Macron mit kalkuliertem Klartext gegen Corona-Impfmuffel
Der französische Präsident hat genug von den Impfunwilligen und will sie nerven. Das ist wohl Wahlkampf-Kalkül. Denn Macron wird dafür mehr als deutlich. Quasi kalkuliert derb.
Paris – Man flucht nicht. Man ist hochgebildet und hat Manieren. Letztere kann Emmanuel Macron völlig selbstverständlich, quasi mit nobler Lässigkeit. Aber fluchen kann er auch – wie ein Müllkutscher, sagte man früher: Der französische Präsident möchte denjenigen, die noch immer in der Grande Nation die Corona-Impfung verweigern, „auf den Wecker gehen“. So freundlich hat er es gegenüber der Zeitung Le Parisien allerdings nicht formuliert. Er benutzte das Wort „emmerder“. Das heißt „jemanden nerven“, aber mit bräunlich stinkendem Zusatz. Zumindest verbal.
Der Präsident wurde auch ganz konkret: Ungeimpfte dürften nicht mehr ins Restaurant, dürften im Freien keinen Rotwein oder Kaffee mehr trinken und könnten auch nicht mehr ins Kino oder Theater. Denn dafür sei in Frankreich vom 15. Januar an ein Impfpass nötig, der das derzeit geltende Gesundheitszertifikat verschärft.
Macrons Wortwahl eines Staatschefs nicht würdig
Macron erachtet Impfunwillige für unverantwortlich, da sie die Gesundheit der Geimpften gefährdeten und damit deren Freiheit einschränkten. „Ich bin nicht dafür, die Franzosen zu nerven. Die Ungeimpften habe ich aber große Lust zu nerven. Und dabei werden wir bis ans bittere Ende gehen. Das ist unsere Strategie.“ Das „bittere Ende“ ist nicht das Gefängnis, auch nicht die Zwangsimpfung. Ohne Impfpass wird es aber das Leben stark eingeschränkt werden, versicherte Macron.

Frankreich reagierte auf all das einigermaßen perplex. Die Nationalversammlung unterbrach sogar ihre gesetzgebende Arbeit zum Impfpass, als sie zu später Stunde von Macrons Äußerungen in dem Zeitungsinterview erfuhr. Rechte wie linke Abgeordnete kritisierten, eine solche Wortwahl sei eines Staatschefs nicht würdig. Der linke Präsidentschaftskandidat Jean-Luc Mélenchon empfand die präsidialen Aussagen als „erschreckend“. Die Rechtspopulistin Marine Le Pen sieht Macron einen Keil in die Nation treiben.
„Versteckter Impfzwang“
Dass Macron das „emmerder“ so rausgerutscht ist, scheint zweifelhaft. Er wiederholte den saftigen Ausdruck nämlich, wie um sicherzugehen, dass es da kein Vertun gibt. Mit der Tagesaktualität Vertraute glauben, dass Macron wegen der Präsidentschaftswahlen im April auf Mehrheitssuche ist. Er versucht den 80 Prozent Geimpften in Frankreich aus dem Herzen zu sprechen; die häufig der extremen Linken oder Rechten zuneigenden Impfmuffel hat er offenbar für verloren gegeben.

Schon über die Festtage hatte Gesundheitsminister Oliver Véran für Stirnrunzeln gesorgt, als er ohne Umschweife zugab, der neue Impfpass sei „eine Art versteckter Impfzwang“. So offen spricht die Regierung sonst nie. Von Georges Pompidou, Staatspräsident von 1969 bis 1974, ist zwar auch das Bonmot übermittelt, er wolle „die Franzosen nicht nerven“ („il ne faut pas emmerder les Français“), doch tat der Gaullist in seiner bekannten hemdsärmeligen Art genau dies, eine Zigarette spöttisch im Mundwinkel.
Bei Macron wirkt das dagegen einstudiert. Kommentare in den sozialen Medien wollen sein „emmerder“ eher als Beleg der verbalen Arroganz des Präsidenten sehen, die sich schon öfters in Sprüchen gegen Arbeitslose oder andere Gruppen geäußert habe. Ob seine Strategie, klar Position für die geimpfte Mehrheit zu beziehen, an den Wahlurnen aufgehen wird, ist deshalb alles andere als sicher.
Die Anti-Impffront dürfte Macron schon gar nicht überzeugen. Die Inzidenz liegt in Frankreich derzeit bei wöchentlich mehr als 1600 Neuinfektionen pro 100.000 Personen. Gut 3600 Notfälle sind mit Atem- oder anderen Beschwerden auf den Intensivstationen eingewiesen. Die Neuinfektionen überschritten am Dienstag den bisherigen Höchstwert von 270.000. (Stefan Brändle)