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Lindner, der Vorsichtige

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Von: Martin Benninghoff

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Der FDP-Vorsitzende (Mitte) freut sich über den Parteitag in Präsenz.
Der FDP-Vorsitzende (Mitte) freut sich über den Parteitag in Präsenz. © Christoph Soeder/dpa

Auf dem FDP-Parteitag fasst der Vorsitzende seine Koalitionspartner im Bund nur mit Samthandschuhen an.

Christian Lindner hat seine wiedergewonnene Freiheit an diesem Freitag auf dem Bundesparteitag der FDP sichtlich genossen. Im vergangenen April, beim letzten Parteitag, war er nur zugeschaltet gewesen, weil ihn eine Corona-Erkrankung in die Quarantäne seines Washingtoner Hotelzimmers gedrängt hatte. In diesem Jahr stieg seine Freude an der offenen Präsenz in Berlin sichtbar, je länger die gut anderthalbstündige Rede dauerte. Munter teilte der Parteichef, der zehn Jahre im Amt ist, gegen die Union aus, vor allem die CSU und den „Baum-Umarmer“ Markus Söder, verteidigte die umstrittene Klimapolitik der Freien Demokraten und damit vor allem die seines Parteifreundes, Bundesverkehrsminister Volker Wissing, stichelte, zurückgenommen, gegen Grüne und Klima-Aktivist:innen.

Allerdings fing Lindner vergleichsweise verhalten an. „Wir leben in einem wahnsinnig tollen Land“, stimmte er seine Partei zum Auftakt ein, etwas ungewöhnlich für eine flammende Parteitagsrede, in der normalerweise auf die politischen Gegner eingedroschen wird. Als führendes Mitglied der Bundesregierung in einer Koalition mit SPD und Grünen waren dem Finanzminister aber sichtlich die Hände gebunden. Politische Watschen in Richtung der Grünen und der SPD gab es deshalb nur - im übertragenen Sinne - mit der Feder statt der flachen Hand. Mit Sorge erkenne er in der Öffentlichkeit „Sympathie für die sogenannten Klima-Kleber“, sagte Lindner im Hinblick auf die gleichzeitig in Berlin stattfindenden Klima-Proteste und Aktionen der „Letzten Generation“, die auch in der von den Grünen maßgeblich mitangeführten Klimabewegung kontrovers diskutiert werden. Auch gab er „linken Lebenslügen“ in der Einwanderungspolitik einen mit, kritisierte allerdings wiederholt den konservativen Söder, der gegen „Woke-Wahnsinn“ gifte. Die FDP, so die Botschaft des Vorsitzenden, der sich am Nachmittag der Wiederwahl stellte, sei die Partei der Mitte.

FDP-Parteitag: Besser die Große Koalition kritisieren als die eigene

Der Parteichef bemühte sich um Verständnis für die Regierungsarbeit, wohlwissend, dass nicht jedes Mitglied zufrieden mit der Leistung der Ampel-Koalition und auch der FDP ist. Ja, es stimme, ein 30-stündiger Koalitionsausschuss zeige, dass man sich innerhalb der Ampel beharke. Zugleich erinnerte er an die Regierungszeit der Großen Koalition: Da habe es auch lange gedauert, aber dann sei „außer der Osterruhe“ nichts Substantielles herausgekommen. Eine Anspielung auf eine umstrittene Corona-Regel, die die frühere Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) wieder zurückgenommen hatte. Die Botschaft hier: Die Ampel liefere wenigstens.

Ob er damit den harten Markenkern trifft, den viele in der Partei vermissen? Dann eher schon der Leitantrag des Parteivorstands, in dem es um die Wettbewerbsfähigkeit der Industrie, den Ausbau der Infrastruktur im Straßenverkehr und „solide Staatsfinanzen“ geht. Mit einigen moderaten Hinweisen auf die Grünen versuchte sich der Parteichef, von der Idee eines regulierenden Staates in möglichst vielen Lebensbereichen abzugrenzen, das viele Freidemokrat:innen den Grünen zuschreiben. Mit dem Eintritt der FDP in die Berliner Regierungskoalition ging es für die Partei bei Wahlen tendenziell bergab. Zuletzt flog sie in Berlin bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus aus dem Parlament. Zuvor hatte sie bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen an Zuspruch verloren und war aus den Regierungskoalitionen ausgeschieden. Im Saarland, wo sie zwar etwas zulegen konnte, reichte es dennoch nicht für den Einzug in den Landtag, in Niedersachsen flog sie aus dem Landtag. Das soll bei den anstehenden Länderwahlen in Bremen, Hessen und Bayern nach dem Willen der Parteiführung natürlich anders werden - doch auch hier krebsen die Umfragewerte im mittleren einstelligen Prozentbereich herum, die FDP droht an den Fünf-Prozent-Hürden zu scheitern. Im jüngsten ARD-Deutschlandtrend liegt die Bundes-FDP bei sieben Prozent, zum Vergleich: Die 11,5 Prozent der vergangenen Bundestagswahl scheinen derzeit unerreichbar für die Freidemokraten.

FDP-Parteitag: Lindner spricht von „Samtpfötigkeit gegenüber China“

Lindners Selbstbewusstsein speiste sich am Freitag daher eher aus den bundespolitischen Themen, die er für die FDP als Erfolg verbuchte: die Debatte um E-Fuels, dem Klimaschutzgesetz und dem Autobahnausbau. In der zunehmend härteren Auseinandersetzung um den Haushalt 2024 zeigt sich Lindner als Finanzminister wenig kompromissbereit, unter anderem im Streit mit Familienministerin Lisa Paus (Grüne) um die Finanzierung der Kindergrundsicherung. In der internationalen Politik lobte er Parteikollegin Bettina Stark-Watzinger, die vor wenigen Wochen als erste Ministerin seit Jahrzehnten nach Taiwan gereist war, obwohl China dagegen protestierte. Die Volksrepublik nannte er „systemischer Rivale“ und „Partnerland“ zugleich, zudem kritisierte er die frühere „Samtpfötigkeit gegenüber China“ als Fehler. Das ging stark in Richtung deutscher Unternehmen, die in China jahrelang kritiklos Geschäfte gemacht haben - bemerkenswert selbstkritisch für einen FDP-Vorsitzenden.

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