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Tödliche Schüsse an Belgrader Schule: Über Serbien schwappt eine Welle der Gewalt

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Von: Thomas Roser

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Belgrad: Polizei sperrt die Straßen um den Tatort Schule ab.
Belgrad: Polizei sperrt die Straßen um den Tatort Schule ab. © dpa

Ein Siebtklässler erschießt offenbar mehrere Kinder und einen Rentner – angeblich, wie er eine schlechte Note bekam. Serbien wird derzeit von einer Welle der Gewalt erschüttert.

Belgrad – Weinende Angehörige, fassungsloses Lehrpersonal und traumatisierte Kinder: Ein 14-jähriger Schüler hat in der Vladislav-Ribnikar-Schule in Serbiens Hauptstadt Belgrad am Mittwochmorgen (3. Mai) offenbar mindestens neun Menschen getötet. Sechs Kinder und eine Lehrerin wurden zum Teil schwer verletzt in Krankenhäuser eingeliefert.

Unablässig heulten durch die Belgrader Straßen die Sirenen der Rettungswagen. Der „schwärzeste Tag in Serbien“ titelte entgeistert das Webportal nova.rs. Dabei hatte der wolkenverhangene Tag an der für ihren Französisch-Schwerpunkt bekannten und als renommiert geltenden Schule wie jeder andere Tag begonnen.

Gehetzt oder fröhlich plappernd hatten sich die Schulkinder nach den viertägigen Kurzferien am verlängerten 1.-Mai-Wochenende zu der im Stadtteil Vracar gelegenen Grund- und Hauptschule aufgemacht. Doch bereits kurz nach Unterrichtsbeginn um acht Uhr sollten mehrere Feuersalven im Erdgeschoss Entsetzen und Panik auslösen.

Bluttat in Belgrad: Pensionär wollte Täter aufhalten – und wird zum ersten Opfer

Vergeblich versuchte der Schulportier Dragan V. in der Eingangshalle den mit gezogener Pistole erschienenen Jugendlichen zu überwältigen, wie berichtet wird: Der gutmütige Pensionär, der sich an der Schule ein Zubrot zu seiner kargen Rente verdiente, wurde das erste Opfer. Aus der neben dem Eingangsbereich liegenden Sporthalle habe sie gesehen, wie der Portier fiel, berichtete ein aufgelöstes Mädchen der vor der Schule später aufgefahrenen Presse.

Danach soll der Siebtklässler Kosta K. in die Klasse 7/2 eingedrungen sein, wo er zum Entsetzen der Schülerinnen und Schüler mit der Pistole seines Vaters der Lehrerin in den Hals schoss. Dann – so berichten es die Kinder – habe er mit ausdrucksloser Miene scheinbar wahllos draufgehalten auf die erst entrüsteten und dann sich hastig unter ihre Schulbänke werfenden oder durchs Fenster ins Freie springenden Altersgenoss:innen.

Er habe in dem Klassenzimmer auf dem Boden neben einer toten Freundin gelegen, berichtete hernach ein erschütterter Junge: „Ich stellte mich tot – und konnte mein Leben so retten.“

Belgrad: Mutmaßlicher Täter plante offenbar noch größeren Angriff

Schließlich wurde der mutmaßliche Täter von acht Polizisten im Schulhof überwältigt. Belgrads Polizeichef Veselin Milic berichtete, dass der Schüler seine Tat offenbar schon einen Monat lang geplant hatte: Bei dem Jungen habe man eine Liste von Mitschülerinnen und -schülern gefunden, die er wohl hatte „liquidieren“ wollen. Als „zurückgezogenen“, aber sehr guten Schüler, der im Unterricht nie Probleme gemacht habe, umschrieben Überlebende Kosta K. Die Polizei vermutete als Grund für das sorgfältig geplante Ausrasten des stillen Jahrgangsbesten die Wut über eine „Eins“ – die schlechteste Note in Serbiens Schulsystem.

Vermutlich hatte der aufgebrachte Musterschüler ein noch fürchterlicheres Blutbad geplant: In einem Rucksack in dem 7/2-Zimmer wurden eine weitere Waffe und vier Molotow-Cocktails gefunden.

In Serbien nimmt die Gewalt zu: Ombudsmann warnt vor „kritischem Punkt“

Alle Belgrader Schulen sagten am Mittwoch den Nachmittagsunterricht ab, die Regierung kündigte eine dreitägige Staatstrauer an. In der Hauptstadt riefen die Medien für die eingelieferten Verwundeten zu Blutspenden auf: In Lebensgefahr schwebte bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch ein Mädchen.

Die Tragödie an der Belgrader Schule sei eine „letzte Warnung“, dass Serbiens Gesellschaft den „kritischen Punkt“ bei der zunehmenden Gewalt auch unter ihren Kindern längst überschritten habe, warnte der Ombudsmann Zoran Pasalic.

Tatsächlich wird der Balkanstaat schon seit Monaten von einer Welle der Familiengewalt und einer steigenden Zahl von Femiziden erschüttert. Ein noch immer nicht gelöstes Problem ist in der ganzen Region die hohe Zahl nicht registrierter Schusswaffen seit den Jugoslawienkriegen der 90er Jahre. Laut Angaben des am Mittwoch zeitweise inhaftierten Vaters von K. sei die Tatwaffe allerdings legal gemeldet gewesen und von ihm im geschlossenen Safe der Familie eigentlich auch sicher verwahrt worden: Doch habe sich sein Sohn ohne sein Wissen offenbar die Kenntnis von der Geheimzahl des Safes verschafft. (Thomas Roser)

(Die beiden Kinder unseres Autors sind an der betroffenen Vladislav-Ribnikar-Schule eingeschrieben. Sie haben unverletzt überlebt. d. Red.)

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