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"Konzentration auf Steinbach lenkt ab"

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Erika Steinbach (Archivbild)
Erika Steinbach (Archivbild) © dpa

Der Streit um das geplante Zentrum gegen Vertreibungen konzentriert sich auf die BdV-Chefin Steinbach. Das ist falsch, meint der Historiker Erich Später im FR-Interview. Der eigentliche Skandal liegt woanders.

Die Bundesregierung hat sich mit der Chefin des Bundes der Vertriebenen (BdV), Erika Steinbach, geeinigt. Steinbach hatte so starken Druck ausgeübt, dass von Erpressung gesprochen wurde. Warum hat sie so überzogen?

Ich finde, dass das Bild, dass Steinbach überzogen hat, in die falsche Richtung führt. Diese ganze Zuspitzung auf die Person Steinbach lenkt doch davon ab, wie das geplante Zentrum gegen Vertreibungen inhaltlich konzipiert ist. Das ist der eigentliche Skandal, und da findet öffentlich überhaupt keine Debatte statt. Offiziell geht es dem BdV um das Gedenken an die Vertriebenen, um eine Erinnerungsstätte − doch das sind Nebelkerzen.

Und worum geht es wirklich?

Darum, eine alternative Sicht auf den Zweiten Weltkrieg und den Nationalsozialismus aufzubauen. Das Zentrum unter Federführung des BdV soll die Sicht der deutschen Rechten manifestieren. Die kritische Öffentlichkeit sollte sich verstärkt darum kümmern, was da in Szene gesetzt werden soll im künftigen Zentrum gegen Vertreibungen.

Die Deutschen in der Opferrolle?

Ja, es ist ja die Leistung Erika Steinbachs, den Diskurs der deutschen Rechten an die internationale Menschenrechtsdebatte angeglichen zu haben: Man redet nicht mehr von Polacken, von asiatischen Horden, vom Vernichtungskrieg gegen Deutschland - die Vertriebenen sind jetzt Opfer der Weltgeschichte, von unmenschlichen Regimes, von einer seit Jahrtausenden stattfindenden Politik der Vertreibung. Der Zweite Weltkrieg verliert seinen historischen Ort; er wird zu einem Ereignis unter vielen in einer Kette von weltgeschichtlichen Verhängnissen. Der Massenmord an den Juden versinkt im Meer der Geschichte.

Im Jahr 2006 hat Steinbach mit der Ausstellung "Erzwungene Wege - Flucht und Vertreibung im Europa des 20. Jahrhunderts" bereits eine Vorschau auf die geplante Dauerausstellung geliefert...

Ja, und das Deutsche Historische Museum, das gemeinsam mit dem BdV auch die kommende Dauerausstellung machen soll, zeigte fast zeitgleich "Flucht, Vertreibung und Integration". Es war auffällig, was in den Ausstellungen unter den Tisch fiel: Die Rolle der deutschen Minderheiten für die nationalsozialistische Expansionspolitik, die Beteiligung der ostdeutschen Volksgemeinschaft an der Shoah, das Leid der Sowjetunion. Die Deutschen erscheinen hier als Opfer der Nazis und der Alliierten; die Ostgebiete sind dargestellt als friedliche Idyllen, in die ein barbarischer Feind einbricht.

Wie mächtig sind die Vertriebenenverbände noch?

Der Bedeutungsverlust der Vertriebenenverbände, die einst die Innen-und Außenpolitik der Bundesrepublik mitbestimmt haben, ist signifikant. Bis 1969 hatten die Vertriebenen quasi ein Vetorecht in der Außenpolitik; das ist durch die Ostpolitik der sozial-liberalen Koalition und die demokratische Öffentlichkeit zurückgedrängt wor-den. Und 1989 mussten sie die europäische Nachkriegsordnung akzeptieren, ihre territorialen Forderungen waren obsolet geworden. Das alte Nazi-Milieu der Berufsvertriebenen stirbt biologisch aus. Das waren die, die das Deutsche Reich in den Grenzen von 1939 wiederhaben wollten, die sich für die Rehabilitierung von NS-Verbrechern eingesetzt haben und die eine Entschädigung von NS-Opfern vehement ablehnten.

