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Krieg in Nordsyrien: Millionen der Türkei für Söldner

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Von: Frank Nordhausen

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In der syrisch-türkischen Grenzregion befragt ein syrischer Kämpfer Männer eines Dorfes.
In der syrisch-türkischen Grenzregion befragt ein syrischer Kämpfer Männer eines Dorfes. © Nazeer Al-khatib/AFP

Die Türkei bezahlt für ihren Krieg in Nordsyrien Tausende angeworbene Kämpfer. Ankara plant ein milliardenschweres Bauprogramm in den besetzten Gebieten.

Das Sotschi-Memorandum mit Russland über die „Sicherheitszone“ in Nordsyrien hat dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan vergangene Woche einen wichtigen politischen Erfolg beschert. Er hat sein bedeutsamstes Kriegsziel erreicht und die Entstehung eines zweiten kurdischen Quasi-Staates neben dem Nordirak an der Grenze zur Türkei verhindert. Es ist ihm auch gelungen, die seit langem geforderte Sicherheitszone in Nordsyrien einzurichten, wenn auch ohne türkische Oberaufsicht.

Mit dem völkerrechtswidrigen Krieg in Syrien konnte er zu Hause nationalistische Gefühle bedienen, große Teile der Bevölkerung hinter sich vereinen und seine zuletzt stark gesunkenen Beliebtheitswerte anheben. Aber was bedeutet die „Friedensquelle“ betitelte Invasion wirtschaftlich für die Türkei?

Der Kurs der türkischen Lira, der sich nach massiven Verlusten im vergangenen Jahr etwas erholt hatte, sackte sofort wieder deutlich ab; die Kosten für Kreditausfall-Swaps türkischer Schuldner schossen in die Höhe. Nach der Sotschi-Vereinbarung und einer deutlichen Leitzinssenkung der türkischen Zentralbank vergangene Woche gewann die Lira zwar wieder etwas, aber noch hat der Kurs das Vor-Invasions-Niveau von 6,17 Lira für einen Euro nicht wieder erreicht und stand am Mittwoch bei 6,36 Lira.

Die Kosten des Kriegs hat Ankara der Öffentlichkeit bisher nicht dargelegt, sowenig wie jene der zwei vorangegangenen Syrien-Interventionen 2016 und 2018. Doch Erdogan selbst erkennt eine direkte Relation zu den wirtschaftlichen Problemen der Türkei. Als die rasende Inflation von rund 20 Prozent im Frühjahr die Chancen seiner islamischen Regierungspartei AKP bei den Kommunalwahlen zu beeinträchtigen drohte, appellierte er an die Wähler, statt über den Preisanstieg zu lamentieren, lieber über den „Preis einer Kugel“ nachzudenken. „Was kostet die Uniform meines Soldaten und der Kampf, den er gegen Terroristen führt? Denkt darüber nach.“

Die staatliche türkische Rüstungsfirma MKEK verkauft Nato-Patronen für die G-3- und M-16-Gewehre für umgerechnet rund 30 Eurocent pro Stück. Drei Kugeln haben derzeit auf Istanbuler Märkten den Gegenwert von einem Kilo der Grundnahrungsmittel Tomaten oder Kartoffeln.

Laut türkischen Medienberichten beteiligen sich an der Invasion mindestens 15 000 reguläre Soldaten der türkischen Armee sowie 14 000 syrische FSA-Kämpfer. Im August 2018 betrug der monatliche Sold eines von der Türkei bezahlten syrischen Kämpfers in der Provinz Azaz gemäß einem Reuters-Bericht 800 Lira. Demzufolge verschlingen die Zuwendungen für die Söldner mindestens 11,2 Millionen Lira, rund 1,75 Millionen Euro pro Monat. Das türkische Militär ist hingegen überwiegend eine nicht entlohnte Wehrpflichtigenarmee.

Am klarsten erschließen sich die Kosten der türkischen Kampfeinsätze aber bei einem Blick auf das Militärbudget. Laut neuesten Daten des Internationalen Friedensforschungsinstituts Sipri in Stockholm über die weltweiten Militärausgaben verzeichnete die Türkei unter den Top-15-Ländern im Jahr 2018 weltweit den höchsten Anstieg.

Die Aufwendungen stiegen um 24 Prozent von rund 18 Milliarden Dollar im Jahr 2017 auf ein Allzeithoch von rund 22 Milliarden Dollar im vergangenen Jahr und werden im diesjährigen Budgetentwurf auf 24,8 Milliarden Dollar angesetzt. Im letzten Jahrzehnt steht die Türkei bei der Steigerung ihres Militäretats weltweit an zweiter Stelle hinter China.

Die Ausgaben machten 2,5 Prozent des türkischen Bruttoinlandsproduktes und ein Prozent der Militärausgaben weltweit aus. (Zum Vergleich: In Deutschland betrugen die Ausgabe für das Militär 2018 rund 1,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts.)

