Linke will sexuelle Übergriffe aufarbeiten - Rückendeckung für Wissler

Die Linke kündigt für Betroffene sexualisierter Gewalt eine Anlaufstelle an. Zudem wird bekannt: Janine Wissler bleibt Vorsitzende.
Wiesbaden - Nach Berichten über sexuelle Grenzüberschreitungen und Machtmissbrauch will die Linkspartei sowohl im Bund als auch in Hessen für Aufklärung sorgen und Unterstützungsstrukturen für Betroffene schaffen.
Die Partei müsse ein Raum sein, „in dem sich Genossinnen und Genossen auf Basis von Vertrauen und gegenseitigem Respekt gegenübertreten können, ohne Angst, sexistisch behandelt, beleidigt oder gar mit Gewalt bedroht zu werden“, erklärte der Parteivorstand nach einer Krisensitzung am Mittwochabend. Man bedauere „die sexuellen Übergriffe in unserer Partei zutiefst“ und bitte die Opfer um Entschuldigung. Als Konsequenz solle eine Struktur aus Anwältinnen und Frauen aus der feministischen Anti-Gewalt-Arbeit geschaffen werden, um die aktuellen Vorfälle aufzuklären und künftigen Betroffenen eine neutrale Anlaufstelle zu bieten.
Zudem sollen die Statuten der Partei geändert werden: Mitglieder, die sich sexistisch verhalten, sollen auch unterhalb der Schwelle eines Parteiordnungsverfahrens sanktioniert werden können – etwa mit der Entbindung von Parteiämtern oder dem befristeten Ausschluss von Sitzungen. Die Entscheidungen dazu seien im Vorstand einstimmig gefallen, hieß es.
Sexuelle Übergriffe bei der Linken: Rückendeckung aus Hessen
Die Parteivorsitzende Janine Wissler soll die Partei nach dem überraschenden Rücktritt ihrer Ko-Chefin Susanne Hennig-Wellsow zunächst alleine weiter führen. Wissler komme damit einer Bitte des Vorstands nach, sagte ein Sprecher. Auf einem Parteitag im Juni könnte dann eine neue Parteispitze gewählt werden. Hennig-Wellsow hatte ihr Amt am Mittwoch offenbar ohne Absprache innerhalb der Partei aufgegeben. Ihren Rückzug begründete sie neben der allgemeinen Krisensituation der Partei auch mit dem Umgang mit den Vorwürfen sexueller Übergriffe.
Parteichefin Wissler war zuvor massiv unter Druck geraten, weil es sich bei einem der Männer, denen in einem Bericht des Magazins „Der Spiegel“ übergriffiges Verhalten vorgeworfen wird, um einen Mitarbeiter der Linksfraktion im hessischen Landtag und ihren damaligen Partner handelt. Der Mann soll 2018 eine Affäre mit einem erst 17 Jahre alten Parteimitglied gehabt und die junge Frau in sexuellen Posen fotografiert haben.
Sexuelle Übergriffe bei der Linken: Janine Wissler mit Rückendeckung
Der „Spiegel“ zitiert aus einer E-Mail der Frau an Wissler, in der diese der damaligen Fraktionsvorsitzenden schreibt, wenn der Mann noch einmal unangekündigt auf ihrem Balkon stehe und das romantisch nenne, drehe sie „endgültig durch“. Wissler hatte in einer Erklärung eingeräumt, 2018 mit der jungen Frau telefoniert und sich wegen der Affäre von ihrem Partner getrennt zu haben; ihr gegenüber sei aber nie die Rede von Gewalt oder übergriffigem Verhalten gewesen.
Die Spitze des hessischen Landesverbands der Linken stellte sich bei einer Pressekonferenz am Donnerstag demonstrativ hinter Wissler. „Wir sehen hier kein Verschulden von ihrer Seite“, sagte der stellvertretende Landesvorsitzende Michael Erhardt. Die hessischen Linken betonten, es sei ein Fehler gewesen, seit den Debatten über sexuelle Übergriffe unter dem Hashtag „MeToo“ 2017 keine Strukturen geschaffen zu haben, an die Betroffene sich wenden können. „Wir gestehen Fehler ein“, sagte die Landesvorsitzende Petra Heimer. „Aber die Vergangenheit können wir nicht zurückdrehen.“ Man entschuldige sich bei den Betroffenen und wolle alles unternehmen, damit sich derartige Fälle nicht wiederholten. Man wolle eigene „Awareness-Strukturen“ schaffen und für die Aufklärung eng mit der Bundesebene zusammenarbeiten.
Der Landesvorsitzende Jan Schalauske nannte den aktuellen Skandal einen „Weckruf“ für seine Partei. Man müsse jetzt schnell eine „Kultur des Hinschauens“ etablieren. Die Zahl der Betroffenen kennt die hessische Parteispitze nach eigenen Angaben nicht. Man wisse bisher von drei Beschuldigten aus der Partei. Zwei von ihnen, darunter Wisslers Ex-Partner, seien bis auf Weiteres freigestellt. (Hanning Voigts)