„Letzte Generation“ will Berlin lahmlegen: Warum die Klima-Aktivisten am Scheideweg stehen
Die „Letzte Generation“ will in Berlin so lange stören, bis die Bundesregierung einlenkt. Dabei geht es auch um die Zukunft der „Klima-Kleber“ selbst, sagt eine Expertin.
Köln – „Was gibt es in Berlin groß lahmzulegen?“, werden manche vermutlich unken. Die „Letzte Generation“ will es trotzdem probieren. Was, wann und wie das geschehen soll, halten die Klima-Aktivisten geheim – auch aus Sorge vor der Polizei, die strikt gegen ihre Aktionen vorgeht. „Wir werden die Stadt friedlich zum Innehalten bringen“, sagte Sprecherin Carla Hinrichs bei einer Pressekonferenz am Dienstag.
Zunächst seien von Mittwoch an Störungen im Regierungsviertel geplant, erklärte die Gruppe. Ab kommendem Montag sei geplant, „die Stadt friedlich zum Stillstand zu bringen“. 800 Aktivisten hätten sich dafür gemeldet. Der Protest soll erst enden, wenn die Bundesregierung auf die Forderungen der Gruppe eingeht. Dazu zählt, dass ein Gesellschaftsrat mit gelosten Mitgliedern Maßnahmen erarbeitet, damit Deutschland ab 2030 auf fossile Brennstoffe wie Öl, Kohle oder Gas verzichtet. Wissenschaftler und Politiker sind skeptisch, ob dies so schnell möglich wäre.
„Letzte Generation“ intensiviert den Protest

Für Dalilah Shemia-Goeke vom Protest- und Bewegungsforschung in Berlin ist klar: Jetzt wird es für die Klima-Bewegung spannend. Sie hat zu Strategien und Wirksamkeit des gewaltfreien Widerstands promoviert. „Aus Perspektive der Widerstandsforschung kann ich sagen: Strategische Bewegungen intensivieren ihren Protest über die Zeit, wenn sie wachsen und dann mit mehr Menschen von symbolischen Aktionen übergehen zu mehr tatsächlichen politischen oder gar wirtschaftlichen Druck.“ Deswegen müsse die „Letzte Generation“, wenn sie erfolgreich sein will, in ihren Aktionen variabel bleiben und ihr Repertoire erweitern. „Insofern ist die Ankündigung, Berlin lahmlegen zu wollen, nur logisch. Der Protest wird intensiviert“, sagt Shemia-Goeke.
Auf die Expertin wirkt das Vorgehen der Aktivisten sehr professionell. Gestartet im Vorfeld der Bundestagswahl 2021 mit einem Hungerstreik, erzielte die „Letzte Generation“ durch Straßenblockaden große Aufmerksamkeit – „Klima-Kleber“ ist mittlerweile zum geflügelten Wort geworden – und dennoch bleibt die Frage: Wie kann man den öffentlichen Druck erhöhen? „Wenn die ‚Letzte Generation‘ mehr gehört werden möchte, sind neben gewaltfreien Interventionen, wie Blockaden und Hungerstreiks auch Methoden der kollektiven Nichtkooperation notwendig – also Streiks oder Boykotte. Dafür muss die Bewegung noch wachsen“, so Shemia-Goeke. „Insofern könnte die Berlin-Blockade die nächste Etappe sein, in der die zuvor gewonnen Menschen ihre Unterstützung zum Ausdruck bringen und weitere Menschen für die nächste Phase gewonnen werden können.“
Expertin zur „Letzten Generation“: Nur Proteste können der Gruppe helfen
Doch Zahlen geben in der Regel nicht den alleinigen Ausschlag, meint Shemia-Goeke. Es gehe darum, öffentlich nachvollziehbar zu machen, dass es sich um eine Krise handelt, die keine weitere Aufschiebung erlaubt und sofortiges Handeln bedarf. „Das schließt Gewalt ausdrücklich aus, denn dann wäre die Bewegung erledigt und das ist der ‚Letzten Generation‘ sehr bewusst, weshalb sie das in allen Trainings und Vorträgen stets betonen“, sagt Shemia-Goeke.
Dass die „Letzte Generation“ das öffentliche Leben weiter stören will, ist für die Expertin nachvollziehbar. „Wir wissen aus der Konfliktforschung, dass ziviler Widerstand gerade dann sinnvoll ist, wenn sich zwei sehr ungleiche Gegner gegenüberstehen. Das ist hier der Fall. Auf der einen Seite mächtige Konzerne mit sehr vielen Ressourcen und Einfluss auf die Politik, auf der anderen Seite die Zivilgesellschaft“, sagt Shemia-Goeke. „Gerade in so einem ‚David-gegen-Goliath-Szenario‘ helfen fast nur Druckkampagnen, um auf Augenhöhe sprechen zu können.“ Gerade deswegen könnte die nächste Woche in Berlin entscheidend werden: Wie schlagkräftig ist die „Letzte Generation“ wirklich?