände an einzelnen Stellen bereits unterschritten hat. „Und warum 1000 Meter für ein Windrad?“ Eine Umsiedlerin fühlt sich vom Begriff der Sozialverträglichkeit verhöhnt: „Ich habe kein Geld, um mein Haus zurückzukaufen. Aber ich würde es zurücknehmen als Entschädigung für all das Leid, das meiner Familie angetan wurde zum Wohl der Allgemeinheit.“

Längst haben die Veranstalter:innen angesichts der wütenden Stimmen beschlossen, im Plenum und damit im Dialog zu bleiben. Die Pinnwände füllen sich zwar, aber es sind Mitarbeiter:innen des Ministeriums, die die Klagen und Vorschläge notieren. Sie habe den Lebensalltag der Menschen direkt am Tagebau so nicht auf dem Schirm gehabt, gibt Mona Neubaur zu. „Wir brauchen mehr barrierefreie Möglichkeiten, dass Sie sich einbringen können. Ich habe wahrgenommen, dass wir nicht in einer Veranstaltung alles klären können. Weil wir hier keine Beteiligung vorgaukeln wollen, werden wir den Zeitrahmen ändern, denn der Termin zur Sommerpause ist nicht zu halten.“ Und damit macht sie die Veranstaltung, der im Vorfeld viel verständlicher Argwohn entgegengebracht wurde, zu einer Lehrstunde in Demokratie. Auch wenn die Fragen weiter unbeantwortet bleiben.

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