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Russlands Geheimpläne enthüllt: Wie Putin das Baltikum unterwandern will

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Von: Jens Kiffmeier

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Will mit hybrider Kriegsführung auch die baltischen Staaten angreifen: Russlands Präsident Wladimir Putin.
Will mit hybrider Kriegsführung auch die baltischen Staaten angreifen: Russlands Präsident Wladimir Putin. © Mikhail Klimentyev/Lino Mirgeler/dpa/Montage

Angriff auf die Souveränität: Putin will die Kontrolle über das Baltikum. Das offenbaren Kreml-Geheimpapiere. Kann die Nato was entgegensetzen?

Moskau/Brüssel – Verbindungen von prorussischen Litauern nach Russland stärken, mehr russischsprachige Schulen in Lettland aufbauen oder die Finanzierung von moskautreuen Massenmedien in Estland: Russland will seinen früheren Einfluss auf das Baltikum zurückgewinnen. Die Geheimdienste von Präsident Wladimir Putin haben einem Bericht zufolge einen Maßnahmenplan zur Unterwanderung früherer Sowjetrepubliken erarbeitet. Besonders die baltischen Nato-Staaten sind im Visier. Doch kann der Traum von Groß-Russland gelingen? Experten sind sich da unsicher.

Geheimpläne enthüllt: Putin will Einfluss von Nato und EU im Baltikum zurückdrängen

Seit Beginn des Ukraine-Krieges ist die Angst im Baltikum vor einem Angriff Russlands auf die Souveränität spürbar groß. Dass die Sorgen in Estland, Litauen und in Lettland nicht unbegründet sind, zeigen die von Putin in Auftrag gegebenen Geheimpläne.

Wie das Recherchekollektiv aus Süddeutscher Zeitung (SZ), NDR und WDR jetzt enthüllt hat, erarbeitete die „Präsidialdirektion für grenzüberschreitende Zusammenarbeit“ bereits im Sommer 2021 konkrete Szenarien, mit denen die Stimmung und die Meinung in den alten Sowjetrepubliken im Sinne Moskaus gesteuert werden können – und zwar auf wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Ebene. Für jedes der drei Länder gibt es demnach genaue Einzelpläne.

Estland, Litauen und Lettland: Putin erachtet Länder als sowjetische Einflusszone

Für das Putin-Regime spielt das Baltikum eine zentrale Rolle im Großmachtstreben. Seit 2004 sind Estland, Litauen und Lettland Mitglied der Nato und der Europäischen Union. Seit der Abkehr von Russland seien die drei Staaten Vertreter einer starken „antagonistischen“ Position gegenüber Moskau in der EU, sagte der Politologe Marius Laurinavičius der SZ. Der Einfluss der baltischen Staaten könne russischen Interessen auf der ganzen Welt schaden, weshalb Moskau diesen Ländern den hybriden Krieg erklärt habe.

Putin selber erachtet das Baltikum weiterhin als russische Einflusssphäre. In seiner Rede zum 75. Jahrestages zum Sieg über Nazideutschland verwies er bereits vor mehr als zwei Jahren darauf hin, dass Estland, Litauen und Lettland 1939 per Vertrag an Russland gebunden worden seien – und zwar mit der Zustimmung der baltischen Behörden. Putin sprach in diesem Zusammenhang von einer „Inkorporation“. Im Unterschied zu vielen Balten, die historisch eher von einer Annexion ausgehen.

Unerwartete Schützenhilfe in seinem Griff in Richtung Baltikum bekam Putin erst vor wenigen Tagen. So bezweifelte Chinas Botschafter in Frankreich, Lu Shaye, grundsätzlich die Souveränität von Staaten, die einst Teil Sowjetunion waren. In einer Debatte über den völkerrechtlichen Status der im Ukraine-Krieg besetzten Halbinsel Krim sagte der Diplomat laut dem Tagesspiegel im französischen Fernsehen: „Im Völkerrecht haben selbst diese Länder der ehemaligen Sowjetunion keinen effektiven Status, weil es kein internationales Abkommen gibt, um ihren Status als souveränes Land zu konkretisieren.“ Seine Rechtsauffassung sorgte europaweit für einen Aufschrei – nicht nur in der Ukraine und im Baltikum.

Putin und das Baltikum: Schützt die Nato vor einer Ausweitung vom Ukraine-Krieg?

Doch wie erfolgreich kann das Putin-Regime mit seiner Strategie sein? Dass ein direkter russischer Angriff angesichts der Nato-Mitgliedschaft weitgehend unrealistisch ist, scheint auch im Kreml klar zu sein. So wird dieses Szenario in den Geheimplänen nicht herangezogen. Stattdessen setzt Russland voll auf die Beeinflussung von noch vorhandenen prorussischen Kräften in den Ländern. Politiker, die einen antiwestlichen Kurs befeuern wollen, soll als Gegenleistung wirtschaftliche Zusammenarbeit angeboten werden. Hier soll vor allem die Versorgung mit russischem Gas und Öl als Lockmittel dienen.

Die Strategie des Putin-Regimes hat allerdings ihre Tücken. Denn mit dem Überfall auf die Ukraine hat Russland nicht nur durch die internationalen Sanktionen an Wirtschaftskraft verloren, sondern zugleich auch die Westbindung im Baltikum gestärkt. Alle drei Staaten machen Tempo bei der Unabhängigkeit der heimischen Energieversorgung. Und erst kürzlich wurde zum Beispiel in Estland Ministerpräsidentin Kaja Kallas im Amt bestätigt. Die Politikerin gilt als entschiedene Gegnerin von Putins Angriffskrieg.

Bundeswehr im Baltikum: Nato stärkt Ostflanke vor Putin

Die Warnungen aus Litauen, Estland und Litauen vor einer grundsätzlich möglichen Ausweitung des Ukraine-Konflikts auf andere Staaten in der früheren russischen Einflusssphäre werden innerhalb der Nato aber dennoch ernst genommen. So soll die Ostflanke des Bündnisses vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges weiter gestärkt werden.

Derzeit ist die Bundeswehr mit verschiedenen Verbänden im Baltikum stationiert. Diese Kooperation soll weiter ausgebaut werden. „Bessere Koordinierung hat einen größeren Abschreckungseffekt“, sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) vor wenigen Wochen nach einem Nato-Treffen. Eine intensivere Zusammenarbeit sei notwendig, weil das Baltikum ein besonders exponierter Teil der Allianz sei.

Bislang hatte die Nato mit Rücksicht auf russische Interessen auf die dauerhafte Stationierung von Waffen- oder Raketensystemen an Putins Grenze verzichtet. Doch seit Beginn des Ukraine-Russland-Krieges bröckelt die bisherige Zurückhaltung. Im Juni plant die Allianz einen Gipfel in Vilnius. Dabei soll auch über eine Stärkung der Nato-Präsenz im Baltikum gesprochen werden.

Vor diesem Hintergrund wollen die baltischen Staaten dem nun aufgetauchten Strategiepapier Russlands nicht zu große Bedeutung beimessen. Ein hochrangiger westlicher Geheimdienstmitarbeiter verwies im Gespräch mit der SZ darauf, dass die Kreml-Pläne aus dem Sommer 2021 im Baltikum bislang kaum Erfolg gezeigt hätten – eben auch, weil die baltischen Staaten durch den Krieg gegen die Ukraine noch einmal stärker an den Westen herangerückt seien. Selbst in der russischen Politik glaube nur noch „eine kleine Minderheit“ daran, so fügte er hinzu, dass man das Baltikum tatsächlich „zurückholen“ könne. (jkf)

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