„Ein Mann kann den Krieg morgen beenden“: Baerbock drängt China zum Handeln
Es ist ihre bislang schwierigste Reise: In Peking findet Außenministerin Baerbock deutliche Worte – und muss sich von ihrem Amtskollegen sagen lassen, China brauche keinen „Lehrmeister aus dem Westen“.
München/Peking – Würde man nur danach gehen, welche Bilder die jüngsten China-Reisen von Emmanuel Macron und Annalena Baerbock produziert haben, dann hat Frankreichs Staatspräsident eindeutig die Nase vorn. Ende vergangener Woche traf sich Macron in einem pittoresken Park im südchinesischen Guangzhou mit Staats- und Parteichef Xi Jinping, um ohne Krawatte bei einer Tasse Tee die großen Fragen der Weltpolitik zu erörtern. „Im Frühling ist Guangzhou voll von Blumen“, dichtete Chinas Staatsfernsehen zu den sorgsam inszenierten Bildern. „Die beiden Staatsoberhäupter schlenderten durch den Garten und hielten von Zeit zu Zeit an, um die einzigartige Kulisse zu bewundern.“ Es war eine ganz besondere Ehre, die Xi Jinping seinem Gast aus Frankreich zuteil werden ließ.
Annalena Baerbock hingegen konnte man nun bei ihrem Antrittsbesuch in China in einem weniger imposanten Setting erleben. Am Donnerstag schlenderte die Außenministerin zunächst in der ostchinesischen Metropole Tianjin durch die Fabrikhallen eines deutschen Unternehmens, das Windturbinen produziert, und besuchte eine Partnerschule des Auswärtigen Amts. Immerhin, am nächsten Morgen wurde die Grünen-Politikerin dann von ihrem Amtskollegen Qin Gang in dessen Heimatstadt Tianjin persönlich abgeholt. Gemeinsam fuhren beide dann mit bis zu 350 Stundenkilometern im Hochgeschwindigkeitszug ins nahe gelegene Peking, wo rund zweistündige Gespräche im Staatsgästehaus Diaoyutai folgten.
Für Baerbock ist China kein ehrlicher Makler im Ukraine-Krieg
Der Vergleich mit Macron drängt sich auf, schließlich hatte der Franzose in China Dinge gesagt, die manch einen hierzulande veranlassten, Baerbocks Besuch zu einer Mission in Sachen Schadensbegrenzung zu stilisieren. Die Taiwan-Frage sei nicht das Problem Europas, gab Macron in einem Interview zu Protokoll. Außerdem müsse der Kontinent nicht nur zu China, sondern auch zu den USA eine gewisse Distanz wahren.
Zugegeben, der Vergleich zwischen Baerbock und Macron ist auch ein wenig unfair. Schließlich gilt für einen Staatspräsidenten ein anderes Protokoll, als wenn „nur“ eine Außenministerin anreist. Dennoch: Dass man Baerbock in China nicht ganz so herzlich empfangen würde wie Macron, war auch jenseits diplomatischer Gepflogenheiten zu erwarten gewesen. Sie galt daher schon vorab als schwieriger Gast.
Anders Macron: Zwar hatte sich auch der französische Präsident in den vergangenen Jahren immer wieder sehr kritisch zu China geäußert; so forderte er etwa als einer der ersten, Europa müsse Risiken minimieren, die von einer zu starken Abhängigkeit von der Volksrepublik ausgingen. Zuletzt aber zeigte Macron immer wieder auch Sympathien für Chinas äußerst halbherzige Vermittlungsangebote im Ukraine-Krieg. Baerbock dagegen machte regelmäßig klar, dass Peking in ihren Augen kein ehrlicher Makler sein könne.
Baerbock: „Kein anderes Land hat mehr Einfluss auf Russland als China“
„Ich muss offen sagen, dass ich mich frage, wieso die chinesische Positionierung bislang nicht die Aufforderung an den Aggressor Russland beinhaltet, den Krieg zu stoppen“, sagte Baerbock am Freitag in Peking auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Qin Gang und warf ihrem Amtskollegen dabei strenge Blicke zu. Xi Jinpings Moskau-Besuch Ende März habe „gezeigt, dass kein anderes Land mehr Einfluss auf Russland hat als China. Die Entscheidung, wie es diesen Einfluss nutzt, berührt Europas Kerninteressen ganz unmittelbar.“ China müsse deshalb seiner Verantwortung als ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrats nachkommen. „Ein Mann kann den Krieg morgen beenden“, sagte sie mit Blick auf Putin. Da klang die Außenministerin deutlich entschlossener als Bundeskanzler Olaf Scholz, der im November nach China gereist war. Auch von Macron sind solch konfrontative Worte nicht überliefert.
