Stromexport besser als EU-Hilfen: Bulgarien will später aus der Kohle aussteigen

Sofia wendet sich gegen die EU-Klimapolitik und will seine Pläne für den Kohleausstieg rückgängig machen. Durch die hohen Strompreise wird der Stromexport attraktiver als Hilfen aus Brüssel.
Experten halten das Aus für die Kohle in Bulgarien trotzdem für unvermeidlich.
- Bulgarien und die EU befinden sich in der Klima- und Energiepolitik derzeit auf Kollisionskurs. Im Januar:
- stimmte das Parlament in Sofia dafür, die Dekarbonisierungspläne des Landes und den Kohleausstieg zu verschieben,
- verklagte die EU-Kommission Bulgarien vor dem Europäischen Gerichtshof, weil es die EU-Richtlinie über erneuerbare Energien bisher nicht in nationales Recht umgesetzt hat,
kündigte der bulgarische Präsident Rumen Radev an, im April werde das Land zum fünften Mal innerhalb von zwei Jahren Parlamentswahlen abhalten, weil es keine reguläre Regierung bilden konnte. - Diese Analyse liegt IPPEN.MEDIA im Zuge einer Kooperation mit dem Climate.Table Professional Briefing vor – zuerst veröffentlicht hatte sie Climate.Table am 16. März 2023.
Kohle-Aus: Statt 2025 erst 2038?
Das Parlament beauftragte am 12. Januar die momentane Übergangsregierung, den Konjunktur- und Resilienzplan des Landes mit Brüssel neu auszuhandeln. Darin hatte sich Bulgarien verpflichtet, seine Treibhausgasemissionen bis Ende 2025 um 40 Prozent gegenüber 2019 zu senken. Bisher hat Bulgarien seine CO₂-Emissionen zwischen 1988 und 2017 um 47 Prozent gesenkt. Seit 2019 sind die CO₂-Emissionen allerdings von 42,3 auf 42,6 Millionen Tonnen in 2021 sogar leicht gestiegen.
Das Klimaziel aus dem Resilienzplan bedeutet, dass Kohlekraftwerke geschlossen werden müssen. Doch nach Protesten von mehr als 1.500 Bergleuten und Energieversorgern vor seinenTüren erklärte das Parlament, dass die Kohlekraftwerke bis 2038 in Betrieb bleiben sollen. Bulgarien deckt etwa 40 Prozent seines Strombedarfs aus Kohle und 36 Prozent aus Kernkraft.
Der Rückzieher Bulgariens könnte das Erreichen der EU-Klimaziele gefährden. Bei der niedrigsten Wirtschaftsleistung pro Kopf in der EU hat Bulgarien die kohlenstoffintensivste Wirtschaft und erzeugt viermal mehr Emissionen als der EU-Durchschnitt.
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Bulgarien: Energiekrise macht Kohlekraftwerke rentabel
Das Festhalten an der Kohle hat noch einen anderen Grund: Bulgarien verdient damit derzeit gutes Geld. Die Strompreise sind durch die Energiekrise in Europa seit dem Jahr 2021 stark gestiegen. „Die bulgarischen Kohlekraftwerke, die zuvor Verluste gemacht haben, konnten nun erhebliche Gewinne erwirtschaften“, sagt der ehemalige bulgarische Umweltminister Julian Popov gegenüber Table.Media. „Wenn der Strompreis über 150 Euro pro Megawattstunde steigt, was im vergangenen Jahr mehrmals der Fall war, machen die Kohlekraftwerke in Bulgarien Gewinne – trotz der Zahlung von CO₂-Zertifikaten und ihrer Betriebskosten.
“Im Jahr 2022 verdiente Bulgarien rund drei Milliarden Euro mit Stromexporten in Nachbarländer, darunter Serbien, Rumänien, die Türkei und Griechenland. Das ist dreimal so viel wie im Vorjahr. „Es gibt also auch ein starkes finanzielles Argument für den Weiterbetrieb von Kohlekraftwerken“, sagt Popov. Da sich die meisten Kohlekraftwerke in Staatsbesitz befinden, füllen sie die Staatskasse. Die Regierung kann damit Unternehmen und Verbraucher von hohen Strompreisen entlasten.
