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Klimaforscher Latif: „Der Weltklimarat betreibt Selbstbetrug“

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Von: Joachim Wille

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Mojib Latif.
Mojib Latif st einer der renommiertesten Klimaforscher in Deutschland.  © Jvºrgen Heinrich/Imago

Wissenschaftler Mojib Latif über die schwindenden Chancen für die Weltgemeinschaft, die 1,5-Grad-Grenze noch einzuhalten. Ein Interview von Joachim Wille

Herr Latif, der Weltklimarat hält daran fest, dass das 1,5-Grad-Limit noch gehalten werden kann. Wie realistisch ist das?

Das ist ein Selbstbetrug. Ich halte die Einhaltung der 1,5-Grad-Marke für praktisch ausgeschlossen, weil die weltweiten CO2-Emissionen immer noch steigen, und nur diese sind für die anthropogene Klimaentwicklung relevant. Es ist irrelevant, wo CO2 ausgestoßen wird. Das Gas verweilt für fast eine Ewigkeit in der Atmosphäre, weswegen es sich um den Erdball verteilen kann. Gerade die Anstrengungen der größten Emittenten sind völlig unzureichend. Im Übrigen ist kein Land auf 1,5-Grad-Kurs.

Was müsste geschehen, um wenigstens unter zwei Grad zu bleiben?

Der weltweite CO2-Ausstoß müsste sofort beginnen, deutlich zu sinken, sich um etwa 80 Prozent bis 2050 verringern und dann auf null bis 2100. Darüber hinaus müsste man noch nachhaltige Wege finden, CO2 aus der Atmosphäre zu entfernen. Im Moment steuert die Welt auf eine globale Erwärmung von etwa drei Grad zu, legt man die bisher beschlossenen Maßnahmen zugrunde.

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UN-Generalsekretär António Guterres hat vor nicht langer Zeit gesagt: „Wir sind auf dem Weg zur Klimahölle.“ Warum verhallen solche Appelle, selbst wenn sie vom Chef der Vereinten Nationen kommen?

Die Menschheit steht vor einer neuen Herausforderung: Alle Länder müssen gemeinsam handeln. Es dominieren jedoch die kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen der Länder. Klimaschutz sei angeblich zu teuer. Deswegen ist er in vielen Ländern so etwas wie ein „nice to have“ und kann angeblich warten. Der Klimawandel wird schlicht nicht ernst genommen.

Der Ukraine-Krieg hat die Aufmerksamkeit vom Klimawandel abgezogen. Was sind Folgen?

Der Krieg hat den Fokus wieder auf die konventionellen Energien gelenkt, auf die Atomkraft und die fossilen Energien. Die erneuerbaren Energien haben es im Moment schwer, wie immer in Krisenzeiten. Es gibt eine bestimmte Menge CO2, die die Menschen ausstoßen dürfen, um eine definierte globale Erwärmung nicht zu überschreiten. Das Budget für die Einhaltung der Zwei-Grad-Marke ist schon zu großen Teilen aufgebraucht. Das Zeitfenster schließt sich, die Länder müssen endlich couragiert handeln.

Was muss geschehen, dass der aktuelle Boom von Kohle und Flüssiggas nur kurz ausfällt?

Die Subventionen für die fossilen Energien müssen schleunigst angebaut werden. Es kann nicht sein, dass wir Umweltzerstörung subventionieren. Zudem sollte der Kohleausstieg auch in Ostdeutschland schon 2030 erfolgen. Das wäre ein wichtiges Signal. Gleichzeitig muss es einen beschleunigten Zubau an erneuerbaren Energien geben, Speichermöglichkeiten etwa für Wasserstoff müssen ausgebaut werden und der Netzausbau muss schneller vorankommen. Und das alles mit einer ähnlichen Geschwindigkeit, mit der man die LNG-Terminals gebaut hat.

Zur Person

Mojib Latif (68) ist einer der renommiertesten Klimaforscher in Deutschland. Er ist Professor für Ozeanzirkulation und Klimadynamik am Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung und an der Uni Kiel. FR

Auf wen setzen Sie international, um die Klimawende noch zu schaffen? US-Präsident Biden? EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen? Chinas Präsident Xi ?

Joe Biden hat zu Beginn seiner Amtszeit ambitionierte Ziele formuliert. Es bleibt abzuwarten, was er davon durchsetzen kann und ob die Republikaner nach der nächsten Wahl an die Macht kommen werden, was für den Klimaschutz ein Desaster wäre. Ursula von der Leyen hatte mit dem European Green Deal eine gute Idee. Der wird aber nach und nach verwässert. Auf jeden Fall setze ich nicht auf Xi Jinping. China ist der größte Verursacher von CO2 mit einem weltweiten Anteil von ungefähr 30 Prozent und will den Höhepunkt seiner Emissionen erst 2030 erreichen. Außerdem sollte man diktatorischen Regimen nicht vertrauen. China wird beim Klimaschutz nur mitmachen, wenn es wirtschaftlichen Druck durch die Länder verspürt, die es mit dem Klimaschutz erst meinen.

Und wie sieht es in Deutschland aus? Die Regierung schafft bisher ihre Klimaziele nicht ...

Deutschland muss aufpassen, dass es nicht vom Vorreiter zum Bremser wird. Es wäre ein verheerendes Signal an den Rest der Welt, wenn Deutschland seine Klimaziele verfehlen würde. Dann wäre die Glaubwürdigkeit des Landes auf der internationalen Bühne verspielt.

Müsste Kanzler Olaf Scholz nicht ein Machtwort gegen Verkehrsminister Volker Wissing sprechen, der kaum etwas tut, um die CO2-Ziele im Verkehr zu erreichen?

Es wäre schade, wenn das notwendig sein sollte. Ein Grundproblem der Politik besteht aus meiner Sicht darin, dass die Interessen der Parteien im Vordergrund stehen und nicht die Interessen des Landes.

Viele Fachleute setzen global auf Technologien, mit denen man überschüssiges CO2 wieder aus der Atmosphäre holen kann. Welches Potenzial steckt darin?

Das würde meiner Meinung nach viel zu spät kommen. Man müsste eine neue Infrastruktur aufbauen und das mit einem ungeheuren finanziellen Aufwand. Ob das dann wirklich funktioniert, um global einen nennenswerten Effekt zu erzielen, kann man heute noch gar nicht absehen.

Bleibt sonst nur noch das Geoengineering, um die Erde abzukühlen? Schwefel in die Atmosphäre, gigantische Sonnensegel, Düngung von Algen?

Das wäre der helle Wahnsinn! Das Erdsystem ist so komplex, dass wir es nicht gut genug verstehen. Die negativen Folgen könnten unabsehbar sein.

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