Der US-Präsident reagierte damit auf Reporterfragen zu Berichten, wonach Putin von seinen Beratern nicht wahrheitsgetreu über die Probleme beim Ukraine-Feldzug informiert werde. Biden relativierte seine Äußerung allerdings mit dem Nachsatz, dass es „viel Spekulation“ gebe und er solchen Angaben nicht zu viel Bedeutung beimessen wolle.
Später legte aber der Sprecher des US-Außenministeriums, Ned Price, nach. "Wir haben Berichte gesehen, dass verschiedene russische Offizielle ins Abseits gestellt wurden, sich entfremdet haben, im Grunde kaltgestellt oder, wie der Präsident erwähnt hat, unter Hausarrest gestellt wurden", sagte Price. "Wir haben Grund zu der Annahme, dass Präsident Putin sich in die Irre geführt fühlt."
In den Wochen seit Kriegsbeginn seien dem Kreml-Chef „eindeutig ein paar Fehlkalkulationen“ unterlaufen, sagte der US-Außenamtssprecher. „Warum sonst sollte er eine Invasion starten, bei der ziemlich klar war, dass sie eine ganze Reihe an Konsequenzen nach sich ziehen würde“, hob Price hervor. Putin habe die Lage eindeutig falsch eingeschätzt, „wenn er glaubte, seine Truppen seien in der Lage einen schnellen taktischen Sieg zu erringen“.
Bereits am Mittwoch hatte ein US-Regierungsvertreter von Misstrauen zwischen Putin und seinem engsten Umfeld berichtet: "Wir haben Informationen, wonach Putin sich vom russischen Militär getäuscht fühlt", sagte er. "Putin wird von seinen Beratern falsch darüber informiert, wie schlecht die russischen Streitkräfte dastehen und wie die russische Wirtschaft von Sanktionen lahmgelegt wird, weil seine hohen Berater zu viel Angst haben, ihm die Wahrheit zu sagen." Kreml-Sprecher Peskow wies dies zurück.
Die in Lettland ansässige russische Nachrichten-Website "Medusa" berichtete unter Berufung auf russische Geheimdienst-Experten, dass sowohl der Leiter einer berüchtigten Abteilung des russischen Geheimdienstes FSB, Sergej Beseda, als auch sein Stellvertreter Anatoly Boluch im Zuge einer Untersuchung unter Hausarrest gestellt worden seien.
US-Präsident Biden äußerte sich am Donnerstag auch zu Russlands Ankündigung, seine Truppen rund um Kiew abzuziehen. Dafür gebe es derzeit „keinen klaren Beweis“. Belege gebe es hingegen dafür, dass Russland seine Truppen im Donbass im Osten der Ukraine verstärke. „Ich bin ein bisschen skeptisch“, sagte Biden. Es sei „eine offene Frage“, ob ein Abzug russischer Soldaten stattfinde.
Erstmeldung vom Donnerstag, 31.03.2022: Moskau – Russland* hat angekündigt, seine militärische Präsenz im Ukraine-Krieg nahe der Hauptstadt Kiew „drastisch“ zu reduzieren. Der Westen geht davon aus, dass Putins Truppen die Präsenz in der Donbass-Region verstärken wollen. Bei regimetreuen Kriegsbefürwortern in Russland stößt der angebliche Strategiewechsel auf wenig Begeisterung.
Der stellvertretende russische Verteidigungsminister Alexander Fomin sagte am Dienstag (29.03.2022) nach einer russisch-ukrainischen Verhandlungsrunde in Istanbul, dass die Entscheidung getroffen worden sei, um „das gegenseitige Vertrauen zu stärken“ und Bedingungen für ein Friedensabkommen zu schaffen.
