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Konstruktiver Störenfried

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Von: Steven Geyer

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Meinen es ernst: Martin Sonneborn kandidiert erneut für das EU-Parlament.
Meinen es ernst: Martin Sonneborn kandidiert erneut für das EU-Parlament. © dpa

Satiriker Martin Sonneborn kandidiert wieder für das EU-Parlament.

In der Woche, in der die Öffentlichkeit damit rechnet, dass der LKA-Hutbürger jeden Moment bei Böhmermann, heute-show oder extra3 aus der Kulisse springt und seine klischeehafte Maskerade fallen lässt, meldete sich in Brüssel auch der Veteran der politischen Satire, oder vielmehr der satirischen Politik, zurück: Martin Sonneborn, Mitherausgeber der „Titanic“ und Mitgründer und Bundesvorsitzender der satirischen „Partei für Arbeit, Rechtsstaat, Tierschutz, Elitenförderung und basisdemokratische Initiative“ (PARTEI), hat seine erneute Spitzenkandidatur bei der Europawahl im kommenden Mai verkündet. In den vier Jahren als fraktionsloser Abgeordneter ist es dem 53-Jährigen ernst geworden mit der Europapolitik.

Und wenn man, wie jüngst die FAZ, behauptet, er sei 2014 nur dank der frisch abgeschafften 3-Prozent-Hürde mit „nur 170 000 Stimmen“ ins Parlament gekommen und hätte zuvor „Wahlkampf als Kabarett“ betrieben, wird Sonneborn sogar sauer. „Ich hasse Kabarett“, kommentiert er den fiesesten dieser Vorwürfe gegenüber der FR.

Den vor allem von CDU-Politikern lancierten Vorwurf, der Satiriker habe seinen Platz quasi erschummelt und müsse 2019 mit den anderen Kleinparteienvertretern per Wahlrechtsänderung wieder aus dem Parlament entfernt werden, kontert Sonneborn so detailliert und leidenschaftlich, wie es nur ein echter Europa-Parlamentarier kann. Er habe nämlich 184 709 Stimmen bekommen – und damit mehr als das zehnfache mancher konservativer Kollegen aus kleineren EU-Ländern. Das Problem der Ungleichgewichtigung der Stimmen gehe die geplante Wahlrechtsreform nämlich nicht an, schimpft Sonneborn.

Stattdessen hat die deutsche Bundesregierung nach dem Verbot einer deutschen Sperrklausel durch das Bundesverfassungsgericht so lange auf EU-Ebene Druck gemacht, bis andere Mitgliedsstaaten einem Modell zustimmten, das am Ende wieder nur in Deutschland wirksam ist – und gegen den Willen der Verfassungsrichter wieder eine Hürde für die EU-Wahl einführt, sobald der Bundestag ihr zustimmt.

Selbst der grünen EU-Abgeordnete Sven Giegold warf Berlin vor, „Europa bei der Wahlrechtsreform die Drecksarbeit machen“ zu lassen, nachdem das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde im Jahr 2014 gekippt hatte, weil sie gegen Wahlrechtsgleichheit und Chancengleichheit der Parteien verstieß.

Klage angedroht

Sonneborn klingt nicht resigniert, als er erklärt, dass nun sicher „alle aufrechten Demokraten“ im Bundestag gegen die neue Hürde für Kleinparteien stimmen werden: „Schließlich ändert man doch nicht einfach das Wahlrecht, nur weil die eigenen Wahlergebnisse schlechter werden“, sagt er. Wer also genau auf seiner Seite ist? „Tja, die … äh … Linken? Ein paar aufrechte Grüne und, und, ich fürchte, das war es“, sagt Sonneborn. „Ich sehe gerade: Die PARTEI muss in den Bundestag.“

Tatsächlich steigen auch die Umfragewerte seiner Partei, die bei der Bundestagswahl schon auf ein Prozent kam und in Berlin gerade bei vier Prozent liegt.

„Selbstverständlich klagen wir in Karlsruhe, wenn der Bundestag eine EU-Sperrklausel Klausel beschließt“, warnt Sonneborn vor, „schon um Elmar Brocken von der CDU wieder mit hochrotem Kopf vor Wut schwitzen zu sehen, wenn er den Verfassungsrichtern zum dritten Mal erklären soll, warum das EU-Parlament mit uns Kleinparteien absolut nicht mehr arbeitsfähig ist.“

Nicht nur der Konservative, der eigentlich Brock heißt, behauptet, dass EU-Parlament zersplittere ohne Sperrklausel und sei „nicht mehr arbeitsfähig“.

„Was für ein Unsinn“, schimpft Sonneborn, „hat sich irgendetwas verändert in Brüssel, seit eine Piratin, je ein Vertreter von ÖDP, Familienpartei, Tierschützern, Freien Wählern, der dämliche Udo Voigt und ich im Parlament sind?“

Tatsächlich haben die Satiriker auch Erfolge vorzuweisen: Mit ihrem „Geldhandel“ (ein Hunderter für 105 Euro), mit dem sie den AfD-„Goldhandel“ parodierten, lösten sie eine Reform der Parteienfinanzierung aus; sorgten für ein neues Zulassungsverfahren zur Bundestagswahl; machten Plenarreden aus Straßburg im Internet populär – und steuerten die fehlende Stimme bei, um in der EU eine Datenschutzverordnung zu verhandeln.

Um nicht doch in den Ruch zu kommen, eine ganz normale, am Ende gar konstruktive Oppositionspartei zu sein, hat die PARTEI-Führung alle EU-Listenkandidaten nach ihren Nachnamen aus dem Mitgliedsregister ausgewählt: „Bombe, Krieg, Göbbels, Göring, Speer, Bormann, Eichmann, Keitel, Heß“, steht da jetzt. „Die sollen uns die Stimmen von Pegida- und CSU-Freunden garantieren“, erklärt Sonneborn.

Und den Hutbürger, der ihm in dieser Woche die Aufmerksamkeit für seine Wiederantrittserklärung stahl, findet Sonneborn den lustig? „Sehr“, sagt er. „Fast so lustig wie seinen Ministerpräsidenten Kretschmer nach dessen Wortmeldung zu dem Fall.“

Es sei bewundernswert, sagt Sonneborn, wie der sächsische Landesverband der PARTEI „in derartigen Verhältnissen überlebt“.

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