Trotz des Wegsterbens der Altnazis wirkt der BdV noch ganz munter...

Dass diese alten Nazis aussterben, heißt ja nicht, dass der BdV heute keine Bedeutung mehr hätte. Er behält weiter seine Entlastungsfunktion - als staatlich alimentierte Avantgarde des deutschen Opferkollektivs. Und in Teilen der CDU/CSU bleiben die Vertriebenen weiter populär, man schaue sich nur den hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch an - ein Dauergast bei den BdV-Veranstaltungen. Oder die bayerische CSU, die sich in ihrer Politik gegenüber Tschechien deutlich von der sudetendeutschen Landsmannschaft beeinflussen lässt.

Der Wirbel um Steinbach führt dazu, dass mal wieder genauer auf die Vertriebenenverbände geschaut wird. Kürzlich wurde recherchiert, dass da keineswegs mehr als zwei Millionen Bürger organisiert sind, sondern lediglich 550.000. Und der Spiegel schrieb, dass von 200 hohen Funktionären des Bundes der Vertriebenen mehr als ein Drittel nationalsozialistisch vorbelastet waren. Ist dem so?

Nach meinen Kenntnissen ist auch die Zahl von 550.000 organisierten Vertriebenen noch weit übertrieben, da sind meiner Meinung nach höchstens noch 25.000 aktiv. Der BdV hat die Anzahl seiner Mitglieder schon immer grotesk überhöht dargestellt. Man schaue sich nur die Pfingsttreffen an: zum Sudetendeutschen Tag kommen heute 40.000 Leute - 1957 waren das noch 350.000.

Und wie steht es mit der Zahl der Altnazis in den Reihen der organisierten Vertriebenen?

Die jüngsten Angaben des Spiegel sind stark untertrieben. Ein Beispiel: 1950 wurde die Charta der Heimatvertriebenen veröffentlicht, unterzeichnet wurde das Dokument von 30 Funktionären. Davon waren 20 in der NSDAP beziehungsweise Mitglieder der SS. Der erste Bundesvorstand der Sudetendeutschen Landsmannschaft bestand aus 15 Personen, davon stammten zwölf aus den obersten Rängen der NSDAP in Reichenberg, der Gauhauptstadt des Sudetenlands, das annektiertes Gebiet der Tschechoslowakei war. Meine These ist, das in den ersten 20 Jahren des BdV auf jeder Ebene, von den untersten bis zur den höchsten Rängen, ehemalige NS-Funktionäre und Mitglieder der SS die Mehrheit bilden. Das stellte eine enorme Lobby- und Integrationsmacht für den Verwaltungs- und Vernichtungsapparat des Nationalsozialismus dar: So gelang es, die 90.000 Beamten und Angestellten der öffentlichen Verwaltungen aus den Ostgebieten reibungslos im öffentlichen Dienst unterzubringen.

Die finanzielle Förderung der Vertriebenen durch den Bund beträgt heute rund 16 Millionen Euro jährlich. Der BdV bekommt vom Innenminister fast eine Million, um seine Geschäftsstelle zu betreiben. Hinzu kommt noch die Förderung durch die Länder und Kommunen. Wissen Sie, wie groß die Summe insgesamt ist?

Die Gesamtsumme ist schwer zu errechnen, rund 20 Millionen dürften nach meiner Schätzung die untere Grenze sein. Zwar wurde die Förderung unter Rot-Grün herun-tergefahren, doch auffällig bleibt, dass staatlicherseits kein Beleg dafür verlangt wird, wieviele Leute dort wirklich noch organisiert sind.

(Interview: Hans-Hermann Kotte)

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