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Koordinator der Friedensbewegung: „Ein moralisches Dilemma“

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Von: Pitt von Bebenburg

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1962 im Ruhrgebiet: Erstmals marschieren auch viele Menschen aus dem Revier zu Ostern mit.
1962 im Ruhrgebiet: Erstmals marschieren auch viele Menschen aus dem Revier zu Ostern mit. © IMAGO/Klaus Rose

Kristian Golla koordiniert die Friedensbewegung. Angesichts der Weltlage müssten die Straßen eigentlich voll sein, sagt er. Ein Interview von Pitt von Bebenburg

Herr Golla, ist die Friedensbewegung nur noch eine Sache der älteren Generation?

Für die Friedensbewegung sind Leute wesentlich leichter zu gewinnen, wenn sie biografische Erlebnisse damit verbinden, ob als Kind im Krieg oder aufgrund der Nachrüstungsdebatte der 1980er Jahre. Leute, die heute unter 30 Jahre alt sind, haben wesentlich weniger Anknüpfungspunkte – aber die Bewegung richtet sich natürlich auch an sie.

Auch die Antworten der Friedensbewegung sind geprägt von früheren Jahrzehnten, als die Kritik an der Nato und den USA im Vordergrund stand. Tut sich die Bewegung schwer damit, jetzt Russland als Aggressor zu benennen?

Die Meinungsdifferenzen, die es in der Gesellschaft gibt, spiegeln sich auch in den Friedensgruppen. Die Friedensbewegung ist kein monolithischer Block. Sie besteht aus vielen Menschen mit unterschiedlichen Zugängen. Da gibt es in der Tat auch Leute, die noch nicht wahrnehmen wollen, dass das aktuelle Russland ein repressives System ist und eine imperialistische Politik betreibt, indem es seine Nachbarländer überfällt.

Gerade in der Frage der Waffenlieferungen gibt es unterschiedliche Positionen, sowohl in der Gesellschaft als auch in der Friedensbewegung. Wie schwierig ist es dabei, gemeinsame Positionen zu formulieren?

Ich glaube, man muss aushalten, dass man das nicht richtig schaffen kann. Es gibt dieses moralische Dilemma, das man aushalten muss. Das besteht darin: Wenn ich Waffen liefere, bin ich mit schuld am Tod von Menschen, die dadurch zu Schaden kommen. Wenn ich keine Waffen liefere, bin ich gegebenenfalls mit schuld an unterlassener Hilfeleistung. Auf dieses Dilemma muss jeder und jede für sich eine Antwort finden.

Auch pro-ukrainische Demonstrationen beanspruchen das Thema Frieden für sich – im Sinne eines gerechten Friedens, für den zunächst die russischen Truppen aus dem Land getrieben werden müssen. Wie sehr zerteilt es die Friedensbewegung, wenn es diese verschiedenen Ansprüche gibt?

Es gibt kein Copyright auf den Begriff Frieden. In der Friedensforschung sieht man aber, dass ein „Siegfrieden“ in den wenigsten Fällen funktioniert.

Zur Person

Kristian Golla, Jg. 1963, ist seit 1988 für das Netzwerk Friedenskooperative tätig. Es stimmt von Bonn aus Aktivitäten der Friedensbewegung ab. pit

Sind die Aktionsformen Demonstration und Kundgebung in Zeiten der Digitalisierung noch zeitgemäß, um alle anzusprechen?

Ich bin Fridays for Future dankbar, dass sie diese vermeintliche Old-School-„Latschdemo“ wieder haben aufleben lassen. Aber es gibt daneben andere Aktionsformen. Es geht um die Frage: Wie kann man darstellen, dass Menschen anderer Meinung sind? Das kann man mit 700 000 Unterschriften im Internet machen oder indem landauf, landab Menschen auf die Straße gehen wie bei den 120 Veranstaltungen der Friedensbewegung an Ostern.

Mit welcher Beteiligung rechnen Sie? Mehr oder weniger als letztes Jahr?

Die Weltlage ist so, dass die Straßen eigentlich voll sein müssten. Aber es gibt auch so triviale Faktoren wie die Osterferien. Es ist das erste Ostern ohne Corona, viele Menschen werden verreisen. Ich kann den Leuten nicht sagen: Wegen der Weltlage müsst Ihr leider dableiben. Auch das Wetter ist ein Faktor – niemand hat Lust, bei Regen zu demonstrieren.

Welche Rolle spielen die Ostermärsche überhaupt noch für die Bewegung? Seit Beginn des Ukraine-Kriegs gab es auch zu anderen Zeitpunkten viele Aktivitäten, gerade zum Jahrestag des Kriegsbeginns am 24. Februar.

Zum Jahrestag war wesentlich mehr los als jetzt zu Ostern. Es gab deutlich mehr Veranstaltungen und die große Demonstration in Berlin. In einem Jahr Ukraine-Krieg gab es über 1000 Veranstaltungen. Das ist gar nicht so im Spiegel der Öffentlichkeit. Viele Mahnwachen finden nur in den Lokalzeitungen Niederschlag, ob das in Ellwangen ist, in Dülmen, Neumünster oder wo immer.

Bei der Großdemonstration in Berlin spielte die Frage der fehlenden Abgrenzung nach rechts eine Rolle. Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht hatten alle willkommen geheißen, die sich für Frieden einsetzen.

Ganz so einfach würde ich es mir nicht machen. Die AfD bezeichnet sich jetzt als „Partei des Friedens“. Da schwummert es mir. Ihrem Programm zufolge ist die AfD jedenfalls alles andere als eine Friedenspartei. Eine Friedensbewegung ist aus meiner Sicht internationalistisch und achtet die Rechte von Minderheiten. Das sind Werte, die solche rechten Leute nicht teilen, im Gegenteil. Der Spruch „Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg“ gilt, und das muss man immer wieder deutlich machen.

Kristian Golla.
Kristian Golla. © Privat.

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