1. Startseite
  2. Politik

"Langfristig könnte Netanjahu verlieren"

Erstellt: Aktualisiert:

Von: Damir Fras

Kommentare

Kerstin Müller leitet das Israel-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv.
Kerstin Müller leitet das Israel-Büro der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv. © privat

Kerstin Müller, Leiterin des Israel-Büros der Heinrich-Böll-Stiftung in Tel Aviv, zu Donald Trumps Vorstoß.

Wie könnte sich eine Verlegung der US-Botschaft auf den ohnehin kaum noch sichtbaren Friedensprozess auswirken?
Der Akt des Umzugs der Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem ist weniger gefährlich als die Symbolik, die von der politischen Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels ausgeht. Kein Staat der Welt hat seine Botschaft in Jerusalem, und das aus gutem Grund. Es gibt die internationale Vereinbarung, dass der Status von Jerusalem erst im Zuge von Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern geklärt werden soll. Wenn die Amerikaner dem jetzt vorgreifen, dann machen sie jede Friedensinitiative zunichte. Nicht nur die Palästinenser, sondern die gesamte arabische Welt wird neuen Verhandlungen nicht zustimmen, wenn Trump erklärt, dass es im Hinblick auf Jerusalem nichts mehr zu verhandeln gibt.

Man muss ja sagen, dass die Nicht-Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels auch nichts gebracht hat. War es nicht Zeit, neu zu denken?
Neue Ideen sind okay, wenn sie etwas taugen. Trump will, so heißt es aus dem Weißen Haus, nur existierende Realitäten anerkennen. Wenn das so stimmt, dann erkennt Trump auch den intensiven israelischen Siedlungsbau im Ostteil Jerusalems an. Das aber ist ebenso verheerend für einen möglichen Friedensprozess. Einen Friedensvertrag wird es sowieso nur dann geben, wenn Ost-Jerusalem nicht Israel zugeschlagen wird, sondern die Hauptstadt eines noch zu gründenden palästinensischen Staates wird. Das fordern nicht nur die Palästinenser, sondern die gesamte muslimische Welt. Wer weiter eine Zwei-Staaten-Lösung will, der muss daher jetzt am Status quo von Jerusalem festhalten.

Die radikal-islamische Hamas hat die Palästinenser zum Widerstand aufgerufen. Droht wieder eine Intifada?
Ich glaube, dass leider alles möglich ist – von Messerattentaten bis hin zu einem Flächenbrand in der gesamten Region. Ost-Jerusalem und eigentlich sogar ganz Jerusalem haben eine überragende religiöse und politische Bedeutung für die muslimische Welt, genauso wie für die Juden und Christen, ob uns das gefällt oder nicht. Eine Lösung ist daher kompliziert und braucht viel Fingerspitzengefühl.

Sogar die US-Botschaft in Tel Aviv warnt auf ihrer Website vor Gewalt und verbietet ihrem Personal Reisen nach Ost-Jerusalem und ins Westjordanland. Ist das ein Zeichen dafür, dass sich US-Außenministerium und Weißes Haus nicht einig sind?
Ich glaube, das ist ein Zeichen dafür, dass sich zumindest die Pragmatiker im US-Außenministerium sehr bewusst sind, was eine Anerkennung Jerusalems zur Folge haben könnte. Was die US-Botschaft da macht, ist nur die Vorwegnahme eines sehr realistischen Szenarios.

Israels Geheimdienstminister spricht schon von einem „historischen Tag“. Ist eine Anerkennung Jerusalems für Israel tatsächlich nur von Vorteil?
Solche Jubelschreie sind verfrüht. Natürlich freut sich das rechte Lager in Israel wie in den USA. Doch Premierminister Benjamin Netanjahu wird das am Ende auch nicht aus der Bredouille helfen. Wenn es zu einer lang anhaltenden Welle der Gewalt kommt, dann wird ihm das die Mehrheit der israelischen Gesellschaft anlasten, auch wenn sie vielleicht für Jerusalem als Hauptstadt ist. Langfristig könnten Netanjahu und die Rechte in Israel also die großen Verlierer sein.

Welche Einflussmöglichkeiten hat das westliche Ausland?
Die Bundesregierung, die Europäer, die internationale Gemeinschaft müssen so deutlich werden wie nur irgend möglich und in Washington und bei den Israelis vorstellig werden, telefonieren, warnen. Denn jeder, der sich mit dem Nahen Osten befasst, weiß genau: Wer mit dem Status von Jerusalem spielt, der spielt mit dem Feuer.

Was sind denn Ihrer Ansicht nach die Gründe für Trumps Entscheidung?
Ich kann da nur mutmaßen. Zunächst einmal widerspricht das Trumps Ankündigung, den Friedensprozess wieder in Schwung zu bringen. Aber das ist dem US-Präsidenten offenbar egal. Er sucht nach dem Applaus seiner rechten Wählerschaft und besonders den Evangelikalen. Doch auch deren Jubelschreie könnten sich als verfrüht erweisen.

Auch interessant

Kommentare