Minister gibt Start-Signal für Gegenoffensive: Nimmt Kiew Putin jetzt in die Zange?
Die nächsten Wochen werden im Ukraine-Krieg militärisch hochgradig spannend. In einer Zangenbewegung dürfte die ukrainische Armee vorrücken. Eine Analyse.
München/Donbass - Russische Beamte und Militärs verspüren angesichts der erwarteten Gegenoffensive der Ukraine im Krieg gegen Russland eine „allgegenwärtige Angst“. Das schreibt zumindest das Nachrichtenmagazin Newsweek.
Ukraine-Krieg: Gegenoffensive steht laut Kiew unmittelbar bevor
US-Analysten zufolge steht der Gegenschlag unmittelbar bevor. Mehrere Faktoren würden dafür sprechen. Neben dem wärmeren Wetter Anfang Mai gehöre laut Newsweek auch die Aussicht dazu, Russland die bedeutsamen Feierlichkeiten am 9. Mai zu verderben.
Maßgeblich: Der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow kündigte an diesem Freitag (28. April) den Beginn der Gegenoffensive als kurz bevorstehend an. Aber: Wie und wo? Der militärische Gegenangriff könnte im Ukraine-Krieg Hinweisen zufolge in einer Art Zangenbewegung gegen die Invasionsarmee von Präsident Wladimir Putin erfolgen.

„Die Vorbereitungen gehen ihrem Ende entgegen“, erklärte Resnikow bei einer Pressekonferenz: „Die Ausrüstung wurde versprochen, vorbereitet und teils geliefert. Im weitesten Sinne sind wir bereit.“ Mit schweren westlichen Waffen: NATO-Länder und ihre Partner hatten Kiew in den vergangenen Monaten nach Angaben des westlichen Verteidigungsbündnisses mehr als 230 Kampfpanzer geliefert. Hinzukommen demnach 1550 gepanzerte Fahrzeuge wie Schützenpanzer.
Gegenoffensive der Ukraine: Durch wärmeres Wetter im Mai begünstigt
Kann es also losgehen? Die US-amerikanische Denkfabrik „Institute for the Study of War“ (ISW) verwies auf das wärmere und trockenere Wetter im Mai. Dann endet in der Ukraine üblicherweise die Regenzeit. Für schwere westliche Panzer sind die weiten Ebenen im Donbass so viel besser zu befahren. Kurzum: Sie bleiben nicht im Matsch stecken und kommen viel zügiger voran.
Newsweek merkte an, dass in den russischen Regionen Belgorod und Kursk an der Grenze zur Ukraine aus Sicherheitsgründen der „Marsch des unsterblichen Regiments“ zum Gedenken an den sowjetischen Sieg über Nazideutschland und andere Veranstaltungen zum „Tag des Sieges“ am 9. Mai abgesagt wurden. „Die nächsten 30 bis 60 Tage der Kampagne werden entscheidend sein“, erklärte der pensionierte US-Marinekorps-General Frank McKenzie, ehemals Kommandeur beim US-Zentralkommando, Newsweek: „Die Ukraine hat die russische Offensive in diesem Frühjahr weitgehend abgewehrt. Das Wetter wird besser und die Ukraine integriert neue Fähigkeiten. Sie haben eine Chance, aber die Risiken bleiben hoch.“
Besseres Wetter fördere die militärische Beweglichkeit, „und so wird sich der Charakter der (Militär-)Operationen ändern“, meinte Nick Reynolds von der Londoner Denkfabrik Royal United Services Institute. Das sei besonders im Donbass wichtig, erklärte der Analyst Newsweek, „wo die schlechte Qualität des Straßennetzes und des Verkehrs die Herausforderungen des schlechten Wetters und des Schlamms für die Streitkräfte verschärfen“.
Gegenoffensive der Ukraine: Von Charkiw aus nach Luhansk im Donbass?
Insbesondere „im Bereich der Luftverteidigung“ blieben aber „schwerwiegende Ausrüstungsmängel, die seit langem identifiziert, aber nicht angegangen wurden“, mahnte Reynolds. Das deckt sich mit Berichten der New York Times und des britischen Guardian, wonach aus jüngst geleakten US-Dokumenten hervorgehe, dass es nicht gut um die ukrainische Luftverteidigung stünde. So beschrieb demnach ein als „geheim“ gekennzeichnetes Dokument vom 23. Februar, dass die Munition der ukrainischen S-300-Luftabwehrsysteme bis zum 2. Mai erschöpft sein könnte.
Die Ausrüstung wurde versprochen, vorbereitet und teils geliefert. Im weitesten Sinne sind wir bereit.
Was den Druck einer baldigen Offensive erhöht? Angesichts jüngster Hinweise wird der Angriff der ukrainischen Streitkräfte wohl nicht nur im Süden erfolgen, sondern forciert im Nordosten von Charkiw aus mit Stoßrichtung Luhansk im Donbass - entlang der russischen Grenze. So habe das ukrainische Militär „heimlich“ Kräfte in der Region Charkiw gesammelt, schrieb Newsweek kürzlich.
Wie zudem die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) unter Berufung auf Kartenmaterial der Washingtoner Denkfabrik „American Enterprise Institute“ berichtete, haben die US-Analysten auf russischem Territorium in Grenznähe zu den ukrainischen Gebieten Sumy und Charkiw Verteidigungslinien entdeckt. Beide Städte liegen ebenfalls im Nordosten.
Ukraine-Offensive: Gräben der russischen Armee bei Saporischschja und Luhansk
Das ZDF berichtete indes von intensiven Befestigungsarbeiten der russischen Armee in den Regionen Saporischschja und Luhansk. Satellitenbildern zufolge wurden Hunderte Kilometer Schützengräben ausgehoben, strellenweise kombiniert mit „Drachenzähnen“ aus Beton, um Panzer aufzuhalten. Saporischschja liegt wiederum im Südosten des Landes am Dnepr. Erfolgt die Gegenoffensive also in einer Art Zangenbewegung?

Und zwar von Charkiw aus nach Luhansk, auch, um russische Wagner-Söldner bei Bachmut aufzureiben? Somit könnte der Nachschub für prorussische Separatisten im Donbass abgeschnitten werden. Andererseits von Cherson aus über Melitopol nach Saporischschja, um das besetzte Atomkraftwerk (AKW) einzunehmen? Dort haben die russischen Besatzer laut britischem Verteidigungsministerium Stellungen auf Dächern des AKWs errichtet, was sich nicht unabhängig überprüfen lässt.
Gegenoffensive der Ukraine: Zangenbewegung gegen die russische Armee?
Noch ein Indiz für eine Zangenbewegung: Ein 70 Kilometer langer Schützengraben in der Region Saporischschja soll das besetzte Melitopol absichern, schreibt das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) mit Verweis auf das „Zentrum für journalistische Untersuchungen“, das Satellitenbilder ausgewertet habe. Demnach verlaufe eine befestigte Linie der russischen Armee westlich von Melitopol vom Dorf Semenovka bis zum Dorf Marinovka östlich der Stadt am Asowschen Meer. Geht es jetzt nur noch um Tage? (pm)