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Kroatien-Krieg: Vukovar - eine Stadt wird dem Erdboden gleichgemacht

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Von: Danijel Majic

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Blick aus einem zerschossenen Wasserturm auf neue Wohnhäuser.
Blick aus einem zerschossenen Wasserturm auf neue Wohnhäuser. © Danijel Majić

Im Kroatien-Krieg wurde Vukovar drei Monate lang belagert. Am 18. November jährt sich der Fall der Stadt zum 30. Mal.

Vukovar - Es gibt Wunden, die nicht heilen sollen. Rund 640 Projektiltreffer haben am Wasserturm von Vukovar ihre Spuren hinterlassen – vom kleinen Kratzer bis zur mehrere Meter hohen Bresche in der Rotunde des einstigen Reservoirs. Wie ein zerschundener Pokal thront der 53 Meter hohe Turm über der Stadt in der flachen Tiefebene Ostslawoniens. Tagsüber stehen zu seinen Füßen Schülergruppen Schlange, angereist aus allen Ecken Kroatiens.

Wer den Turm über die Treppe besteigt, erblickt durch die größeren Einschusslöcher das Panorama einer friedlichen Stadt. Ein barocker Kern am Ufer der Donau, eingefasst von moderneren Bauten und Reihen unspektakulärer Wohnhäuser.

Vukovar - die schlimmste Schlacht des Kroatien-Krieges

Ein Anblick, der nicht verrät, dass Vukovar vor 30 Jahren Schauplatz der schlimmsten Schlacht des Kroatien-Krieges war. Von September bis Mitte November 1991 belagerten Jugoslawische Volksarmee und serbische Freischärler die Stadt. Als sie schließlich den Widerstand der hoffnungslos unterlegenen kroatischen Verteidigung brachen, waren 90 Prozent aller Gebäude zerstört, auf beiden Seiten jeweils mehr als 1000 Soldaten gefallen und wohl nochmal mindestens 1000 Zivilist:innen ums Leben gekommen. Kurz darauf wurden 300 Patient:innen des städtischen Krankenhauses von serbischen Truppen verschleppt, rund 260 von ihnen ermordet.

Vukovar fiel am 18.November – heute in Kroatien ein offizieller Feiertag, an dem der Opfer der „Helden- und Märtyrerstadt“ gedacht wird. Dijana Antunovic Lazic hingegen ist ein anderes Datum in Erinnerung geblieben: der 25. Juni 1991. Der Abend, an dem sie das letzte Mal mit ihren Freunden in Vukovar ausgegangen ist. Im Umland wurden bereits Straßensperren errichtet. In der Nachbarstadt Borovo waren knapp zwei Monate zuvor zwölf kroatische Polizisten bei einem Scharmützel mit serbischen Separatisten ums Leben gekommen. „Um uns herum standen schon Barrikaden und Panzer. Aber wir sind eben ausgegangen.“

Krieg in Kroatien: „Eine Sache von ein paar Tagen“

30 Jahre später ist Antunovic Lazic selbst erstaunt über ihre eigene Sorglosigkeit. In jenem Juni zählt Vukovar noch rund 45 000 Einwohner:innen. Die größten ethnischen Bevölkerungsgruppen bilden Kroat:innen (43 Prozent) und Serb:innen (37 Prozent). „Wir dachten, das mit dem Krieg ist eine Sache von ein paar Tagen.“ Wenige Wochen später werden einige ihrer Freunde aufeinander schießen, während Antunovic Lazic mit ihren Eltern flüchtet.

Heute leitet Dijana Antunovic Lazic die NGO „Europäisches Haus“ in Vukovar. Nur wenige hundert Meter von der Altstadt entfernt hat die gemeinnützige Organisation ihren Sitz in einem unverputzten Haus. Vielleicht ein unbewusstes Statement in einer Stadt voller restaurierter Fassaden.

Koratien einigt sich schließlich mit Serbien

Im Gegensatz zum Gros der serbisch besetzten Gebiete wurden Ostslawonien und Vukovar nie zurückerobert. Ende 1995 einigten sich Kroatien und die serbischen Separatisten auf eine „friedliche Reintegration“ in den kroatischen Staatsverband. Antunovic Lazic kehrte Ende der 1990er zurück nach Vukovar, wo sich einst niemand für die Nationalität seines Gegenübers interessierte. Heute organisiert sie für das „Europäische Haus“ Konferenzen, Fortbildungen und Jugendfreizeiten in einer Stadt, in der sich fast alles um die Frage der nationalen Zugehörigkeit dreht.

„Das größte Problem für uns ist, dass von hier von kleinauf alles auf Spaltung ausgelegt ist“, sagt Antunovic Lazic. Noch heute werden in Vukovar serbische und kroatische Kinder getrennt unterrichtet – oft in denselben Schulgebäuden, aber zu unterschiedlichen Zeiten, von unterschiedlichen Lehrern.

