Krude Propaganda und reale Sorgen in Polen

Ein Ex-Berater von Lech Kaczynski schürt antiukrainische Ressentiments, während die Inflation das Land im Griff hat. Von Jens Mattern.
Das ist nicht unser Krieg.“ Diese Worte prangen auf großen Plakatwänden, dazu die ukrainische und die russische Fahne. Und die Beinprothese eines Soldaten. Vor einigen Tagen hat in Polen eine Kampagne begonnen, welche in vieler Hinsicht brisant ist. Dahinter steht eine jüngst gegründete „Polnische Antikriegsbewegung“, mit Mitgliedern aus dem Milieu des rechten Parteienbündnisses „Konföderation“, wo es einige antiukrainische und prorussische Leute gibt.
Problematisch ist, dass der Kopf der Kampagne, Leszek Sykulski, lange Zeit gute Kontakte zu der nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) pflegte, die seit 2015 regiert. Die PiS-Regierung unter Mateusz Morawiecki setzt sich vehement für mehr westliche Waffenlieferungen in die Ukraine ein und gilt als einer der engagiertesten Anwälte der Ukraine.
Sykulski, Jahrgang 1981, war außenpolitischer Berater von Staatspräsident Lech Kaczynski, dem tödlich verunglückten Bruder von PiS-Gründer und -Chef Jaroslaw Kaczynski. Zudem wirkte er 2005 und 2006 an der Untersuchung und Auflösung des Militärgeheimdiensts WSI mit, dem Kontakte nach Moskau vorgeworfen wurden. Noch 2021 erhielt der promovierte Politologe staatlicherseits einen Verdienstorden.
Polen: Die anti-ukrainische Kampagne könnte auf fruchtbaren Boden fallen
Stanislaw Zaryn, Sprecher des Ministeriums für Geheimdienstkoordination sagt, Sykulski verbreite Thesen, „die identisch mit russischer Propaganda sind“. Und er werde dabei immer „aggressiver und beunruhigender“. Im Internet warnt der Leiter einer Gesellschaft für Geopolitik vor der „Amerikanisierung“ wie „Ukrainisierung“ Polens – und verbreitet, polnische Kinder müssten bald in den Krieg ziehen. Weshalb man zum Dialog mit Russland zurückkehren sollte.
Die Kampagne könnte auf fruchtbaren Boden fallen. Denn in Polen, wo im vergangenen Frühjahr die ukrainischen Frauen und ihre Kinder mit großer Solidarität empfangen wurden, macht sich eine gewisse Verdrossenheit breit: Bei einer Umfrage beklagten jüngst 40 Prozent der Befragten „eine Ukrainisierung Polens“, die „Kultur und Gesellschaft zerstört“. Aufgrund der Inflation von aktuell 17 Prozent, sollen mittlerweile 62 Prozent der Pol:innen glauben, dass ihr Land es sich nicht leisten könne, der Ukraine weiter zu helfen. Diese Befragung stammt vom liberalen und proatlantischen „Warsaw Enterprise Institute“, das keiner Propaganda für Moskau verdächtig sein dürfte.
In Polen, ein Land mit einer Bevölkerung von rund 40 Millionen, halten sich nun etwa 3,5 Millionen Ukrainer:innen auf, von denen einige mit den Einheimischen auf dem Arbeitsmarkt konkurrieren – nicht allein im Billigsektor, sondern auch in besser bezahlten Jobs.
Und im historischen Hintergrund stehend dann auch immer noch die nicht aufgearbeiteten Kriegsverbrechen ukrainischer Nationalisten an ethnischen Polinnen und Polen in der Westukraine zwischen 1943 und 1945.