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Korruptionsvorwürfe im Exil

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Von: Stefan Scholl

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Wolkow im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse. imago images
Wolkow im Herbst auf der Frankfurter Buchmesse. imago images © Imago

Der russische Oppositionelle Leonid Wolkow fordert Milde für einige ganz bestimmte Oligarchen auf der EU-Sanktionsliste. Damit befördert er sich in ein doppeltes Abseits.

Natürlich hätten Oligarchen und andere Mitglieder der russischen Elite kein Mitleid verdient, schreibt Leonid Wolkow, der langjährige Stabschef Alexei Nawalnys. „Sie haben viel dazu beigetragen, das Land in eine faschistisch gestylte, totalitäre Diktatur zu verwandeln.“

Aber Sanktionen? Die seien kein Selbstzweck, moniert Wolkow. Statt einzelne zu bestrafen und dadurch Putins Umgebung nur noch enger zusammenzuschweißen, gelte es, diesen zu isolieren. Man müsse seiner Elite Ausstiegsbedingungen aus den Sanktionen anbieten: „Dazu sollten eindeutig eine öffentliche Verurteilung des Regimes Putins gehören und die Übergabe eines beträchtlichen Teils ihres Vermögens an die Ukraine.“

Das klingt nicht unlogisch. Und Kanadas ukrainisch-stämmige Finanzministerin Chrystia Freeland hatte die Idee schon vergangenes Jahr geäußert. Aber viele russische Oppositionelle zweifeln an Wolkows Aufrichtigkeit, wenn er für die Aufhebung von Sanktionen gegen russische Milliardäre mit dem richtigen Verhalten appelliert. Vorige Woche bereits tauchte nämlich ein Brief an EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und ihren Außenbeauftragten Josep Borrell auf, in dem Wolkow, der in Litauen lebt, und acht andere Oppositionelle die Rücknahme von Sanktionen gegen bestimmte Oligarchen vorschlagen.

„Wir würden gerne Ihre besondere Aufmerksamkeit auf die Maßnahmen gegen Privatunternehmer richten… Insbesondere sind wir der Meinung, dass es unbegründet ist, Sanktionen gegen die Aktionäre der Alfa-Gruppe zu verhängen“, schreiben Wolkow & Co. Hauptaktionär Michail Fridman habe ukrainische Eltern, groß in der Ukraine investiert und fünf Millionen Dollar für ukrainische Flüchtlinge gestiftet. „Wir bitten Sie, noch einmal sorgfältig zu überprüfen, ob die Fortsetzung der Sanktionen gegen Fridman und seine Partner notwendig ist.“

Nach der Veröffentlichung des Briefes verkündete Wolkow zunächst, er habe das nie gesehen, seine Unterschrift stamme wohl kopiert. Erst als ein zweiter Brief von ihm an Borrell vom Oktober auftauchte, in dem er ebenfalls bat, die Sanktionen gegen Friedman und Alfa einzustellen, gestand er einen „schweren politischen Fehler“ und zog sich für „eine Pause“, vom Amt als Präsident von Nawalnys Antikorruptionsstiftung FBK zurück.

Fridman und Alfa-Partner Pjotr Awen versuchen zurzeit, ihre Anteile an der russischen Alfa-Bank an andere russische Partner zu verkaufen, im Herbst schlug Fridman vor, die ukrainische Alfa-Bank-Tochter umsonst dem Staat zu übergeben oder dort zusätzlich eine Milliarde Dollar zu investieren. Dahinter vermuten Fachleute ebenfalls das Bestreben, die Sanktionen, die alle Fridman-Aktiva im Westen einfrieren, loszuwerden.

Im Februar 2022 hatte Fridman das „Blutvergießen“ als „Tragödie für die Völker Russlands und der Ukraine“, bezeichnet. Aber er klagte auch, wegen der Sanktionen könne er die Putzkraft für seine Londoner Villa nicht mehr bezahlen. Und es sind keine öffentlichen Aussagen des Zwölf-Milliarden-Dollar—Mannes (laut Forbes) bekannt, in dem er Putins „Kriegsspezialoperation“ verurteilte. Fridman und Awen hätten bestenfalls versucht, auf zwei Hochzeiten zu tanzen, kommentiert der Blogger Michail Poscharski.

Russlands Oppositionelle sind nun verwirrt. Manche verteidigen Wolkow, er habe ja eigentlich nichts Unehrenhaftes unterschrieben. Andere fragen sich, warum Wolkow gleich zweimal ausgerechnet für Fridman eintritt. Auf der Sanktionsliste stehen nämlich Leute, die sich eindeutiger zur Ukraine positionierten, etwa der Bankier Oleg Tinkow: „Wir sind gegen diesen Krieg. Jeden Tag sterben in der Ukraine unschuldige Menschen.“

Wolkows Bittbriefe für Fridman kamen bei einer Schlammschlacht innerhalb der russischen Opposition zutage. Erst warf der FBK Alexej Wenediktow, dem Altstar des liberalen Journalismus in Moskau, vor, er kassiere Schmiergeld von der Stadtregierung. Wenediktow konterte mit der Veröffentlichung von Wolkows EU-Briefen. Der und die anderen Unterzeichner hätten von der Alfa-Gruppe Schmiergeld kassiert, höhnt der kremlnahe Politologe Sergej Markow. Aber auch der liberale Exilhistoriker Andrej Subow schimpft: „Es ist schmutzig, wenn Kämpfer gegen die Korruption Putins Oligarchen verteidigen, die als solche schon korrupt sind.“

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