Korruption ohne Konsequenzen

Der größte Korruptionsskandal in der Geschichte der Türkei wird juristisch nicht aufgearbeitet. Die türkische Regierungspartei AKP hat die Anklagen gegen Regierungsmitglieder verhindert.
Die konservative Mehrheit im türkischen Parlament hat am Montagabend die vorerst letzte Chance vereitelt, den größten Korruptionsskandal in der Geschichte des Landes juristisch aufzuarbeiten. Wie erwartet stimmten die Abgeordneten der islamischen Regierungspartei AKP im parlamentarischen Korruptions-Untersuchungsausschuss gegen eine Anklage von vier früheren Ministern vor dem Verfassungsgericht in Ankara. Zwar muss letztlich das Parlamentsplenum beschließen, ob sich das höchste türkische Gericht mit den Verdächtigen befasst, doch wird das Ausschussvotum als deutlicher Vorentscheid gewertet. Die Opposition sieht das Vertrauen in die Politik schwer beschädigt.
Die juristische und politische Aufarbeitung der massiven Korruptionsaffäre, die am 17. Dezember 2013 durch Razzien und Festnahmen von mehr als 50 Personen aus dem unmittelbaren Umfeld des damaligen Regierungschefs und heutigen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan bekannt wurde, ist damit zunächst gescheitert. Der Ausschussvorsitzende Hakki Köylü erklärte zudem, dass die Mehrheit ebenfalls beschlossen habe, die Bänder abgehörter Telefonate zwischen Korruptionsverdächtigen „so bald wie möglich“ zu vernichten. Diese Hauptbeweismittel enthalten auch Gespräche mit Regierungsmitgliedern und Erdogan.
Aufklärung wird sabotiert
Sprecher der Oppositionsparteien im türkischen Parlament warfen den AKP-Abgeordneten vor, auf Befehl Erdogans die Aufklärung der Affäre zu sabotieren und das Vertrauen der Bevölkerung in die Politik weiter zu erschüttern. Der sozialdemokratische Oppositionsführer Kemal Kilicdaroglu erklärte laut der Zeitung Habertürk: „Die Entscheidung gegen den Prozess vor dem höchsten Gericht ist nichts anderes als das Eingeständnis der Korruptionsvorwürfe.“
Angesichts der großen AKP-Mehrheit gilt eine Zustimmung der Anklage aus dem Plenum heraus auch hier als äußerst unwahrscheinlich. In den vergangenen Tagen hatten regierungsnahe Medien und Parteigranden die konservativen Abgeordneten der Kommission massiv unter Druck gesetzt, sich gegen eine juristische Verfolgung zu entscheiden. Die Erdogan-treue Zeitung „Aksam“ erklärte das Verfahren zum Versuch eines „höheren Gehirns“, die Regierung zu destabilisieren und fünf Monate vor entscheidenden Parlamentswahlen Unruhe in der AKP zu säen.
Wie türkische Medien meldeten, gab es innerhalb der Regierungspartei einen Dissens, wie mit den Ex-Ministern zu verfahren sei. Anhänger des amtierenden Ministerpräsidenten Ahmet Davutoglu, der einen entschiedenen Kampf gegen die Korruption versprach, hätten eine Anklage befürwortet, damit sich die Beschuldigten von den Vorwürfen „reinigen“ könnten. Andere AKP-Abgeordnete sind ehrlich empört, weil die beschuldigten Minister vor dem Untersuchungsausschuss erhebliche Vermögenszuwächse nicht stichhaltig begründen konnten. Sie fürchteten den Eindruck in der Öffentlichkeit, dass die Partei korrupte Funktionäre schütze.
Beweismittel vernichten
Die „Erdoganisten“ hätten dagegen jede Untersuchung als Schwächung der präsidialen Linie empfunden, wonach es sich bei der Korruptionsaffäre um einen versuchten Staatsstreich handelte. Laut Erdogan wollten Staatsanwälte und hohe Polizeikommissare aus dem Umfeld seines Erzfeindes Fethullah Gülen, eines in den USA lebenden Islampredigers, mit Hilfe der Razzien und Festnahmen die gewählte Regierung stürzen.
Wegen der Unstimmigkeiten im Regierungslager war die ursprünglich für den 22. Dezember geplante Abstimmung im Untersuchungsausschuss auf Montag verschoben worden. Bereits am 18. Oktober hatte der neu eingesetzte Oberstaatsanwalt alle Ermittlungen in der Affäre eingestellt. Die Beschuldigten erhielten inzwischen auch die bei ihnen beschlagnahmten Millionensummen mit Zinsen zurück. Statt der Korruptionsverdächtigen gerieten die staatlichen Ermittler ins Visier. Hunderte Staatsanwälte und Tausende Polizisten wurden seit Beginn der Affäre versetzt, suspendiert oder verhaftet. Am Montag wurden erneut 36 leitende Polizeioffiziere in den ostanatolischen Städten Gaziantep und Sanliurfa wegen „illegalen Abhörens“ festgenommen. Die Polizisten bestreiten die Vorwürfe. Bislang konnte noch kein Beweis für die Putschpläne der Gülenisten vorgelegt werden, und es wurde auch in keinem einzigen Fall Anklage erhoben.