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Ukraine: Queere Flüchtlinge finden Hilfe in Deutschland

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Von: Nadja Austel

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Aktivist:innen in Kharkiv halten eine Pride-Flagge hoch.
Aktivist:innen auf der Pride im ukrainischen Kharkiv 2019. Mittlerweile finden hier aufgrund der russischen Invasion in der Ukraine schwere Kämpfe statt. (Symbolbild) © Vitalii Vitleo/Imago

Im Ukraine-Krieg geraten Flüchtende aus der LGBTQIA-Community in prekäre Notlagen. In Berlin finden sie bei Quarteera ein kompetentes Hilfsnetzwerk.

Menschen aus der LGBTQIA-Community (kurz: „queer“), – also Menschen, die sich als homo-, bisexuell, transgender, queer, inter- oder asexuell identifizieren – sind je nach Umfeld mehr oder weniger stark von Diskriminierung betroffen. In den osteuropäischen Ländern ist diese häufig stärker ausgeprägt als etwa in Deutschland. Auch wenn die Dunkelziffer von beispielsweise queerfeindlicher Gewalt in Hessen sehr hoch eingeschätzt wird.

Durch den Ukraine-Krieg sind queere Menschen jedoch zurzeit in besonderer Weise in Gefahr. Hilfsorganisationen, die sich für die LGBTQIA-Community einsetzen, erhalten täglich Nachrichten mit der Bitte um Unterstützung. „Sie sind in höchster Not. Jetzt ist die Zeit entschlossen und gemeinsam zu handeln und so Menschenleben zu retten“, erklärt Stas Mishchenko, Vorstandsmitglied von KyivPride.

Wofür steht LGBTQIA?

Das Akronym LGBTQIA steht für die englischen Wörter Lesbian, Gay, Bisexual, Transsexual beziehungsweise Transgender, Queer, Intersexual und Asexual. Es wird als Abkürzung für alle Menschen verwendet, die lesbisch, schwul, bisexuell, transsexuell, transgender, queer, intersexuell oder asexuell sind. Das Plus steht für alle, die sich der Community zugehörig fühlen, sich aber nicht mit einem dieser Begriffe identifizieren. „Queer“ wird auch als Adjektiv verwendet, um alle Mitglieder der LGBTQIA-Community im Fließtext zu beschreiben. Menschen innerhalb der LGBTQIA+ Community erfahren aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihres Geschlechts häufig Diskriminierung.

Lesbian (lesbisch) und Gay (schwul) stehen für Homosexualität, also Frauen, die Frauen lieben, und Männer, die Männer lieben.

Bisexual (bisexuell) bezeichnet Menschen, die sowohl das andere Geschlecht lieben (heterosexuell) als auch das eigene Geschlecht (homosexuell).

Transsexual und Transgender (transsexuell) stehen für Menschen, die ihr biologisches Geschlecht nicht als ihr eigentliches Geschlecht empfinden. Beispielsweise kann ein Mensch als Junge geboren worden sein, sich aber als Mädchen fühlen und andersherum.

Queer (wörtliche Übersetzung etwa: anders) ist eine Bezeichnung von und für Menschen, die diese verschiedenen Begriffe einschränkend finden oder sich darin nicht wiederfinden. Der Begriff „queer“ wird mittlerweile auch im Deutschen verwendet und meint Menschen, die anders lieben oder fühlen als heterosexuelle Menschen. Er wird demnach auch benutzt, um alle Mitglieder der LGBTQIA-Community zu beschreiben.

Intersexual (intersexuell) ist ein Begriff für Menschen, die seit Geburt im biologischen Sinne sowohl weibliche als auch männliche Geschlechtsorgane haben. Es kann beispielsweise sein, dass ein Kind bei der Geburt als biologisch weiblich bezeichnet wird, sich aber herausstellt, dass es auch innenliegende Hoden besitzt. Häufig werden diese Kinder schon im Kleinkindalter Operationen unterzogen, die eine künstliche und vermeintlich eindeutige Zuordnung zum männlichen oder weiblichen Geschlecht ermöglicht.

Asexual (asexuell) steht für Menschen, die keinerlei Bedürfnis nach körperlicher Intimität mit anderen Menschen egal welchen Geschlechts verspüren.

Das Plus + (manchmal auch *) wird oftmals hinzugefügt und dient als Platzhalter für etwaige weitere Geschlechteridentitäten und sexuellen Orientierungen. Dazu gehören beispielsweise Pansexualität, non-binäre oder genderfluide Menschen und viele mehr.

Zahlreiche Organisationen aus der LGBTQIA-Community in Deutschland haben sich daher im Bündnis „Queere Nothilfe Ukraine“ zusammengeschlossen. Die Problemlagen sind vielfältig: Flüchtende ukrainische Staatsbürger verlassen das Umfeld, in dem sie das Risiko für Diskriminierung einschätzen und minimieren können. Trans Menschen, die auf Hormonpräparate angewiesen sind, können diese aufgrund der eingeschränkten medizinischen Versorgung nicht oder nicht zuverlässig erhalten. „Transfrauen mit einem männlichen Pass können nicht in sichere Landesteile gelangen oder das Land verlassen, da sie keine internen Check-Points passieren können“, verdeutlicht Richard Köhler, Transgender Europe Advocacy Director. 

