Proteste in Frankreich: Macron geht in die Gegenoffensive

Mit einem kämpferischen TV-Auftritt versucht der französische Präsident Macron, seine Rentenreform zu retten. Doch die Fronten bleiben verhärtet / Von Stefan Brändle
Die Frage war vielleicht rhetorisch, aber sehr direkt: „Glauben Sie, dass es Spaß macht, eine solche Reform zu machen?“, herrschte Macron am Mittwoch die zwei Journalisten des „Mittagsjournals“ an. Die Erhöhung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre sei „kein Luxus, kein Vergnügen, sondern eine Notwendigkeit“, erklärte der Präsident.
Auf seine Ausführungen, warum diese Reform nötig sei, vermochte der Präsentator von France-2 nur noch zu fragen, wieso er das den Französinnen und Franzosen nicht schon vor Monaten erklärt habe. Doch der energiegeladene Präsident hörte nicht hin. Er versprach neue Reformen für Arbeiter:innen mit harten Jobs, für den Berufswechsel ab 55 Jahren oder für Mindestlohnbezieher:innen.
Am Rentenalter 64 hält er aber fest. Diese Reform soll zum Jahresende hin umgesetzt werden, sofern der Verfassungsrat grünes Licht gibt. Die Forderung der Gewerkschaften nach einem Rückzug der Reform überging Macron bei seinem ersten offiziellen Eingriff in die Rentendebatte.
Die Fronten scheinen damit verhärtet. Der Vertreter der Gewerkschaft CGT in Marseille, Olivier Mateu, hatte schon vor Macrons TV-Auftritt erklärt, alles andere als ein Rückzug der Reform wäre für ihn inakzeptabel. Die Gewerkschaften rufen für Donnerstag zu einem Protesttag auf.
In Paris und anderen Städten kommt es seit einer Woche jede Nacht zu Ausschreitungen. Züge werden in Bahnhöfen – am Mittwoch etwa in Toulouse und Nizza – festgehalten. Die Ölraffinerien sind blockiert, was in Südfrankreich zu Benzinmangel führt. In Marseille sperrte die CGT am Mittwoch auch die Zufahrten zum Hafen. Wegen des Streiks von Müllarbeiter:innen häufen sich in vielen Städten die Müllberge.
Macron bekannte sich zum Streikrecht; gegen die diversen Blockaden bietet er aber Arbeiter:innen des Privatsektors auf. Am Dienstag hatte er vor Vertreter:innen seiner Partei „Renaissance“ ausgeführt, „die Menge“ auf der Straße habe keine demokratische Legitimität. In Frankreich werden immer wieder Abgeordnetenbüros verwüstet; anderen wird der Strom gekappt. Macron lässt sie nun polizeilich schützen.
Die Linksunion „Nupès“ und die Rechtspopulistin Marine Le Pen verlangen einen Regierungswechsel mit Neuwahlen oder eine Volksabstimmung zur Rentenfrage. Beides kommt für Macron nicht infrage. Der Rücktritt von Premierministerin Elisabeth Borne wäre für ihn allzu billig. Sie ist erst die zweite Premierministerin Frankreichs nach Edith Cresson. Die war von Staatschef François Mitterrand 1992 nach nur elf Monaten entlassen worden. Bornes Ablösung nach zehn Monaten im Amt käme einer Ohrfeige gleich. Ein „référendum“ steht für Macron ebenso außer Frage: Schon Charles de Gaulle hatte dabei 1969 nach einer verlorenen Senatsreform den Hut nehmen müssen. Und Macron ist noch unbeliebter: Seine Popularität ist in den Umfragen auf 28 Punkte abgesackt – den tiefsten Wert seit der Gelbwesten-Krise von 2019.
Die labile Stimmung im Land wird Macron ebenso angekreidet wie die Serie von Krawallen in zahllosen Städten. Laurent Berger von der gemäßigten Gewerkschaft CFDT warnte Macron, dass er mit seiner Arroganz die Nation gegen sich aufbringe. Außer vom Unternehmerverband Medef sind kaum Stimmen zugunsten der Rentenreform zu hören.