Sipri führte den enormen Ausgabenanstieg in der Türkei vor allem auf die Interventionen in Nordsyrien zurück. Der Parlamentsabgeordneten Erdogan Toprak von der sozialdemokratischen Oppositionspartei CHP bezifferte die Kosten der zwei bisherigen Syrieneinsätze im August auf rund 40 Milliarden Dollar – ebenso viel wie nach Regierungsangaben die gesamten Aufwendungen seit 2011 für die 3,6 Millionen syrischen Flüchtlinge im Land betragen.

„Die enorme Steigerung der Verteidigungskosten hängt eindeutig mit den Kampfeinsätzen in Syrien zusammen“, sagt der exiltürkische Wirtschaftswissenschaftler Eser Karakas. „Die genaue Summe ist wegen zahlreicher unbekannter Faktoren nicht kalkulierbar. Wir können aber mit Sicherheit sagen, dass das Militärbudget auch dieses Jahr noch höher als veranschlagt sein wird.“

In den zwei bisherigen türkischen Syrien-Protektoraten Azaz und Afrin übersteigen die Kosten bisher nach Auskunft von Karakas bei weitem die Einnahmen etwa durch Handel und Bautätigkeit. Vielleicht verfolgt Erdogan mit der neuen Operation deshalb erklärtermaßen auch wirtschaftliche Ziele. Er will bis zu zwei Millionen syrischer Flüchtlinge, die derzeit in der Türkei leben, „freiwillig“ in 140 neue Dörfern in der syrischen „Sicherheitszone“ ansiedeln – was Menschenrechtsorganisationen und das EU-Parlament als „ethnische Säuberung“ brandmarken, da arabische Syrer in das kurdische Kerngebiet ziehen sollen.

Der staatliche türkische TV-Sender TRT Haber enthüllte Ende September Details des Siedlungsprojektes. Demnach plante die Regierung, 200 000 Häuser für 24,4 Milliarden Euro durch ihre Wohnungsbaubehörde Toki zu errichten – idealerweise finanziert mit Geld aus der EU. Kurz nachdem der Präsident seinen Plan bekannt gegeben hatte, schossen die Aktien der türkischen Zement- und Betonproduzenten an der Istanbuler Börse in die Höhe.

Doch sprechen gewichtige Gründe dagegen, dass jemals eine nennenswerte Zahl syrischer Flüchtlinge in der „Sicherheitszone“ leben wird. Das syrische Assad-Regime ist im Begriff, drei Viertel der Grenzregion zusammen mit russischen Truppen zu sichern, der Türkei bliebe nur ein 30 mal 110 Kilometer breiter Streifen zwischen den Grenzstädten Tel Abiad und Ras al-Ain. Wie freiwillig würden Geflüchtete in eine solche Besatzungszone ziehen? Würde der Diktator Assad wirklich auf dieses Gebiet verzichten, das als Kornkammer Syrien bekannt ist? Im Übrigen warnte der frühere EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Türkei bereits davor zu glauben, dass die EU dort „für irgendetwas zahlen“ werde.

„Ökonomisch wird sich die Operation Friedensquelle für die Türkei mit Sicherheit nicht rechnen“, sagt Professor Karakas. „Das Haushaltsdefizit wird weiter steigen, die Inflation wird angeheizt, wirtschaftlich ist es ein Verlustgeschäft, das Erdogan aus den Rücklagen der Zentralbank finanziert.“

Weitere Faktoren erhöhen das ökonomische Risiko. Die türkische Invasion stieß weltweit auf scharfe Kritik; international rufen Kriegsgegner und Kurden zum Boykott türkischer Waren, Firmen und Urlaubsorte auf. Neben direkten Einbußen drohen langfristige Imageschäden, etwa für die halbstaatliche Fluggesellschaft Turkish Airlines. Zahlreiche europäische Länder haben inzwischen Waffenverkäufe an die Türkei gestoppt. Der Volkswagen-Konzern hat seine Standortentscheidung für eine 1,5-Milliarden-Euro-Investition zum Bau eines neuen Werks in Izmir ausgesetzt und überlegt, es in der Slowakei zu errichten.

Noch ist die wirtschaftliche Rezession der stark von ausländischen Investitionen abhängigen Türkei keineswegs überwunden, die Wirtschaftsleistung schrumpft. „Es fällt schwer sich vorzustellen, dass die Türkei die wirtschaftliche Kraft für eine längere große Militäroperation hat“, sagt Eser Karakas. Offenbar hat man das in Ankara auch erkannt. Vor dem ersten Treffen der syrischen Verfassungskommission in Genf erklärte der türkische Außenminister Mevlüt Cavusoglu am Dienstagabend, die Türkei sei bereit, sich komplett aus Syrien zurückzuziehen und alle von ihr kontrollierten Gebiete der Regierung in Damaskus zu übergeben, wenn diese in der Lage sei, ihr Territorium zu schützen und „Terrororganisationen“ zu bekämpfen. Das wirkt, als wolle die Regierung Erdogan die teuren syrischen Kriegsabenteuer jetzt selbst möglichst schnell beenden.

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