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Kolumbien-Wahl: Konservative Elite jetzt schon der Verlierer

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Von: Klaus Ehringfeld

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Die Armee transportiert Wahlunterlagen per Helikopter in entlegene Provinzen.
Kolumbien vor der Wahl: Die Armee transportiert Wahlunterlagen per Helikopter in entlegene Provinzen. © AFP

Vor der Stichwahl um Kolumbiens Präsidentenamt zeichnet sich eine Revolution an der Wahlurne ab. Was nicht heißt, dass alles besser wird.

Bogota - Wer auch immer am Sonntag (19. Juni) in Kolumbien das Rennen um das Präsidentenamt macht, es ist ein Outsider. Der eine mehr, der andere weniger. Gustavo Petro, der frühere Bürgermeister von Bogotá, ist ein linker Kandidat, wie er in dem südamerikanischen Land noch nie regiert hat. Und Rodolfo Hernández ist ein 77 Jahre alter populistischer Bauunternehmer und Multimillionär, den bis vor kurzem als Politiker niemand ernst genommen hat.

Auf jeden Fall kommt es in dem drittgrößten Land Lateinamerikas zu „tektonischen Verschiebungen“, wie die Analystin María Jimena Duzán sagt. Denn die klassisch konservative Elite, die das Land in den vergangenen 200 Jahren seit der Unabhängigkeit mal liberaler, mal rechter regiert hat, wird ihre Macht verlieren.

Kolumbien: Nach der Wahl ist vor der Wahl

Seit der ersten Runde vor drei Wochen haben beide Lager ihre Kampagnen neu ausrichten müssen. Beide Bewerber sind in die Mitte gerückt, um dort die notwendigen Wählerstimmen für einen Sieg zu suchen. Denn die Umfragen sehen Petro und Hernández fast gleichauf. Es verspricht, die engste Stichwahl in der jüngeren Geschichte Kolumbiens zu werden. Zwei völlig unterschiedliche Ideen eines Staates stehen zur Debatte.

Hernández, der ein rechter Populist mit einem sich widersprechenden und wenig fassbaren Programm ist, hat seine Wahlversprechen konkretisiert und frauenfeindliche Inhalte abgemildert. Er wettert weiter in erster Linie gegen die politische Klasse, die Korruption und die angebliche „Selbstbedienungsmentalität“, verweigert sich aber jeder inhaltlichen Debatte.

Wahl in Kolumbien: Schlammschlacht vor Stichwahl

Gegen Petro (62) wurde auf der Zielgeraden noch eine Schmutzkampagne ins Leben gerufen. Audiomitschnitte aus vertraulichen Gesprächen drangen an die Öffentlichkeit, in denen der Kandidat mit seinen Beratern angeblich Strategien zur Diffamierung seiner Gegner bespricht. „Der Wahlkampf für diese zweite Runde ist an Niveaulosigkeit und Inhaltsleere kaum zu überbieten“, sagt Yann Basset, Politologe von der Universidad del Rosario in Bogotá. Es sei kaum um Inhalte gegangen, sondern fast nur um angebliche Skandale, Tricks und Machenschaften.

Das belegt, was vor allem für die herrschenden Eliten auf dem Spiel steht. Für sie ist die Vorstellung, dass ein Politiker mit einem modernen linken Programm das drittgrößte Land Lateinamerikas regiert, nicht hinnehmbar. Daher hat sich die gesamte konservative Elite Kolumbiens – Unternehmer:innen, Oberschicht und ein Teil der rechten Intelligenzia – hinter dem unberechenbaren Hernández versammelt.

Kolumbien wählt: Ex-M19-Guerillero heute eher ein Sozialdemokrat

Dabei gleicht Petro in seinem Programm bestenfalls einem linken Sozialdemokraten europäischer Prägung mit starken Elementen grüner Politik. So plant er, die stark auf Extraktivismus (Kohle- und Ölförderung) basierende kolumbianische Wirtschaft grün umzubauen. In einem Interview mit „The Economist“ sagte der 62-Jährige, er strebe eine „soziale Marktwirtschaft“ nach deutschem Vorbild an – „mit allgemeinen Rechten, aber mit Respekt vor dem Privateigentum und freier unternehmerischer Initiative“. Allerdings müssten die Unternehmer mehr soziale Verantwortung übernehmen, unterstrich Petro.

Rodolfo Hernández hat sich dagegen als Produkt positioniert, als Kandidat, der eine Lücke auf dem politischen Markt füllt und der dem Überdruss der Kolumbianer:innen an der traditionellen herrschenden Klasse zum Ausdruck verhelfen will. Der frühere Bürgermeister seiner Heimatstadt Bucaramanga präsentiert sich bewusst als Außenseiter fernab der politischen Klasse. Er verkörpert einen pragmatischen, undogmatischen Provinzpolitiker ohne Parteizugehörigkeit mit dem Hang zur Vereinfachung gesellschaftlicher Probleme und Lösungen.

Wahl in Kolumbien: Hernández will Land wie Unternehmen führen

Hernández hebt dabei seinen Werdegang als Bauunternehmer hervor und glaubt, Kolumbien mit seinen 50 Millionen Einwohner:innen so führen zu können wie ein Unternehmen. Kolumbien gehört weltweit zu den Ländern mit der größten Ungleichheit und hat in Lateinamerika seit der Corona-Pandemie die größte Schere zwischen Arm und Reich. Knapp 40 Prozent der 51 Millionen Kolumbianer:innen leben in Armut.

Kolumbien ist eines der wenigen Länder Lateinamerikas, das nie eine umfassende Landreform umgesetzt hat. Mehr als 80 Prozent der privaten landwirtschaftlichen Flächen befinden sich nach wie vor in der Hand von einem Prozent der Bevölkerung. Die Konzentration des Landbesitzes hat zwischen 2000 und 2015 sogar noch zugenommen. All das sind Tatsachen, die dem Linken Gustavo Petro in die Hände spielen. (Klaus Ehringfeld)

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