Bücherverbrennung 1933: Wie Demokratie in Flammen aufgeht

Über die anhaltende Aktualität der Bücherverbrennungen: 1933 war ein Tiefpunkt der Unkultur, aber die Deutschen griffen da eine Tradition auf, die immer noch fortdauert. Ein Essay.
History doesn’t repeat itself; it rhymes.“ Dieser Satz, der Mark Twain zugeschrieben wird, wird gerne zitiert, wenn darüber philosophiert wird, ob sich historische Ereignisse oder Zustände zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen können. In ihm steckt die Einsicht, dass es verwegen wäre, zu behaupten, bestimmte Geschehnisse würden eines Tages in exakt der gleichen Form erneut passieren. Dagegen spricht alles, was wir über Geschichte als sich ständig, dynamisch entwickelnden und verändernden Prozess wissen. Um die Gegenwart zu verstehen, suchen wir jedoch ständig nach Mustern, die uns bekannt vorkommen, nach Parallelen zu anderen Zeitaltern. Dabei kann es sich um spezifische Komponenten eines Ereignisses oder um Konstellationen in dessen Kontext handeln. Wie zwei Sätze oder Wörter, bei denen bestimmte Rhythmen, Silben oder Buchstaben wiederkehren, können sich in diesem Sinne also historische Entwicklungen aufeinander reimen.
Die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen seit 1933 sind Teil einer langen und globalen Tradition kultureller Vernichtung. Bereits im 3. Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung soll der Begründer des chinesischen Kaiserreichs Qin Shihuangdi unliebsame Texte verbrannt haben, um die zwingende Autorität seiner Denkweise zu untermauern. Im Neuen Testament ist die Verbrennung heidnischer Texte im Zuge der Missionstätigkeit des Apostel Paulus in Ephesus überliefert, worauf sich die römisch-katholische Kirche seit dem vierten Jahrhundert immer wieder bezogen hat, um unerwünschte Schriften zu vernichten. Den Höhepunkt dieser Praxis bildete die Inquisition, durch deren Urteile im Mittelalter beileibe mehr als nur Bücher auf dem Scheiterhaufen landeten. Aber auch in der Neuzeit und bis heute wurden immer wieder Bücher und andere kulturelle Erzeugnisse verbrannt, von der Zerstörung der Maya-Codices durch spanische Kolonialisten im 16. Jahrhundert bis hin zum Niederbrennen der Bibliothek von Jaffna in Sri Lanka durch Singhalesen im Jahre 1981.
Die verschiedenen Bücherverbrennungen eint der gezielte Einsatz von Feuer, der eine Macht ausstrahlt, die die handelnden Akteure berauscht und ihre Gegner in Angst und Schrecken versetzt. Das faszinierende und terrorisierende Potenzial der Massensuggestion verstanden die Nazis sehr genau und haben dieses in einer Vielzahl von schrecklich-theatralischen öffentlichen Großveranstaltungen auf die Spitze getrieben. Mit der gezielt durch vorgegebene Abläufe und vorformulierte Feuersprüche inszenierten „Aktion wider den undeutschen Geist“ haben sie am 10. Mai 1933 allen, die es sehen wollten, ihren Willen zu kultureller Vernichtung und geistigem Totalitarismus vor Augen geführt. Alles, was dem eigenen Weltbild widersprach, sollte ausgelöscht werden. Es gab für die Nazis nur eine akzeptable Art und Weise, die Welt zu verstehen und in ihr zu handeln. Abweichende Meinungen und Einstellungen hatten in Deutschland, gar auf der Erde, nichts zu suchen.
In seiner Rede zur Bücherverbrennung auf dem Berliner Opernplatz sprach der nationalsozialistische Propagandaminister Joseph Goebbels vom „Recht […], den geistigen Unflat in die Flammen hineinzuwerfen“, aus dessen „Trümmern […] der Phönix eines neuen Geistes“ emporsteigen sollte. Was Goebbels den versammelten Studierenden vorenthielt, ist, dass der „neue Geist“ in Wahrheit bereits vordefiniert war – genau wie der Ablauf des gerade stattfindenden Spektakels. Alle, die sich diesem widersetzen wollten oder aus anderen „Gründen“ nicht in das rassistische Weltbild der Nazis passten, mussten von nun an um ihr Leben fürchten. 1821 dichtete Heinrich Heine in seiner Tragödie „Almansor“ über die Eroberung von Granada, bei der spanische Inquisitoren um das Jahr 1500 den Koran verbrannten:
„Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher
verbrennt, verbrennt man auch am Ende Menschen.“
Der Autor
John Steinmark hat Philosophie, Religionswissenschaften und Soziologie in Amsterdam und Frankfurt studiert. Fünf Jahre lang war er dann für den Börsenverein des Deutschen Buchhandels, wo er Projekte zur Förderung der Meinungsfreiheit und Debattenkultur verantwortete und den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels mitorganisierte. Seit 2022 arbeitet er als freier Texter und Moderator und leitet den gemeinnützigen Musikverein Jazz Montez. mika
In den zwölf Jahren nach den ersten Bücherverbrennungen brachten das Deutsche Reich und seine Verbündeten nach einer Statistik des United States Holocaust Memorial Museum 17 Millionen Menschen um, darunter sechs Millionen Juden.
