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Kritik an Selenkyjs Verbot unliebsamer Parteien

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Von: Baha Kirlidokme

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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj. © dpa

Ein Dekret des ukrainischen Präsidenten löst Widerspruch aus. Selenskyj selbst wirft den betroffenen Parteien Verbindungen zu Russland vor.

Ein Dekret des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj, mit dem er kürzlich die Aktivitäten von elf Parteien verboten hat, bewerten Fachleute kritisch. Betroffen sind unter anderem zwei Oppositionsparteien, die als prorussisch gelten. Daneben werden die Aktivitäten von vor allem regionalen Parteien beschränkt, von denen die meisten als links gelten. Selenskyj begründete seine Entscheidung damit, dass diese Parteien Verbindungen zu Russland hätten.

Zwar sind bisher nur Aktivitäten dieser elf Parteien während des Kriegsrechts untersagt, aber an einem permanenten Verbot wird gearbeitet. So sagte Oleksandr Kornienko, erster stellvertretender Vorsitzender des ukrainischen Parlaments und Mitglied der Selenskyj-Partei „Diener des Volkes“, dem Onlineportal „LB.ua“, dass juristische und technische Wege dafür geprüft würden. Ein Gesetzentwurf liegt bereits vor.

Aus demokratiepolitischer Sicht ist das Verbot der Aktivitäten schwer einzuordnen. „Es ist natürlich ein sehr schmaler Grat. Aber gerade herrscht Krieg, da ist es verständlich, dass die eine Seite gegen die andere Seite vorgeht. Ob das aber so eine kluge Entscheidung war, ist hier zweifelhaft“, sagt Eduard Klein, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Forschungsstelle Osteuropa der Universität Bremen und Redakteur der „Ukraine-Analysen“. Der Soziologe Volodymyr Ishchenko vom Osteuropa-Institut der Freien Universität Berlin sieht das ähnlich: „Jeder Krieg ist eine Herausforderung, da ist es typisch, dass Beschränkungen kommen. Dieses Verbot hilft der Ukraine aber keinesfalls, wenn, dann dem Feind.“

Klein und regional aktiv

Zwar seien die meisten Parteien regional aktiv und aufgrund ihrer Größe irrelevant, aber dennoch hätten manche von ihnen den Angriff Russlands sogar verurteilt. Das müsse beachtet werden, so Ishchenko. Lokale Aktivist:innen und Politiker:innen könnten in dem Verbot ein Signal sehen, dass sie nun keine politische Zukunft mehr in der Ukraine haben oder sogar Verfolgung befürchten müssen. Das helfe im Endeffekt eher Russland und dessen Staatschef Wladimir Putin, der das für seine Propaganda aufnehmen kann.

Vereinzelt wurden Vorwürfe laut, Selenskyj nutze den russischen Angriffskrieg als Vorwand, um gegen linke Parteien vorzugehen. So haben unter anderem die Linken-Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko und Sevim Dagdelen das Vorgehen der ukrainischen Regierung verurteilt. Es widerspreche den Grundprinzipien der Menschenrechtskonvention des Europarates, heißt es in einer Presseerklärung der beiden, die als moskaunah gelten.

Nationalistische Positionen

Allerdings sei das ukrainische Parteiensystem komplex, betonten die Experten Klein und Ishchenko, es gebe kein einfaches Links oder Rechts. „Es ist typisch für ukrainische Parteien, nicht besonders stark ideologiegetrieben zu sein. Welche Werte hat Selenskyjs Partei? Ukrainische Parteien sind in der Regel ideologiefreie Wahlmaschinen, die die Interessen kleiner Gruppen von Eliten vertreten“, sagt der Soziologe Ishchenko. Die Verbindungen zu Russland, die es tatsächlich bei einigen Parteien gibt, fänden aber außerhalb der schwachen Parteistrukturen statt, beispielsweise in Form von inoffiziellen Treffen.

Einigen der betroffenen linken Parteien werden auch nationalistische Positionen zugesprochen, argumentieren Befürwortende des Verbots. Dieser Nationalismus sei aber ein ganz anderer als in Russland, gibt Wissenschaftler Klein zu bedenken: „Im Gegensatz zum russischen Nationalismus ist dieser hier kein expansiver.“ Vielmehr sei er als Teil eines Nationsbildungsprozesses zu verstehen, also als Teil der Identitätssuche nach dem Zerfall der Sowjetunion. Dabei denken die Menschen stärker in ihren lokalen Bräuchen als in einer gemeinsamen Sprache. „Für die Menschen in der Ukraine gilt es immer noch herauszufinden, was die Ukraine für sie eigentlich ausmacht“, sagt Klein.

Dennoch gibt es dem Bremer Ukraine-Experten zufolge auch einen militanten, rechtsextremen Nationalismus in der Ukraine. Das zeigten Angriffe auf Minderheiten in den vergangenen Jahren, oder auch das als rechtsextrem geltende ukrainische Asow Regiment. Allerdings gelte das auch für Russland. So kämpft gerade das rechtsextreme Sparta Batallion der Region Donetsk gegen die Ukraine. Das Batallion sei deutlich größer als das Asow Regiment.

Parteienverbote sind in der Ukraine nichts Neues. So wurden 2015 bereits drei Parteien permanent verboten, darunter auch die größte Kommunistische Partei. „Die Ukraine hat eine Geschichte des Verbietens wichtiger linker Parteien“, sagt Ishchenko. Er sieht in dem Vorhaben, das derzeit auf Kriegszeiten befristete Verbot in ein permanentes umzuwandeln, ein Zeichen für ein gewisses Demokratiedefizit.

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