Der russische Chef-Unterhändler Wladimir Medinski erklärte, man werde die Operationen nördlich von Kiew und in der nördlichen Stadt Tschernihiw, die etwa 100 Kilometer von der russischen Grenze entfernt liegt, stark zurückfahren. Kräfte, die Wladimir Putin* sowie den Krieg in der Ukraine bedingungslos unterstützen, halten das für den absolut falschen Weg. Sie sind fest davon überzeugt, dass Russland die Ukraine* von Faschisten „säubern“ und „entnazifizieren“ müsse. Wie der russische Präsident auch, sprechen sie dem Land die Existenzberechtigung ab.
Einen Tag nach der Ankündigung sagte der russische Schriftsteller Alexander Prochanow der Zeitung The Moscow Times: „Ich selbst war gestern in Panik.“ Prochanow ist ein nationalistischer Publizist und unterstützt die „militärische Spezialoperation“, wie sie in Russlands Propaganda genannt wird – das Wort „Krieg“ darf in Zusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt* nicht in den Mund genommen werden.
Im Westen kamen gleich nach Fomins Aussagen Zweifel auf, ob Zusagen eines angeblichen Rückzugs verlässlich sind. Ukrainischen Angaben zufolge wurde die Stadt Tschernihiw nach der Ankündigung „die ganze Nacht bombardiert“. Prochanow zeigte sich nach dem Beschuss erleichtert. „Heute geht es mir besser. Die Nacht war begleitet von schwerem Bombardement ukrainischer Ziele im ganzen Land, von Lwiw bis Donezk“, sagte er gegenüber der Moscow Times. Laut der Zeitung sieht der Schriftsteller den Ukraine-Krieg als Versuch, die Wunden zu heilen, die der Zusammenbruch der Sowjetunion hinterlassen hat.
Auch Putins tschetschenischer Statthalter Ramsan Kadyrow, der als besonders skrupellos gilt und zahlreiche Truppen in der Ukraine bereitstellt*, kritisiert die offizielle russische Linie. Kadyrow ging am Mittwoch (30.03.2022) Chef-Unterhändler Wladimir Medinski im Messengerdienst Telegram an. „Wir werden keine Zugeständnisse machen“, sagte der Tschetschenenführer. Medinski habe einen Fehler gemacht und sich falsch ausgedrückt. Putin beschrieb Kadyrow mit den Worten: „Und wenn Sie glauben, dass er das, was er begonnen hat, einfach so aufgibt, (...) dann ist das nicht wahr.“
„Ich bin der Meinung, dass es notwendig ist, das, was wir begonnen haben, zu beenden: Die Banderiten, Nazis und bösen Geister zu zerstören. Nur dann sollten wir entscheiden, was wir als Nächstes tun werden“, redete sich Kadyrow in Rage. Er versprach auf Telegram, dass das russische Militär in die ukrainische Hauptstadt Kiew* eindringen werde.
Selbst das russische Staats-TV stellt sich teilweise gegen die neue offizielle Linie Russlands. TV-Moderator Wladimir Solowjow, der als einer der bekanntesten Putin-Propagandisten gilt und in seiner Sendung immer mal wieder über einen Atomkrieg mit den USA schwadroniert, stellte sich ebenfalls gegen Medinski. „Niemand wird aufgeben. Es sei daran erinnert, dass jedes Mal, wenn Putin den Abzug der Truppen aus Syrien ankündigte, unsere Gruppierung dort nur noch größer wurde“, sagte Solowjow in seiner TV-Show laut Moscow Times.
Wie die Bild-Zeitung berichtet, wütete Solowjow regelrecht gegen Medinski. Er sei kein „Patriot und kein Unterhändler“, erklärte der TV-Host laut dem Blatt. Und weiter: „Von den Aufgaben, die er (Wladimir Putin) gestellt hat, hat er keinen Buchstaben verändert: Entnazifizierung, Demilitarisierung, neutraler Status und die Unabhängigkeit und Sicherheit der Republiken Donezk und Luhansk.“ Medinski solle nicht auftreten wie der „Pressesprecher der ukrainischen Seite“. (tvd) *fr.de ist ein Angebot von IPPEN.MEDIA.