Auf den ersten Blick ist die aktuelle Situation in Deutschland eine ganz andere als vor 90 Jahren. Menschenwürde und Meinungsfreiheit sind zentrale Bausteine der liberal-demokratischen Gesellschaftsordnung, die sich im Zuge der Kapitulation der Nationalsozialisten und dem Fall des Eisernen Vorhangs in der Bundesrepublik als Gegenentwurf zum Führerprinzip etabliert hat. Jede Person hat das Recht, sich am Meinungsbildungsprozess zu beteiligen, aus dem ein politischer Wille entsteht, der sich in periodisch wiederkehrenden freien und geheimen Wahlen äußert. Doch gehen wir weitere zehn Jahre zurück, erinnern wir uns daran, dass Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg schon einmal eine demokratische Staatsform hatte, die die Meinungsfreiheit geschützt hat. Was man zum Zeitpunkt der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung nicht wusste, war, dass es gerade die Gegner dieses Staates sein würden, die am effektivsten von ihrem Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch machen würden.
Ähnlich wie heute gab es auch damals eine sich sehr dynamisch entwickelnde Medienlandschaft. In Deutschland gab es zur Zeit der Weimarer Republik fast 5000 Zeitungen, die zum Teil vier Ausgaben pro Tag produzierten. Man kann sich vorstellen, dass die Menschen in den 1920ern ungefähr so viel Zeit an ihren Zeitungen geklebt haben müssen wie wir hundert Jahre später an unseren „Smartphones“. Diesen Zustand haben sich deutschnationale Publizisten und Verleger wie Alfred Hugenberg zunutze gemacht, um von Anfang an gegen die junge Demokratie und ihre Protagonisten zu hetzen. Parallel bekämpften gleichgesinnte politische Parteien das Parlament von innen, bedeutende demokratische Politiker wie Rosa Luxemburg, Karl Liebknecht oder Walther Rathenau fielen rechtsradikalen Anschlägen zum Opfer. 1920 gründete sich mit der NSDAP eine Partei, die es besonders gut verstand, die demokratische Öffentlichkeit und bald auch neue Technologien wie das Radio oder Fernsehen für die Verbreitung ihrer völkisch-antisemitischen Wahnvorstellungen zu benutzen. Kaum war sie 1933 an die Macht gekommen, setzte sie der demokratischen Öffentlichkeit mit den Bücherverbrennungen ein jähes und martialisches Ende.
Publizisten und Parteien, die sich neue Medientechnologien zunutze machen, um gegen die demokratische Gesellschaftsordnung zu hetzen, Geheimbünde, die den politischen Umsturz vorbereiten, terroristische Anschläge gegen Politiker und Zivilisten:
Vielleicht reimen sich die 1920er-Jahre doch stärker auf die 2020er, als uns lieb ist. Was können wir vor diesem Hintergrund tun, um zu verhindern, dass es in Deutschland noch einmal einer antidemokratischen Bewegung gelingt, die Demokratie mit ihren eigenen Mitteln zu schlagen? Die Meinungsfreiheit ist ein äußerst mächtiges Recht, dass die Bürger einer Demokratie dazu befähigt, direkten Einfluss auf die politische Entwicklung ihrer Gesellschaft auszuüben. Ob wir von diesem Recht Gebrauch machen, um gegen andere Menschen zu hetzen oder um uns mit ihnen auszutauschen, damit wir gemeinsam Lösungen für die Probleme unserer Zeit finden können, hängt von uns selbst, von unseren Einstellungen und Sprachgewohnheiten ab.
Die Voraussetzungen für einen gelingenden demokratischen Diskurs fallen nicht vom Himmel, sondern müssen erlernt und eingeübt werden. Deshalb sollten wir junge Menschen in der Schule viel stärker dafür sensibilisieren, was es bedeutet, Bürger einer demokratischen Gesellschaft zu sein. Dabei geht es sowohl um die Medienkompetenz, die das Individuum benötigt, um überhaupt eine Meinung bilden, sie formulieren und dafür argumentieren zu können, als auch um den Respekt vor den Mitbürgern und das Interesse an ihren Meinungen. Denn es kann immer sein, das die andere Person etwas weiß, das ich nicht weiß.
Die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen und ihre unfassbar grausamen Folgen erscheinen uns einerseits fern, wenn man den historischen Kontext der Weimarer Republik in den Blick nimmt – aber auch erschreckend nah. Sie sind ein warnendes Beispiel dafür, was mit einer Gesellschaft passieren kann, die nicht in der Lage ist, sich friedlich über einen gemeinsamen Weg in die Zukunft zu verständigen. Wenn es uns an Motivation fehlt, um immer weiter an unserer demokratischen Gesellschaft zu arbeiten, mögen wir uns an die Worte eines weiteren Schriftstellers erinnern – George Santayana: „Those who cannot remember the past are condemned to repeat it“.