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„Letzte Generation“ zum Klima-Aktivismus: „Wir machen keinen blinden Aktionismus“

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Von: Bascha Mika

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Polizisten tragen einen Aktivisten vom Airportring am Flughafen Frankfurt.
Polizisten tragen einen Aktivisten vom Airportring am Flughafen Frankfurt. © dpa

Die Klima-Aktivistin Aimée van Baalen vom „Aufstand der Letzten Generation“ über Werte des Bündnisses, die Klima-Politik der Ampel und den Sinn von Straßenblockaden.

Frau van Baalen, Ihre Organisation nennt sich „Aufstand der letzten Generation“. Das klingt doch arg dramatisch.

Nein, gar nicht. Dramatisch ist die Situation. Außerdem bezeichnen wir ja nicht uns als „letzte Generation“, sondern alle Menschen, die momentan leben und bei der Klimakatastrophe umsteuern können. Grob gerechnet bleiben uns dafür nur noch drei bis vier Jahre.

Es herrscht Krieg in der Ukraine. Der russische Angriff und die Angst vor den Folgen verdrängen alle anderen Themen. Auch die Klimakatastrophe.

Das umfassend über den Ukraine-Krieg berichtet wird, ist von großer Wichtigkeit. Genau dasselbe wünsche ich mir für die Berichterstattung der Klimakrise, die zu immer mehr sozialen Unruhen und zum Leid unzähliger Menschen führen wird. Es ist jetzt an der Zeit, den Menschen zu helfen und weiteren Kriegen vorzubeugen.

Die Ampel-Koalition will eigentlich bis 2030 aus der Kohle aussteigen. Doch angesichts drohender Versorgungsengpässe rudert der grüne Minister Robert Habeck bereits zurück. Zu Recht?

Wir vom Aufstand der letzten Generation fordern: Keine neuen Investitionen in fossile Energien und einen möglichst schnellen Umstieg auf saubere Alternativen. Dass diese langfristig kostengünstigeren und sicheren Alternativen ausgebaut werden und für jeden Menschen zur Verfügung stehen, liegt in den Händen der Politiker:innen. Jedes Terminal, was wir heute für fossile Energien bauen, ist eine Fehlinvestition, die uns vom richtigen Kurs abbringt. Die aktuelle Krise zeigt dabei umso stärker auf, wie folgenschwer eine Fehlfinanzierung sein kann.

Mit Straßenblockaden ärgern Sie Menschen auf dem Weg zur Arbeit und treffen keinen einzigen Großkonzern, der seine Profite auf Kosten des Klimas macht. Das soll eine erfolgreiche Strategie sein?

Wir wollen es nicht auf den Einzelnen abwälzen. Doch leider ist es so, dass man die Aufmerksamkeit aller für das Thema gewinnen muss, damit die Politik hinhört und aufwacht. Solange die Bevölkerung nicht weiß, in was für einem Notstand wir uns befinden, weil wir kein CO2-Budget mehr haben, und solange die Regierung nicht bereit ist, angemessene Maßnahmen einzuleiten, welche beispielsweise große Konzerne zum Einsparen von CO2 bewegen, sollten sich Menschen für einen Kurswechsel einsetzen.

Klima-Aktivistin Aimée van Baalen. Foto: Privat.
Klima-Aktivistin Aimée van Baalen. © Privat.

Wie würden Sie das Selbstverständnis der „Letzten Generation“ beschreiben? Haben Sie so etwas wie einen Code of Conduct?

Ja, wir vertreten festgeschriebene Werte. Diese legen beispielsweise fest, dass wir mit Namen und Gesicht für unsere Forderungen einstehen. Oder dass wir Krankenwagen bei Straßenblockaden immer durchlassen und eine Rettungsgasse gebildet wird. Dazu gehört auch, dass wir uns Regenerationszeiten gönnen und gegenseitig schauen, dass es uns gut geht und dass jeder Mensch willkommen ist.

Wie militant ist die „Letzte Generation“?

Einer unserer Grundsätze ist, dass keine Gewalt angewendet wird. Weder sprachliche Gewalt, noch Gewalt gegen Gegenstände oder Menschen. Wir zerstören nichts, das gehört nicht zu unseren Aktionsformen.

Dennoch sagen Kritiker:innen: Ziviler Ungehorsam ist keine Rechtfertigung, sondern rechtswidrig.

Ziviler Ungehorsam mag per Gesetz rechtswidrig sein, solange das Gesetz allerdings ein todbringendes System unterstützt, dient ziviler Ungehorsam dazu, auf diese Ungerechtigkeit hinzuweisen und ist derzeit absolut notwendig – so wie das in der Geschichte auch immer wieder der Fall war. Wir stehen vor dem Unrecht, dass Menschen – nicht nur in Deutschland, sondern weltweit – möglicherweise keine Zukunft mehr haben werden. Dagegen gehen wir an. Leider fehlt der Druck, wenn wir nur vom Straßenrand aus protestieren, dann werden wir nicht gehört.

