1. Startseite
  2. Politik

Labour hat wieder einen Antisemitismus-Skandal

Erstellt:

Von: Peter Nonnenmacher

Kommentare

Dianne Abbott ist die erste schwarze Frau, die in Großbritannien ins Parlament gewählt wurde. Nun steht sie für einen Gastbeitrag in der Kritik, in dem sie antisemitische Diskriminierung heruntergespielt hat.
Dianne Abbott ist die erste schwarze Frau, die in Großbritannien ins Parlament gewählt wurde. Nun steht sie für einen Gastbeitrag in der Kritik, in dem sie antisemitische Diskriminierung heruntergespielt hat. © TTolga Akmen/afp

Die Abgeordnete Diane Abbott wird für als judenfeindlich eingeordnete Aussagen kritisiert – und aus der Parlamentsfraktion von Labour ausgeschlossen.

Erst vor kurzem war der britischen Labour Party von der britischen Gleichstellungs- und Menschenrechtskommission (EHRC) bescheinigt worden, ausreichende Maßnahmen gegen Antisemitismus in der Partei ergriffen zu haben. Nun hat eine der bekanntesten Labour-Politikerinnen den erbitterten Streit über entsprechende Tendenzen mit einem Paukenschlag neu eröffnet – und den Parteivorsitzenden Sir Keir Starmer wieder in Bedrängnis gebracht.

Diane Abbott, die seit 1986 im britischen Unterhaus sitzt und die erste Schwarze Frau ist, die je ins Parlament in Westminster gewählt wurde, löste die neue Krise mit einem heiß umstrittenen Leserbrief an die Sonntagszeitung „The Observer“ aus. Darin schrieb sie, Juden, Iren und „fahrendes Volk“ (Roma und Sinti) hätten in der Vergangenheit zwar mit Vorurteilen kämpfen müssen, seien aber „nie zeitlebens Opfer von Rassismus geworden“, so wie Menschen dunkler Hautfarbe in aller Welt.

Weiter hatte sie geschrieben, natürlich hätten auch die von ihr genannten Gruppen hier und da „Diskriminierung“ erfahren – wie zum Beispiel hellhäutige Personen mit rotem Haarschopf oder solche, die sich sonst wie von anderen unterschieden. Aber mit Rassismus identisch sei diese Art von Vorurteilen nicht.

„Vor Beginn der Bürgerrechts-Bewegung in Amerika mussten Iren, Juden und Travellers nicht hinten im Bus sitzen“, suchte Abbott ihr Argument zu erklären. Auf dem Höhepunkt der Sklaverei habe man „keine Menschen von weißer Erscheinung an die Sklavenschiffe gekettet gesehen“.

Starmer kritisiert Aussagen

Der Leserbrief der vormaligen Labour-Schatten-Innenministerin führte umgehend zu zornigen Protesten. Auch Starmer sagte am Montag, Abbotts Auslassungen seien antisemitisch und zu verurteilen. Dass sie selbst Opfer von Rassismus geworden sei, könne keine Entschuldigung darstellen, es dürfe keine „Hierarchie des Rassismus“ aufgemacht werden.

Obwohl Abbott sich gleich nach der Veröffentlichung „vorbehaltlos“ entschuldigte und versicherte, es sei versehentlich „ein erster Entwurf“ ihres Briefs veröffentlicht worden, fand sie sich zu Wochenbeginn prompt aus der Labour-Fraktion ausgestoßen.

Parteichef Starmer und die Fraktionsführung sollen nun darüber entscheiden, ob Abbott bei den nächsten Wahlen überhaupt noch einmal für Labour antreten darf. Mit dem raschen Fraktions-Ausschluss Abbotts suchte die Partei schlimmere Turbulenzen zu vermeiden. Noch bis vor kurzem hatte sich Labour dem Verdacht ausgesetzt gesehen, nicht genug gegen latenten Antisemitismus, speziell im linken Flügel der Partei, unternommen zu haben.

In Jeremy Corbyns Amtszeit als Vorsitzender der Partei verließen jüdische Mitglieder Labour in Scharen wegen systematischer Schikanen und Gehässigkeit. Als Starmer die Parteiführung vor drei Jahren übernahm, gelobte er radikale Maßnahmen zur „Ausmerzung“ antisemitischer Tendenzen. Schon 2020 wurde Corbyn aus der Fraktion ausgeschlossen, weil er darauf bestanden hatte, dass Antisemitismus in der Labour Party von seinen Kritikern „aus politischen Gründen dramatisch überbewertet“ worden sei.

Erst im Februar dieses Jahres hatte die ERHC festgestellt, Labour müsse sich dank der klaren Politik Starmers nicht länger besonderen Kontrollen durch den Ausschuss unterwerfen. Die jüdische Abgeordnete Luciana Berger, die im Protest aus der Partei ausgetreten war, trat ihr – zögernd, aber hoffnungsvoll – wieder bei. Angesichts Abbotts Brief klagte Berger, dass dies die Partei „ohne Zweifel zurückwirft“. Starmer habe nun „sehr viel mehr“ zu tun. „Geradezu schändlich“ nannte die Deputiertenkammer der britischen Juden Abbots Kommentare. Ihre Entschuldigung überzeuge nicht.

Die Existenz und die verhängnisvollen Folgen eines anti-jüdischen Rassismus zu leugnen, sei „eine Verdrehung der Wahrheit“, fand Karen Pollock, die Direktorin des Holocaust Educational Trust in London. Abbott habe wohl vergessen, dass „Hitler und die Nazis die Juden als Rasse von Untermenschen betrachteten, die auszurotten war“. Zahlreiche Labour-Abgeordnete rieten Abbott am Montag, ihre Mitgliedschaft ganz niederzulegen.

Der Schwarze Autor Tomiwa Owolade bedauerte, dass ausgerechnet die langjährige Antirassismus-Aktivistin Diane Abbott „einen derartigen Mangel an Urteilsfähigkeit“ an den Tag gelegt habe. Aber Abbott habe mit „einem allzu engen Begriff von Rassismus“ operiert. Der Holocaust komme bei ihr gar nicht vor. Eine Kolumne Owolades aus der Vorwoche war es, die Abbott zu ihrem Leserbrief veranlasste. Darin hatte Owolade erklärt, Rassismus sei in einem Land wie Großbritannien „nie eine Frage von Schwarz und Weiß“ gewesen. Es sei „sehr viel komplizierter als das“.

Auch interessant

Kommentare