„Die Macht wird mit Zähnen und Klauen verteidigt“

Helga Lukoschat, Vorstandsvorsitzende der Europäischen Akademie für Frauen (EAF Berlin), über die Männerstrukturen in der Politik und warum sie aufgebrochen werden müssen.
Kritiker sagen, ein Paritätsgesetz sei so nötig wie ein Kropf. Was sagen Sie, Frau Lukoschat?
Dass wir unbedingt ein Paritätsgesetz brauchen, weil wir nicht automatisch einen ausgeglichenen Anteil von Frauen und Männern in den Parlamenten erreichen. Das hat sich in den letzten Jahrzehnten gezeigt. Im Gegenteil gibt es fast flächendeckend einen Rückgang von weiblichen Abgeordneten, im Bundestag, aber auch in Landesparlamenten.
Woran liegt’s?
Da kommen mehrere Faktoren zusammen. Am offensichtlichsten ist der Einzug der AfD, die absolut männerdominiert ist und auch hauptsächlich von Männern gewählt wird. Hinzu kommt, dass die konservativen Parteien nur einen Frauenanteil von knapp 20 Prozent haben – noch weniger als die FDP. Das hat vor allem damit zu tun, dass die Frauen bei den Direktmandaten nicht zum Zuge kommen. Hier geht es um die Wahl einer Person und da behaupten sich ganz überwiegend männliche Kandidaten.
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Weil die Kreisverbände noch immer Männerbastionen sind?
Sicher liegt es auch am Nominierungsverhalten der Parteien vor Ort. Aber das Problem fängt sehr viel früher an. Männer verfügen in der Regel über mehr Zeit, mehr materielle Ressourcen und bessere Netzwerke, so dass Frauen bei der Parteiarbeit strukturell benachteiligt sind. Interessant ist, dass das Geschlechterverhältnis in den Jugendorganisationen ausgeglichener daherkommt. Was allerdings auch dazu führt, dass viele junge Frauen glauben, es brauche keine Quote.
Doch irgendwann ist dann ein Großteil der Frauen verschwunden.
Zwischen dreißig und vierzig, einem Alter, in dem politische Karrieren geschmiedet werden, ist es für viele Frauen sehr viel schwieriger sich durchzusetzen, Unterstützung zu organisieren und bekanntzuwerden. Wir müssen den Blick darauf lenken, dass es hier um strukturelle Faktoren geht, die wir auch strukturell bekämpfen müssen und so verändern können.
Was könnte ein Paritégesetz denn dazu beitragen?
Auf jeden Fall würde es den Frauenanteil in den Parlamenten erhöhen, weil dann alle Parteien alternierende Listen aufstellen müssten. Langfristig, so die Hoffnung, wird sich dadurch auch die politische Kultur verändern. Doch Parität bei den Wahllisten allein genügt nicht. Man muss auch an die Direktmandate ran. Zum Beispiel, indem Wahlkreise halbiert werden, so dass Männer und Frauen im Duo oder im Tandem kandidieren können. Das würde sofort Parität bei den Direktmandaten herstellen.

In Thüringen war es so geplant, aber Rot-Rot-Grün ist vor diesem radikalen Schritt zurückgeschreckt.
Die Widerstände an diesem Punkt sind enorm groß. Die Direktmandate sind ein Kernstück politischer Macht und werden mit Zähnen und Klauen verteidigt. Das erleben wir ja auch bei der sehr mühseligen Reform des Wahlrechts im Bundestag. Aber für eine wirkungsvolle Parität müsste man die Änderung der Wahlkreise mit einbeziehen.
Und es müssten genügend Frauen Politik machen wollen. Gegner von Gleichstellungsbemühungen verweisen ja gern darauf, dass Frauen sich verweigern.
Wir haben eine Studie über Kommunalpolitik gemacht. Daraus ging klar hervor, dass es für Frauen in konservativen ländlichen Regionen einer enormen Anstrengung bedarf, in die Politik zu gehen. Die Rollenerwartungen sind dort oft noch sehr stereotyp. Hinzu kommt, dass Frauen diesen Schritt meist nur dann machen, wenn ihre Partner sie unterstützen. In Großstädten sieht es aber schon anders aus.
Was kann helfen?
Ganz gezielt zu schauen, wie solche Barrieren überwunden werden können. Die Frauen in den Parteien müssen dezidiert fordern, dass diese Hindernisse angesprochen und so andere Frauen ermutigt werden.
Kaum geht es an männliche Pfründe, gibt es einen Aufschrei und juristischen Gegenwind – wie beim Paritätsgesetz. Warum sind Frauen, die bei Gleichstellungsfragen viel mehr Anlass zum Schreien hätten, so viel leiser?