Qin Gang allerdings wiederholte nur stoisch Chinas Position, dass „der einzig gängige Weg Friendsgespräche sind“, und verwies auf Pekings äußerst vage gehaltenen Zwölf-Punkte-Plan zur Lösung des Konflikts. Immerhin, eine Zusicherung konnte Baerbock den Chinesen abringen: „Wir liefern und werden auch später keine Waffen an Konfliktparteien liefern“, erklärte Qin. Pikant dabei: Fast zeitgleich wurde bekannt, dass Chinas neuer Verteidigungsminister Li Shangfu am Sonntag nach Moskau fliegen wird. Li ist ein von den USA sanktionierter General.
In China betont Baerbock die Bedeutung der Taiwan-Frage für Europa
Was Macrons strittige Äußerungen betraf, so gab sich Baerbock Mühe, in China die europäische Geschlossenheit im Umgang mit China zu betonen. Im Gespräch mit Qin Gang betonte sie allerdings auch, dass Chinas Drohungen in Richtung Taiwan, das die Volksrepublik als abtrünnige Provinz betrachtet, sehr wohl ein europäisches Problem seien. Aus dem Land kämen 70 Prozent der weltweit produzierten Halbleiter, über die Taiwan-Straße würde zudem die Hälfte des Welthandels abgewickelt. „Eine Destabilisierung der Straße von Taiwan hätte daher dramatische Folgen für jedes Land auf der Welt“ einschließlich Deutschland, so Baerbock, die von einem „Horrorszenario“ sprach, sollte es zu einem Krieg kommen. Qins trotziger Kommentar: „Keinen Zoll unseres Territoriums dürfen wir preisgeben“, denn: „Taiwan ist Chinas Taiwan.“
Auch wegen solcher Worte zeigte sich die Außenministerin besorgt über Chinas Ambitionen, bis 2049 „zur Weltmacht aufzusteigen“ zu wollen. Welchen Weg China dabei einschlage, ob friedlich oder nicht, „davon hängt auch ab, wie sehr wir in Zukunft auf wirtschaftliche Verpflichtungen mit China als Europäer bauen können“.

Menschenrechte in China: Scharfe Kritik von Baerbock und Konter von Qin
Doch Baerbock vergaß auch die Wirtschaft nicht. So betonte sie immer wieder die engen Wirtschaftsbeziehungen zum wichtigsten Handelspartner der Bundesrepublik – so als wolle sie all jene Lügen strafen, die in ihr eine Politikerin sehen, der es nur um Menschenrechte und um Werte gehe, nicht aber um handfeste wirtschaftliche Interessen. China warf sie vor, deutsche Unternehmen in China unfair zu behandeln. In Richtung Heimat sandte sie die Botschaft aus, sich nicht zu stark von der Volksrepublik abhängig zu machen, Stichwort „Risikominimierung“: „Schließlich haben wir unsere Energie-Abhängigkeit von Russland gerade mehr als teuer bezahlt. Und Fehler sollte man bekanntlich nicht zweimal machen“, sagte Baerbock. Gedacht war das auch als Warnung in Richtung China.
Die Menschenrechtsfrage ersparte Baerbock ihrem Amtskollegen dennoch nicht. So ging sie auf die Lage der Uiguren in Xinjiang ein, die dort willkürlichen Internierungen und Zwangsarbeit ausgesetzt sind. Man sehe es „mit Sorge“, dass in China „Menschenrechte immer weiter beschnitten werden“, sagte Baerbock. Qin Gangs Reaktion war wenig überraschend: „Was China am wenigsten braucht, ist ein Lehrmeister aus dem Westen“, erklärte der Diplomat seinem Gast aus Deutschland. Von der guten Stimmung, die noch bei der morgendlichen Bahnfahrt zwischen den beiden geherrscht hatte, war da nur noch wenig zu spüren. Baerbocks Besuch zeigt, wie schwierig es ist, in China den richtigen Ton zu treffen.