Lula gegen Bolsonaro: Schlammschlacht vor Brasiliens Stichwahl

Sticheln vor der Stichwahl: Den beiden Lagern der Präsidentschafts-Kandidaten Lula und Bolsonaro ist jedes Mittel recht, um den anderen in den Dreck zu ziehen.
Rio de Janeiro / Brasilien – Mit 48,4 Prozent der Stimmen hat Luiz Inácio „Lula“ da Silva am 2. Oktober einen Sieg im ersten Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Brasilien recht knapp verpasst. Dass es zu einer Stichwahl kommen würde, war zu erwarten. Überraschender war, dass sein Kontrahent, der aktuelle Präsident Jair Bolsonaro, mit 43,2 Prozent der Stimmen deutlich besser abschnitt als in Umfragen vorhergesagt.
Die Ausgangssituation für die Stichwahl am 30. Oktober ist trotzdem nicht schlecht für Lula: Ihm fehlten weniger als zwei Millionen Stimmen, um die Wahl im ersten Wahlgang für sich zu entscheiden. Zu Bolsonaro hatte er einen Vorsprung von rund sechs Millionen Wählerinnen und Wählern – der will sich aber noch lange nicht geschlagen geben.
Der Wahlkampf in Brasilien hat sich inzwischen zu einer regelrechten Schlammschlacht entwickelt. Besonders viel über Inhalte wurde schon in den vergangenen Wochen nicht diskutiert. Lula und seine Unterstützer hatten vor dem ersten Wahlgang vor allem angekündigt, „Brasilien wieder glücklich“ zu machen. Bolsonaros Seite hatte sich hauptsächlich aufs Thema innere Sicherheit und das Schlechtreden von Lula fokussiert. Inzwischen beschränken sich beide Seiten fast ausschließlich darauf, die andere durch den Dreck zu ziehen. Dabei steht für derartige Kleinkriege zu viel auf dem Spiel: Brasiliens Demokratie und das Weltklima sind bedroht.
Wahl in Brasilien: Bolsonaros verheerende Bilanz
Jair Bolsonaro hinterlässt nicht nur fast 700.000 Corona-Tote, von denen viele durch eine Impfkampagne hätten verhindert werden können, und Rekordzahlen in Sachen Amazonas-Abholzung – er wird auch zunehmend zu einer direkten Gefahr für die Demokratie Brasiliens: Der rechtsextreme Präsident macht keinen Hehl aus seinen autoritären Ansichten und sympathisiert regelmäßig offen mit einer Militärdiktatur.
Trotz dieser verheerenden Bilanz von Bolsonaro und der direkten Bedrohung der Demokratie im Land, sind die Meinungen der Brasilianerinnen und Brasilianer zu den beiden Kandidaten gespalten. Rund 39 Prozent der brasilianischen Bevölkerung lehnen Lula, wegen Korruptionsvorwürfen gegen ihn ab. Auch seine wirtschaftlich linke Ausrichtung stößt auf Misstrauen. Brasilien könne unter ihm im Sozialismus kollabieren und so verarmen wie Venezuela und Kuba, so denken nicht wenige Brasilianerinnen und Brasilianer.
Beim Ausgang des Kopf-an-Kopf-Rennens könnten die Nichtwähler eine entscheidende Rolle spielen. Die Wahlbeteiligung lag im ersten Wahlgang mit knapp unter 80 Prozent trotz Wahlpflicht etwas niedriger als in den Vorjahren. Rund 30 Millionen wahlberechtigte Brasilianer und Brasilianerinnen hatten ihre Stimme also nicht abgegeben. Sollte es einem der beiden Kandidaten bis zur Stichwahl gelingen, einen großen Teil dieser Menschen anzusprechen, könnte das zu einem entscheidenden Vorteil werden.
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Brasilien: Wahlkampf als Schlammschlacht
Für die mögliche Eroberung von Wählerstimmen scheint den beiden Lagern inzwischen jedes Mittel recht: Lula-Unterstützer durchforsteten die Archive des Internets durchsucht und verbreiten nun alle möglichen Videos, die Bolsonaro in ein schlechtes Licht rücken können: Da ist ein Clip von 2016, in dem der rechtsextreme Präsident sagt, er würde Menschenfleisch essen. Außerdem gibt es ein Video von Bolsonaro bei den Freimaurern. Dessen Verbreitung stößt gerade seinen streng christlichen Anhängern sauer auf.
Gegen Lula werden ähnliche Geschütze aufgefahren. Bolsonaro wiederholt immer wieder, Lula sei ein korrupter Dieb. Außerdem wurde das Gerücht gestreut, Lula wolle Kirchen schließen und Unisex-Toiletten an Schulen einführen. Oft geteilt wurde in den vergangenen Tagen auch ein Zitat aus den 1980er-Jahren, in denen sich Lula kritisch zu Homosexualität äußert. Twitter, Instagram, Facebook, TikTok und die in Lateinamerika ebenfalls beliebte App Kwai sind voll von Memes und Videos, die nur ein einziges Ziel verfolgen: einen der beiden Kandidaten zu diskreditieren. Echte Inhalte und Wahlprogramme sucht man zwischen all den Witzen und Fakenews vergeblich.
Wahl in Brasilien: Lula in den Umfragen weiter vorne
Wer am Ende gewinnt? Die Umfragen sehen weiter Lula vorn, denen traut inzwischen aber keiner mehr so richtig. Immerhin hatten die Wahlforscher Bolsonaro bereits im ersten Wahlgang unterschätzt. Die Chancen für Lula stehen mit dem soliden Vorsprung aus dem ersten Wahlgang und der zusätzlichen Unterstützung aber gut, in der Stichwahl erneut die Nase vorn zu haben. Bis zum 30. Oktober ist es allerdings noch lange hin – und Überraschungen in letzter Minute sind in Brasilien eher die Regel als die Ausnahme.