Ich beobachte auch, dass es Frauen sehr viel schwerer fällt zu sagen: Jetzt machen wir ein Gesetz, das uns hilft. Ein Paritätsgesetz zum Beispiel würde vieles erledigen, was wir an Kämpfen haben. Politik ist immer eine Auseinandersetzung um Verteilung von Ressourcen, von Macht und Einfluss. Bei Gleichstellungsfragen wird die Kontroverse auch immer juristisch ausgetragen, das zieht sich als roter Faden durch. Jede einzelne Verbesserung musste unendlich langwierig und mühsam erstritten werden.
Fürchten sich Politikerinnen vor diesen harten Kämpfen?
Im Zuge des Paritätsgesetzes habe ich oft Zweifel bei Frauen gehört. Das Gesetz wird doch so kontrovers diskutiert, hieß es da. Vielleicht ist es verfassungswidrig, dürfen wir das überhaupt? Deshalb war es entscheidend, dass Thüringen und Brandenburg diesen Schritt dennoch gemacht haben. Dann kann er von den Gerichten überprüft werden und anschließend schaut man weiter.
Wie groß sind die Chancen für das Thüringer Paritätsgesetz?
Wahrscheinlich wird der Thüringer Verfassungsgerichtshof der Ansicht sein, dass das Gesetz mit der Wahl- und Parteienfreiheit nicht zu vereinbaren ist. Dennoch ist das Verfahren ganz wichtig, denn es geht um die Frage, wie der Gleichberechtigungsartikel des Grundgesetzes interpretiert wird. 1994 wurde er um einen aktiven Gleichstellungsauftrag des Staates erweitert. Geht es hier nur um die formale Chancengleichheit? Oder geht es darum, die tatsächliche Gleichberechtigung von Männern und Frauen herzustellen und dabei auch strukturelle Diskriminierung zu berücksichtigen? Ich hoffe sehr, dass die Frage vor dem Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe landet.
Wäre nicht der sauberste Weg, das Grundgesetz zu ändern?
So wurde es in Frankreich gemacht. Vielleicht läuft es auch bei uns darauf hinaus. Wobei viele Juristinnen darauf verweisen, dass wir den Artikel 3 ja bereits ergänzt haben. Aber die Auseinandersetzung darüber, was das in der Praxis bedeutet, müssen wir heute verstärkt führen.
Fühlen sich die betroffenen Parteien dadurch überhaupt unter Druck gesetzt?
Das ist Sinn und Zweck der Sache. Sie müssen gedrängt werden, konsequent weibliche Mitglieder zu gewinnen und die Parteistrukturen so zu gestalten, dass Frauen dann auch eine Chance haben.
In deutschen Parteien gibt es nur ein knappes Drittel weiblicher Mitglieder. Was also ist zu tun?
Das ist die große Frage. Deshalb machen wir in der EAF ja zur Zeit eine große Studie, bei der es um Parteienkultur und die politische Teilhabe von Frauen geht. Grundlage sind viele Interviews, aber auch eine repräsentative Befragung, die wir im Herbst machen werden.
Können Sie schon ein paar Erkenntnisse ausplaudern?
Es stellt sich heraus, dass es an einer offenen Willkommenskultur mangelt. Alle Parteien bescheinigen sich, dass es hier sehr viel Luft nach oben gibt: Wie werden Menschen gewonnen, wie laufen Sitzungen ab, wie viel Zeit wollen Frauen in dunklen Hinterzimmern verbringen, welche Regularien gibt es, damit alle zu Wort kommen und Männer nicht ständig dominieren?
All diese Probleme sind seit Jahrzehnten bekannt ...
Ja, aber die Strukturen sind unglaublich zäh. Bis dahin, dass Frauen noch immer für die sogenannten weichen Politikfelder zuständig sein sollen: Bildung, Kultur, Frauen, Familie. Sie müssen in den Parlamenten extrem darum kämpfen, in andere Ausschüsse zu kommen – Haushalt, Bauen, Verkehr. Gerade die Neuankömmlinge werden von diesen strukturellen Bedingungen, Verhaltensweisen und Kommunikationsformen überrannt.
Und die männlichen Kollegen finden das in Ordnung?
Die verfahren gerne nach dem Muster: Wir wollen die Frauen ein wenig fördern, sie sollen auch ein bisschen nach vorne kommen dürfen, doch bitte nicht zu viel, denn wir sind ja auch noch da. Aber über das eigene Verhalten nachzudenken, ist viel zu wenig ausgeprägt.
Also kein Optimismus, was eine schnelle Veränderung der Strukturen angeht?
Wir sind im Jahr 2020 und es ist erschreckend, wie hartnäckig sich die alten Muster halten und total schade, dass es so wenig Bereitschaft gibt, die Verhältnisse zu reflektieren. Deshalb ist es so wichtig, dass sich die Parteien entweder selbst verbindliche Vorgaben machen – oder der Gesetzgeber muss ran und die Sache regeln.
Interview: Bascha Mika