Das EU-Programm für Resilienz- und Wiederaufbau sichert dem Land 6,3 Milliarden Euro zu, davon zwei Milliarden für den grünen Umbau des Energiesektors. Weil aber die Einnahmen aus dem Stromexport höher liegen, drängten die Gewerkschaften auf den Weiterbetrieb der Kohlekraftwerke, so Popov.
Doppeltes Spiel Sofias mit Brüssel
Die Europäische Kommission kennt die bulgarische Forderung. Bisher habe man aber aus Sofia noch keinen formellen Antrag zur Überarbeitung des Konjunktur- und Resilienzplans erhalten, erklärte ein Sprecher der Kommission auf Anfrage von Table.Media. Solche Änderungen gibt es nur in Ausnahmefällen, wenn Länder objektiv die Pläne nicht erfüllen können. Eine Missachtung des Plans könne „erhebliche finanzielle Folgen für das Land“ haben, erklärte der Sprecher. Dazu gehöre die „teilweisen Aussetzung und Kürzung“ von EU-Geldern. Im Dezember 2022 erhielt Bulgarien eine erste Tranche in Höhe von 1,37 Milliarden Euro. Insgesamt sieht der Plan Unterstützung in Höhe von knapp 6,3 Milliarden Euro vor.
Mitte Februar erklärte der stellvertretende Energieminister Elenko Bozhkov, dass Bulgarien nach dem 30. März mit Brüssel neu über den Plan verhandeln wolle. Sofia spielt auf Zeit, denn am 2.April sind Parlamentswahlen. Deren Ausgang wird aber kaum etwas an der Meinung des Parlaments ändern. Denn der Antrag zum Ausstieg aus dem Kohleausstieg fand dort mit 187 Ja- und lediglich zwei Nein-Stimmen eine fast vollständige Mehrheit aller Parteien. Immerhin betrifft der Ausstieg etwa 15.000 Arbeitsplätze im Bergbau und in der Stromerzeugung und noch einmal etwa doppelt so viele indirekt. Der Kohleausstieg ist im Land daher nicht beliebt.
Ohnehin spielten die Entscheidungsträger in Sofia oft ein doppeltes Spiel mit Brüssel, stellt Energieexperte Toma Pavlov in seiner Studie über die politische Ökonomie der Kohle fest. Obwohl sie die EU-Klimapolitik offiziell unterstützen, behinderten sie die Umsetzung zu Hause.
Erneuerbare: Erst Boom, dann Stagnation
Erneuerbare Energien könnten die Energiesicherheit in Bulgarien fördern. Zwischen 2010 und 2013 stieg ihr Anteil durch eine Einspeisevergütung schnell an. Seit sie 2015 abgeschafft wurde, stagnierten die Investitionen.
„Bis 2015 hat Bulgarien etwa 1,9 GW an Wind-, Solar- und Biomasseenergie zugebaut. Seitdem sind kaum neue Kapazitäten hinzugekommen“, sagt Martin Vladimirov, Direktor des Energie- und Klimaprogramms am Centre for the Study of Democracy. Schlupflöcher im Gesetz ermöglichen es den Netzbetreibern, Anschlüsse zu verweigern.
Am 26. Januar verklagte die EU-Kommission Bulgarien wegen mangelnder Umsetzung der EU-Richtlinie zu Erneuerbaren Energien vor dem EuGH. Dem Land drohen auch hier finanzielle Sanktionen. Die Richtlinie fordert ein EU-Ziel von mindestens 32 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 und sieht dafür Fördermaßnahmen vor. Im Februar schließlich erklärte die bulgarische Regierung, sie habe das Gesetz über erneuerbare Energien geändert. Diese Gesetzesänderung aber muss das neue Parlament nach den Wahlen am 2. April genehmigen.
Bald werden die Strompreise in Europa wieder sinken, und die Kohlekraftwerke in Bulgarien wieder Verluste machen, meint Julian Popov. „Das Ende der Kohle wird nicht durch die Vereinbarung mit Brüssel kommen, sondern durch das Wachstum der Erneuerbaren und niedrigere Strompreise. In den nächsten zwei bis drei Jahren wird die bulgarische Kohleindustrie zusammenbrechen„, so sein Fazit.
Von Komila Nabiyeva