Londons Hilfe auf allen Kanälen

Die britische Unterstützung für die Ukraine fängt bei Waffen und Training nur an. In London herrscht ein gesellschaftspolitischer Konsens über die Hilfen.
London – Neulich erlaubte sich James Heappey am Flughafen Heathrow einen Spaß. Auf die Frage nach seinem Beruf antwortete der Staatssekretär im Verteidigungsministerium von Großbritannien schlicht: „Waffenhändler“. Nur kurz habe der Passbeamte gestutzt, erinnert sich der 42-Jährige lächelnd, dann aber das Regierungsdokument erkannt und geantwortet: „Sehr gut, machen Sie weiter so.“
Die Anekdote verdeutlich: Auf der Insel gibt es einen weitgehenden gesellschaftspolitischen Konsens über die sehr weitreichende Unterstützung der Regierung von Rishi Sunak für die Ukraine. Großbritannien war im vergangenen Jahr der erste europäische Staat, der der bedrohten Ukraine Waffen schenkte und damit zur Abwehr des russischen Angriffs auf Kiew beitrug. Inzwischen reisen britische Ministeriale und hohe Beamtete durch alle Welt und koordinieren weitere Hilfslieferungen.
London: Eine Kooperation, „über die Herr Putin sehr wütend wäre“
Manche Staaten seien auch stillschweigend zur Kooperation bereit, „über die Herr Putin sehr wütend wäre“, berichtet der Ex-Infanterieoffizier Heappey im Ministeriumsgebäude an der Themse. „Darunter sind auch solche, die sich bei UN-Abstimmungen über die russische Aggression der Stimme enthalten.“
Das vom Club der Auslandspresse FPA organisierte Gespräch mit dem Staatssekretär kreist wie die meisten Diskussionen dieser Tage nicht zuletzt um die Frage der Kriegsdauer. Heappey spricht lieber von den russischen Offensiven der vergangenen Tage („höchstens stockend, eher schon fehlgeschlagen“) und dem bevorstehenden Gegenangriff: „Die Ukraine hat weitgehend alles, was sie für eine erfolgreiche Offensive braucht.“ Über deren Ziele mag er nicht reden. Lieber schwärmt er vom „unglaublich engen Verhältnis“ zu seinen Kolleg:innen in Kiews Verteidigungsministerium. Auch die Generalstäbe würden in dauerndem Austausch stehen.
Panzer für die Ukraine sind versandbereit
Und die Kriegsdauer? „Putin muss scheitern, und die Welt muss das Scheitern sehen. Unsere Unterstützung dauert so lange wie nötig.“ Heappey bestätigt, es gebe bei den diversen Alliierten unterschiedliche Vorstellungen über die Kriegsziele. Als Ergebnis des Krieges sei jedoch „nur das akzeptabel“, was auch Präsident Wolodymyr Selenskyj akzeptieren könne.
Dass es schon bald neue diplomatische Initiativen oder Verhandlungen geben kann, sehen viele Londoner Fachleute nicht. Er sei „pessimistisch, dass der Krieg in diesem Jahr zu Ende geht“, berichtet etwa der Ex-Sicherheitsberater Kim Darroch. Ähnlich sehen es auch die Fachleute des Londoner Strategieinstituts IISS, die vergangene Woche ihr Jahrbuch „Military Balance“ vorstellten. Armee-Spezialist Ben Barry betont darin den Abnutzungscharakter des Krieges.
Londons Einschätzung: „Wir müssen ein zweites blutiges Jahr erwarten“
Für eine erfolgreiche Gegenoffensive plane die Ukraine mit mindestens zehn Brigaden, wofür rund 1000 gepanzerte Fahrzeuge bis hin zu Kampfpanzern benötigt würden. Bisherigen Ankündigungen zufolge wollen westliche Verbündete bis zum Sommer lediglich ein Viertel davon liefern. „Wir müssen ein zweites blutiges Jahr erwarten“, befürchtet der frühere Brigadegeneral.
Russlands Angriffskrieg stelle die Widerstandskraft des Westens auf die Probe, analysiert IISS-Direktor John Chipman. Umso wichtiger sei es für die Rüstungsindustrie in Europa, dass sie rasch politische Vorgaben zur dringend nötigen Produktionssteigerung von Waffen und Munition erhält. Partner ebenso wie Kontrahenten der USA und Europas würden, weiß Chipman, „sehr genau darauf schauen, wie dauerhaft die Unterstützung für die Ukraine ausfällt“.
Ukraine-Krieg: 14 Panzer könnten „jederzeit“ geschickt werden
Auch deshalb sind Heappey und seine Kolleg:innen in der Regierung weltweit viel unterwegs. Stolz verweist der Staatssekretär dann auf die Waffenhilfe, vor allem aber auf die Ausbildung von mehr als 11 000 ukrainischen Soldat:innen im vergangenen Jahr. 2023 soll diese Zahl annähernd verdoppelt werden.
Derzeit sind auch Panzerbesatzungen auf der Insel, die am britischen „Challenger“ trainieren. Die bisher zugesagten 14 Panzer dieses Typs könnten „jederzeit“ geschickt werden, versichert Heappey. Mit dem Gerät sei es aber nicht getan; sowohl die Panzertruppe selbst wie auch die begleitende Infanterie müsse intensives Training durchlaufen, damit der Einsatz wirklich sinnvoll ist.
Londons Hilfe im Ukraine-Krieg: Besser Flak denn Jets
Eine Spezialausbildung erhalten auch jene ukrainischen Kampfjet-Piloten, die derzeit mangels geeigneter Flugzeuge im eigenen Land keine Verwendung finden. Auf der Insel sollen sie den Umgang mit hochmodernen Jagdbombern vom Typ „Eurofighter/Typhoon“ lernen. Selenskyjs Wunsch nach westlichen Kampfjets selbst hat London bisher ebenso zurückhaltend aufgenommen wie die meisten Nato-Verbündeten. Man habe nichts versprochen, auch mit anderen Regierungen keine diesbezüglichen Gespräche geführt, unterstreicht Heappey mehrfach.
Dass umgekehrt die russischen Invasionskräfte in der nächsten Kriegsphase verstärkt Flugzeuge und Helikopter einsetzen wollen, wie jüngst kolportiert wurde, liegt dem IISS-Experten Douglas Barrie zufolge in der Logik der Kriegsführung. Denn auf die Angriffe mit Raketen und iranischen Drohnen habe sich die Ukraine mit Hilfe westlicher Waffen immer mehr eingestellt. Gelang an einem Oktobertag der Abschuss von 52 Prozent der angreifenden Flugkörper, so lag die Rate Mitte Februar bei 86 Prozent. Zusätzlich erhält Kiew nun moderne „Patriot“-Flaksysteme aus deutschen, niederländischen und US-Beständen. (Sebastian Borger)