Lockerbie-Attentäter frei

Der Lockerbie-Attentäter ist begnadigt. Der krebskranke Libyer darf - pünktlich zum Ramadan - zurück in seine Heimat. Die USA sind empört. Angehörige der Opfer vermuten Öldeals als Motiv. Von Peter Nonnenmacher
Von Peter Nonnenmacher
Trotz zorniger Proteste aus den USA haben die schottischen Behörden den "Lockerbie-Bomber" Abdelbaset al Megrahi zum Sterben heim nach Libyen geschickt. Die Regionalregierung Schottlands entschied am Donnerstag, den vor acht Jahren verurteilten Libyer "aus humanitären Gründen" freizulassen. US-Politiker und Angehörige amerikanischer Opfer des Lockerbie-Anschlags von 1988 bezeichneten die Freilassung als "empörend". Angehörige britischer Opfer klagten, dass nun "die Wahrheit über Lockerbie" wohl nie ans Tageslicht kommen werde.
Megrahi, der an einer fortgeschrittenen und unheilbaren Krebserkrankung leidet, wurde am Donnerstagnachmittag von Glasgow aus in seine Heimat zurückgeflogen. Der 57-jährige Vater von fünf Kindern war für den bisher größten Terroranschlag aller Zeiten in Großbritannien zu einer Mindeststrafe von 27 Jahren verurteilt worden.
Megrahi soll die Bombe gelegt haben, die am 21. Dezember 1988 einem Panam-Jumbo-Jet über dem schottischen Städtchen Lockerbie explodieren ließ. Bei dem Anschlag starben 270 Menschen, zwei Drittel davon US-Amerikaner.
US-Präsident Barack Obama bedauerte die Entscheidung gestern "zutiefst". Zahlreiche Angehörige von Lockerbie-Opfern sprachen von einer "unglaublichen" Aktion, und vermuteten "schmutzige Deals" der britischen Regierung mit den Libyern hinter der Begnadigung. Die Spekulationen wurden genährt durch jüngste Kontakte der britischen Regierung und des Herzogs von York mit Libyens Staatschef Muammar Gaddafi und dessen Sohn Saif al-Islam.
"Eine reine Justizentscheidung"
Der Herzog von York, Prinz Andrew, war als Sonderbotschafter für die Geschäftsinteressen Großbritanniens in den letzten zwei Jahren vier Mal in Libyen. Tatsächlich hat Großbritannien dort starke kommerzielle Interessen. Die Petroliumriesen BP und Shell sowie der Gaskonzern BG Group sind maßgeblich an der Ausbeutung libyscher Energiequellen beteiligt. Der schottische Ministerpräsident Alex Salmond konterte, man habe "eine reine Justizentscheidung" getroffen.
Viele Angehörige britischer Opfer zeigten sich enttäuscht, dass mit der Freilassung auch das Berufungsverfahren beendet ist. Sie bezweifeln seit langem, dass Megrahi tatsächlich der Urheber des Anschlags war, und hatten auf neue Hinweise gehofft. Immerhin hatte Schottlands amtlicher Berufungsausschuss nach dreijährigen eigenen Ermittlungen, Zweifel an der Schuld Megrahis geäußert.
Vermutungen, dass palästinensische oder iranische Gruppen die Tat verübt haben könnten, oder dass die britischen Behörden nachträglich Mängel bei der Flugsicherheit zu kaschieren suchten, kursieren schon seit geraumer Zeit. Die Angehörigen fordern nun eine öffentliche Untersuchung, bei der die mysteriösen Umstände der Katastrophe noch einmal aufgerollt werden sollen.