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Experten einig: Putin darf den Kampf um die Krim nicht verlieren

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Von: Marcus Giebel

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Im Ukraine-Krieg richtet sich der Blick auf die Krim. Holt sich Kiew die Halbinsel zurück? Für Wladimir Putin könnte das laut Experten das Ende bedeuten.

Kiew – Knapp 27.000 Quadratkilometer misst die Krim. Sie trennt das Schwarze Meer vom Asowschen Meer. Verbindet das Festland der Ukraine mit dem von Russland. Mit ihrer Annexion im Jahr 2014 eskalierte der von Wladimir Putin provozierte Konflikt erstmals sichtbar vor den Augen der Welt – was der Westen dem Kreml-Chef noch durchgehen ließ.

Es ist keine Frage, dass die Halbinsel für beide Seiten im Ukraine-Krieg eine herausgehobene Bedeutung hat. Nicht nur symbolisch. Deshalb gehen Militär-Experten davon aus, dass eine Rückeroberung durch die Truppen Kiews einem immensen Schlag gleichkommen würde – nicht nur für Russlands Streitkräfte, sondern auch für den mächtigen Präsidenten in Moskau. Auf der Krim begann vor neun Jahren alles. Wird sie auch zum Anfang vom Ende für Putin?

Russland und die Krim: Nach Annexion 1783 erst 1954 wieder aus der Hand gegeben

Im Zuge der lange vorbereiteten und vollmundig angekündigten Gegenoffensive der Ukrainer befürchten die Invasoren offenbar, dass auch ein Angriff auf die Krim geplant ist. „Sie sind besorgt“, sagte Oleg Ignatow, leitender Analyst für Russland bei der internationalen Denkfabrik Crisis Group, laut Newsweek über Moskaus Führungskräfte.

Und das wohl aus zwei Gründen: Da wäre die besondere geografische Lage, die später noch zum Thema werden soll, und eben die Geschichte Russlands und der Krim. Schon Katharina die Große annektierte die Halbinsel vor mehr als 200 Jahren, erst 1954 wurde sie dann unter der Führung von Josef Stalins Nachfolger Nikita Chruschtschow der Ukrainischen Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) übergeben. Diese gehörte der Sowjetunion – auch bekannt als UdSSR – an. Mit deren Ende wurde sie Teil der Ukraine.

Wladimir Putin besucht die sogenannte Krim-Brücke bekannt ist. (Archivfoto)
Wladimir Putin besucht die nach den Bombenanschlägen reparierte sogenannte Krim-Brücke, die die von Russland annektierte Halbinsel Krim mit dem Festland verbindet. (Archivfoto) © MIKHAIL METZEL / SPUTNIK / AFP

Putin und die Krim: „Es ging um Russlands Identität“

Was für viele Menschen in Russland offenbar nur schwer zu schlucken war. Laut Ignatow herrscht dort die Ansicht vor, es handele sich um „Land, das nicht gestohlen, sondern ohne Unterstützung oder Zustimmung der Gesellschaft der Ukraine gegeben wurde“. Jedoch sei die Krim als ukrainisches Gebiet angesehen worden: „Es war ein Teil von ‚Großrussland‘, dem imperialen Russland.“

Folglich sei die erneute Annexion für Moskau nicht mit den folgenden im vergangenen September vergleichbar. „Als Putin die Entscheidung traf, die Krim einzunehmen, baute er ein Narrativ auf, wonach sie sich vom Donbass und auch vom Rest der Ukraine unterschied“, erläutert der Politikwissenschaftler: „Auf der Krim ging es um Russlands Identität.“

Vergangenheit und Gegenwart der Krim: Nirgendwo war und ist russischer Einfluss in der Ukraine größer

Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch, worauf Newsweek verweist: Seit Katharinas Annexion 1783 ist die russische Schwarzmeerflotte in Sewastapol im Südwesten der Halbinsel stationiert, Militärs im Ruhestand leben mit ihren Familien noch immer dort. Kurzum: Nirgendwo sei der russische Einfluss in der Ukraine so groß wie auf der Krim.

„Es ist kein Mythos, dass dort eine pro-russische Bevölkerung lebt“, gibt Ignatow zu bedenken. Dazu passt auch: Auf der Krim stimmten 1991 nur 54 Prozent für eine ukrainische Unabhängigkeit, im gesamten Land waren es 92 Prozent. Dafür war die Zustimmung für den pro-russischen Ukraine-Präsidenten Wiktor Janukowitsch besonders groß.

Krim im Ukraine-Krieg: „Sie ist faktisch ein unsinkbarer Flugzeugträger“

Schon diese russische Geschichte der Krim würde wohl darauf schließen lassen, dass Putin die Halbinsel erbitterter verteidigen würde als die besetzten Gebiete auf dem ukrainischen Festland. Ben Hodges nennt aber noch einen weiteren Grund, warum sich der Kreml dort kaum zurückziehen wird.