LGBTQIA-Rechte: Russland fährt queer-feindliche Politik

Zudem ist die offizielle LGBTQIA-feindliche Politik des Kremls ein Risikofaktor, der mit den russischen Besatzern Einzug in die Ukraine hält. In russisch kontrollierten Gebieten sei es nicht sicher, seine sexuelle Orientierung offen zu zeigen. Zu diesem Ergebnis kommt ein Bericht der ukrainischen Organisation „Center for Civil Liberties“. In Reden von russischen Offiziellen werde sogar aktiv zu Gewalt gegen Queere Menschen aufgerufen. Mehr noch, es habe Fälle gegeben, in denen sie zu vermeintlichen Dates gelockt wurden. Am Treffpunkt habe sie keine queere Person auf sie gewartet, sondern sie seien zusammengeschlagen worden.

Das Nachrichtenportal Aljazeera berichtet von der Geschichte eines jungen russisch-ukrainischen Paares, die bis vor Kriegsbeginn in Moskau gelebt hatten. Polina Punegova und Yulia Maznyk waren auf einer Urlaubsreise in Budapest als Russland am 24. Februar 2022 den Angriffskrieg auf die Ukraine startete. 

Ihr Geld auf russischen Konten hatte über Nacht an Wert verloren und sie hätten sich entschieden, nicht nach Russland zurückzukehren, sondern zunächst bei einer Cousine in München unterzukommen. Denn schon vor Kriegsbeginn hätte man die in Kiew geborene Maznyk nach einem Aufenthalt in der Ukraine aufgrund ihrer Herkunft für mehrere Stunden am Flughafen in Moskau festgehalten. Aus Angst vor Schlimmerem hätten die beiden Frauen auf eine Rückkehr verzichtet.

LGBTQIA: Hilfe für russischsprachige queere Menschen aus der Ukraine, Russland und anderswo

Wie Aljazeera weiter berichtet, fanden sie schließlich die Hilfsorganisation Quarteera – eine Wortneuschöpfung aus „queer“ und „Quartier“ – in Berlin. Das Netzwerk hilft russischsprachigen queeren Menschen aus der Ukraine, aus Russland, Weißrussland, Usbekistan und Kasachstan. Über sie landete das Paar schließlich in Berlin – eine Stadt, die Polina schon länger im Auge hatte, wenn auch eigentlich als Urlaubsziel.

Berlin ist laut der Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) die Haupt-Anlaufstelle für ukrainische Kriegsflüchtlinge. Bisher seien seit Beginn des russischen Angriffs Ende Februar über 200.000 Menschen aus der Ukraine in der deutschen Hauptstadt angekommen, so Giffey am 10. Mai im Anschluss an eine Senatssitzung.

Deutschland – Vergleichsweise sicherer Hafen für LGBTQIA-Community

Deutschland gehört für Menschen aus der LGBTQIA-Community zu einem der interessanteren Auswanderungsländer, da sie hierzulande mit weniger starker Diskriminierung rechnen müssen. Der Equaldex („Equality Index“, deutsch etwa „Gleichberechtigungsindex) bemisst die politische Gleichstellung von queeren Menschen, aber auch die gesellschaftliche Akzeptanz. 

Dieser Equaldex steht für Deutschland bei einem Wert von 83 von 100 möglichen Punkten. Im Vergleich zur Ukraine, die bei 44 von 100 Punkten liegt, oder gar Russland, wo der Equaldex mit 34 von 100 Punkten beziffert wird, eine Voraussetzung, die für queere Flüchtende bei der Suche nach Asyl nicht außer Acht zu lassen ist.

Im Ländervergleich des Equaldex belegen Island und Kanada mit jeweils 90 von 100 Punkten die Plätze eins und zwei. Ihnen folgen die Isle of Man in Großbritannien, Uruguay, Norwegen, Australien und die Niederlande. Deutschland ist auf Platz 13 der Liste zu finden. (na)

Der Christopher Street Day in Frankfurt findet am Samstag, dem 16. Juli 2022 statt.

Der Christopher Street Day (CSD) ist ein Fest-, Gedenk- und Demonstrationstag der LGBTQIA-Community. An diesem Tag wird für die Rechte dieser Gruppen sowie gegen Diskriminierung und Ausgrenzung demonstriert. Die Bezeichnung Christopher Street Day ist nur in Deutschland, Teilen Österreichs und der Schweiz üblich. In englischsprachigen und romanischen Ländern wird meist von „Gay Pride“ (deutsch etwa: „homosexueller Stolz“) und „Pride Parades“ (deutsch etwa: „Stolz-Festzug“) gesprochen.

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