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Kolumbiens linke Regierung kriselt

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Von: Klaus Ehringfeld

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Kolumbiens Präsident Gustavo Petro bei einem Treffen mit seinem US-Kollegen Joe Biden in Washington.
Kolumbiens Präsident Gustavo Petro bei einem Treffen mit seinem US-Kollegen Joe Biden in Washington. © IMAGO/ZUMA Wire

Kolumbiens Linkspräsident Petro verunsichert das Land mit seinem radikalen Kabinettsumbau, und schlägt einen populistischeren und autoritäreren Kurs ein.

Bogota – Nach der überraschenden Kabinettsumbildung fragen sich die Bevölkerung und Beobachter:innen in Kolumbien erschrocken, was denn in ihren Präsidenten gefahren ist. „Haben wir den Verstand verloren, die Besonnenheit eingebüßt?“, fragt die bekannte Analystin María Jimena Duzán und diagnostiziert eine Art fortgeschrittene Verzweiflung bei Gustavo Petro über das politische System. Nur so ist der impulsive und in Teilen schwer nachvollziehbare Rausschmiss von annähernd der Hälfte des Kabinetts nach nur knapp neun Monaten im Amt zu verstehen, den Petro am Mittwoch angekündigt hatte.

Der 63-Jährige hatte sich und der Bevölkerung versprochen, Kolumbien zu verändern, einen „sozialen Wandel“ zu erreichen und das Land gerechter und friedlicher zu machen. Aber er hätte wissen müssen, dass er gegen die in Kolumbien traditionell starken Institutionen regiert, dass der Kongress ihm immer wieder Steine in den Weg legen würde. Und er selbst hat sein Kabinett damals im August 2022 ja auch ganz bewusst plural aufgestellt. Viele Ministerinnen und Minister kamen aus traditionellen Parteien aus dem rechten und liberalen Lager. Damit hat er nun weitgehend aufgeräumt.

Kolumbien: Veränderungen brauchen Zeit

Der Pragmatismus ist seit dem 27. April Geschichte in der ersten Linksregierung des südamerikanischen Landes. Von nun an dürfte Petro mit weniger Nachsicht regieren – und vor allem auch mit weniger Widerstand aus der eigenen Regierung. Petro hat einen klaren Linksschwenk vollzogen, die neuen Ressortchefs sind fast alle auf seiner Linie. Jedoch bleibt es abzuwarten, wie er nun seine Projekte auf den Weg bringen will.

Petro war eigentlich klar, dass er als erster Linkspräsident die Matrix des strukturell konservativen Landes nicht in vier Jahren verändern kann. Da er im Kongress keine Mehrheit hat, schien der einzige Weg darin zu bestehen, Koalitionen mit anderen Parteien zu bilden. Doch die enormen politischen Differenzen verhinderten die Umsetzung vieler Reformen nach den Vorstellungen des Präsidenten.

Auch jetzt wird Petro seine Reform des Arbeitsrechts, des Steuer- und Rentensystems und vor allem des Gesundheitswesens nicht leichter durchsetzen können. Ganz im Gegenteil. Aber er wird keine Kompromisse mehr machen. Viele Beobachter gehen davon aus, dass jetzt gewissermaßen die Regierung „Petro 2“ beginnt. Weniger Duldung von Widerspruch und ein noch prägenderer Stempel seiner eigenen Überzeugungen auf allen Vorhaben.

Kolumbien: Eine schier unerfüllbare Agenda

Man muss dabei aber auch bedenken, dass er sich für sein erstes Amtsjahr eine schier unerfüllbare Agenda geschrieben hat. Er wollte das Land wirklich befrieden und mit den Gewaltakteuren aller Couleur gleichzeitig Frieden schaffen, er will das Wirtschafts- und Sozialsystem komplett auf den Kopf stellen und die ungerechte Landverteilung – traditionelle Ursache des jahrzehntelangen Bürgerkriegs – endlich gerechter machen. Und zu guter Letzt will er auch noch die Lösung des Konflikts im Nachbarland Venezuela einleiten. Was er sich in nur neun Monaten vorgenommen hat, schaffen andere Regierungen nicht annähernd in mehreren Amtszeiten.

Petro ist seit diesem Mittwoch auch ein gutes Stück weit populistischer und autoritärer geworden. Er hat den Rausschmiss von neun seiner 19 Ministerinnen und Minister damit gerechtfertigt, dass sie und das Establishment sich massiv gegen Veränderungen sträuben und es ihm so unmöglich machen, seine politischen Pläne auf demokratischem Weg umzusetzen. Er rief daher die sozialen Bewegungen und die Bevölkerung dazu auf, „von der Straße aus“ Druck zu machen. María Jimena Duzán hält das für einen gefährlichen Weg: „Der Weg zu Reformen kann niemals darin bestehen, die Straßen in Brand zu setzen und den Hass zu schüren.“

Mit dem vorzeitigen Bruch der Koalitionsregierung ist Petro zudem auch seinem eigenen Versprechen untreu geworden, ein „neues Land“ zu schaffen und mit den alten Umgangsformen sowie der Spirale der Gewalt zu brechen. „Aber jetzt steuern wir auf eine Regierung zu, die uns zurück in die Polarisierung, Intoleranz und Stigmatisierung führt“, kritisiert Analystin Duzán. (Klaus Ehringfeld)

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