Die Leiche des „Helden von Vukovar“ findet sich in einem Massengrab

Der Versuch, mit ausländischer Hilfe eine „multikulturelle“ Schule aufzubauen, scheiterte vor zwei Jahren – weil sich keine Schüler:innen fanden. „Die Eltern hatten Angst, in ihrer jeweiligen Gemeinschaft stigmatisiert zu werden“, sagt Bojan Glavaševic. Der 37-Jährige ist Abgeordneter des links-grünen Bündnisses Možemo im kroatischen Parlament in Zagreb. Aus Sicht selbsternannter Patriot:innen macht allein das ihn schon zum Verräter.

Doch für die kroatische Rechte ist Bojan Glavaševic eine besondere Reizfigur. Sein Vater Siniša gilt über politische Lagergrenzen hinweg als „Held von Vukovar“, weil er als einziger Reporter bis zum bitteren Ende in der belagerten Stadt aushielt. Auch er wurde verschleppt und ermordet, sein Leichnam 1997 in einem Massengrab entdeckt. Bojan Glavaševic lebt in Zagreb, besucht „sein Vukovar“ aber regelmäßig. „Tatsache ist, dass Vukovar eine arme Stadt ist“, betont er. Mehrere Hundert Millionen Euro sind seit 1998 in den Wiederaufbau geflossen. Die gesamte Innenstadt Vukovars macht einen neuwertigen Eindruck. „Es gibt eigentlich die Voraussetzungen für ein gutes Leben“, glaubt Bojan Glavaševic, „und doch gehen die Leute weg. Weil die Atmosphäre in der Stadt nicht gesund ist“.

Kroatien/Serbien: Beinahe „mafiöse Aufteilung“ des Territoriums

Es seien vor allem zwei Probleme, die Vukovar belasten. Zum einen habe man es mit einer beinahe „mafiösen Aufteilung des Territoriums“ zwischen kroatischen und serbischen Politiker:innen zu tun. Nicht zuletzt aber leide Vukovar unter der Rolle als „Märtyrer- und Heldenstadt“.

Tatsächlich ist Vukovar in den vergangen Jahrzehnten zum Wallfahrtsort ausgebaut worden. Mehr als ein Dutzend Gedenkorte gibt es. An den Ortseinfahrten stehen Plastiken, die ein weißes V für Vukovar vor dem Schachbrettmuster des kroatischen Staatswappens zeigen, darauf die Aufschrift: „Ort besonderer vaterländischer Pietät.“

Kroatien
Kroatien © FR-Grafik.

Zu Wächtern in Kroatien und Serbien zählen diverse Veteranen-Verbände

Das Narrativ dahinter besagt, dass das Opfer Vukovars die kroatische Eigenstaatlichkeit erst möglich gemacht hat. Einen Monat nach dem Fall der Stadt erkannte die Europäische Gemeinschaft Kroatiens Unabhängigkeit von Jugoslawien an. Die jugoslawische Armee wiederum musste sich nach Vukovar von der Vorstellung eines schnellen Sieges endgültig verabschieden.

Zu Wächtern dieser Pietät fühlen sich insbesondere diverse Veteranen-Verbände berufen. Als vor einigen Jahren an offiziellen Gebäuden in Vukovar Schilder in lateinischer und kyrillischer (also kroatischer und serbischer) Schrift angebracht wurden, reisten Veteranen aus dem ganzen Land an, um diese öffentlichkeitswirksam zu zerschlagen.

Kritik an der Heldenstadt Vukovar

Als Anfang November der Journalist Boris Dežulovic eine Kolumne veröffentlichte, in der er mit dem Kult um die Heldenstadt abrechnete, reagierte das Veteranen-Ministerium in Zagreb mit einer Stellungnahme, in der es Dežulovic einen „Angriff auf die fundamentalen Werte Kroatien“ unterstellte. Seitdem reißen die Morddrohungen nicht ab. Der Journalist und seine Familie stehen unter Polizeischutz.

Bojan Glavaševic teilt die Kritik, auch wenn er sie dezenter formuliert. „Wenn wir eine ganze Stadt heiligsprechen, für nicht alltäglich erklären, dann haben wir am Ende des Tages keine Stadt mehr, dann haben wir ein Museum oder Mausoleum.“

Eine gläserne Hülle konserviert die weithin sichtbaren Wunden

Der Wasserturm von Vukovar ist einer dieser heiligen Orte. Eine gläserne Hülle konserviert seine weithin sichtbaren Wunden. Die Räume, die bei der Eröffnung 1963 ein Restaurant beherbergten, sind zu einem Museum für den „vaterländischen Krieg“ umgebaut. Auf dem begehbaren Dach weht eine Kroatien-Fahne, während im Hintergrund, kaum hörbar, ein Lied aus den 90ern das Opfer der „Heldenstadt“ preist. “

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