„Die Krim ist faktisch ein unsinkbarer Flugzeugträger, von dem aus Russland Luftangriffe auf den größten Teil der Ukraine oder Raketenangriffe – entweder vom Boden oder von russischen Marineschiffen aus – auf Ziele in der gesamten Südukraine starten kann“, nennt der ehemalige Oberkommandeur der US-Landstreitkräfte in Europa in Newsweek die strategische Rolle im Krieg.

Dementsprechend wäre eine Rückeroberung für die Ukrainer von unschätzbarem Wert. Und würde Putin womöglich den einen Schlag zu viel versetzen. Fragt sich nur, welchen Preis Kiew bereit ist zu zahlen.

Greift Ukraine die Krim an? Experte erwartet „ein Blutbad“

Ignatow erwartet bei einem Angriff auf die Krim, der ohnehin einen vorherigen Eroberungsfeldzug durch Cherson voraussetzt, „ein Blutbad“: „Sie werden dort eine Menge Soldaten verlieren. Es wird ein sehr langer Kampf und ich denke, sie wissen das.“

Auch Mark Voyger, einst Sonderberater von Hodges in russischen und eurasischen Angelegenheiten, befürchtet eine Operation mit großen Verlusten. Da die Ukraine zu Wasser kaum über Streitkräfte verfügte, müssten die Truppen über die schmale Landenge auf die Krim einmarschieren. Die zwei Hauptstraßen bestehen demnach aus Untiefen und Sümpfen. Obendrein soll Russland die Wege mit Festungsanlagen versehen haben, um die eigentlichen Verteidiger, die zu Angreifern werden, zu empfangen.

Aus Sicht der Experten bietet die Rückeroberung der Krim, auf deren Brücke nach Russland sich erst im Oktober eine gewaltige Explosion ereignete, jedoch aus ukrainischer Sicht die besten Chancen, um das vermeintlich unbesiegbare Putin-Regime ins Wanken zu bringen. Eben gerade wegen der Vergangenheit.

Ukrainische Soldaten in einem Unterstand
Im Einsatz für die Ukraine: Auch diese Soldaten könnten Teil der Gegenoffensive im Frühjahr werden. (Symbolbild) © IMAGO / Le Pictorium

Putin braucht die Krim: „Verlust würde wie ein totaler Kollaps wirken“

„Es ist extrem wichtig für sie, die Krim zu behalten“, erklärt Voyger in Newsweek Moskaus Sicht: „Die russische Führung ist bei einem Verlust der Krim äußerst empfindlich, weil sie sich an den Verlust 1856 – als britische, französische und ottomanische Truppen das russische Imperium besiegten – als demütigende Niederlage der Russen auf ihrem eigenen Land zurückerinnert.“ Eine Wiederholung wäre für Putin zweifellos „eine heftige Niederlage“ – womöglich die schlimmste im an Rückschlägen nicht armen Krieg.

„Ich weiß nicht, wie die Konsequenzen aussehen würden, vom Einsatz von Atomwaffen bis hin zu einer Massenmobilisierung in Russland. Aber es würde eine Bedrohung für seine Macht darstellen, für die Stabilität seines Regimes. Das ist sicher“, schaut Voyger auf die Folgen für Moskaus mächtigen Mann: „Der Verlust der Krim würde wie ein totaler Kollaps wirken, es wäre Chaos.“

Um die besondere Bedeutung der Krim im russischen Narrativ noch einmal herauszuheben, zieht er diesen Vergleich: „Luhansk oder Donezk zurückzuerobern, würde das Ende von ‚Russlands Welt‘ bedeuten. Aber die Krim zurückzuerobern, wäre das Ende der Legitimität dieses Regimes.“

Wie endet der Ukraine-Krieg? Politiker sieht Krim als „letzte Bastion von Putins Regime“

Auch Oleksandr Merezhko hat die Hoffnung, dass die Krim nicht etwa ein weiterer Wendepunkt in der Auseinandersetzung ist, sondern den Endpunkt darstellt. „Die Krim ist die letzte ideologische und propagandistische Bastion von Putins Regime. Putin hat den Angriffskrieg gegen die Ukraine von der Krim aus begonnen und der Krieg sollte durch die vollständige Befreiung der ukrainischen Gebiete, darunter natürlich auch die Krim, beendet werden“, betont der ukrainische Politiker, der Vorsitzender des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des Europäischen Parlaments ist, in Newsweek.

Die Experten sind sich also einig: Moskau darf im Kampf um die Halbinsel keine Niederlage riskieren. Denn Putin darf die Krim niemals wieder verlieren – sonst wäre womöglich er verloren. (mg)

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