Stattdessen nehmen Sie in Kauf, festgenommen und mit Verfahren überzogen zu werden?

Ja. Solange die Regierung ihren Job, uns zu schützen, nicht von allein nachkommt, werden wir auf die Straße gehen.

Zur Person

Aimée van Baalen (22) arbeitet in einem Tattoostudio, entschied sich gegen ein Politikstudium – und für den Aktivismus. FR

Dennoch kommt Ihr Vorgehen häufig wie eine PR-Aktion daher...

Wir haben doch alles andere probiert! Wir haben demonstriert, haben Petitionen geschrieben, uns an die Politik gewandt – nichts kam zurück, was den Klimakollaps abwenden könnte. Es reicht nicht, kleine Schritte zu machen und zu hoffen, dass es irgendwie funktioniert. Wenn wir überhaupt noch eine Chance haben wollen, dass sich die Erde nicht um drei bis vier Grad erwärmt, müssen wir eine Wende einleiten. Ansonsten wird es auf Dürren, Hunger und Krieg hinauslaufen.

Wie unterscheiden Sie sich von anderen Klimaschützer:innen?

Zum einen haben wir eine andere Aktionsform. Wir machen keine Einzelaktionen, sondern gehen mehrere Tage und Wochen lang wiederholt auf die Straße und blockieren Autobahnen. Die „Fridays for Future“ zum Beispiel machen auch Klimaproteste, allerdings ohne zivilen Widerstand.

Sind die „Fridays“ Ihnen nicht radikal genug?

Nein, das würde ich so nicht sagen. Ich finde es super, was sie leisten, das ist richtig, richtig gut. Sie haben es ja überhaupt erst geschafft, das Klimathema in die Bevölkerung hineinzutragen. Es ist bloß schade, dass Abertausende Menschen auf die Straße gehen, laut und stark auftreten, und die Regierung dann sagt, dass sie es prinzipiell unterstützt – aber nichts ändert.

Und Sie wollen der Regierung Beine machen? Warum wirft Ihnen der grüne Landwirtschaftsminister Cem Özdemir dann vor, „undemokratisch“ zu handeln und „reaktionären Kräften“ in die Hände zu spielen?

Das kann ich nicht nachvollziehen. Unsere Forderung nach einer Agrarwende stützt sich auf ein sehr demokratisches Forum, nämlich auf den Bürgerrat Klima, hinter dem 80 Prozent der Bevölkerung stehen. Der Bürgerrat hat zusammen mit Expert:innen einen Maßnahmenkatalog erarbeitet und ihn der Regierung an die Hand gegeben. Wieso verurteilt Özdemir uns dann dafür, dass wir diese Maßnahmen einfordern?

Ihre Öffentlichkeitsarbeit funktioniert hervorragend. Das lässt darauf schließen, dass Sie eine zentrale Koordinierungsstelle haben.

Es gibt Menschen bei uns, die viel recherchieren und in stetigem Kontakt mit Wissenschaftler:innen sind. Andere kümmern sich um den Kontakt mit Politiker:innen oder die Pressearbeit. Und dann gibt es Menschen, die in Aktion gehen ...

... zum Beispiel, um Häfen und Flughäfen zu blockieren und sich auf Straßen festzukleben?

Ja, die Gruppen, die an Blockaden teilnehmen, stimmen sich über den nächsten Einsatz ab. Wir machen ja keinen blinden Aktionismus, unsere Forderungen und wie wir sie umsetzen, sind sehr durchdacht.

Was sind das für Menschen, die sich Ihnen anschließen?

Wir sind sehr divers. Einige von uns sind erst 18 Jahre alt, bei einer Aktion auf der Straße hat sogar eine 12-Jährige mitgemacht und eine berührende Rede gehalten. Wir haben aber auch über 70-Jährige in unseren Reihen, die Angst um ihre Enkel haben.

In welcher Lebenssituation sind Ihre Aktivist:innen?

Auch das ist sehr gemischt. Einige haben ihr Studium oder ihre Ausbildung abgebrochen, weil sie Panik haben, dass ihnen ihr Studium nichts mehr nützt, wenn sie fertig sind und in eine zerstörte Welt entlassen werden.

Die sind dann berufsmäßige Klimaaktivist:innen?

Sie setzen sich voll dafür ein, auch wenn sie gern etwas anderes tun würden. Aber wie sollen sie sich auf das Lernen konzentrieren, wenn sie Angst haben, dass der Klimakollaps alles zusammenbrechen lassen wird? Zu uns gehören aber auch viele Menschen aus dem Arbeitermilieu, die gekündigt haben, um sich für eine lebenswerte Zukunft einsetzen. Und natürlich gibt es auch die, die sich neben ihrem Job engagieren. (Interview: Bascha Mika)

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